„Migration bietet Chancen“: Fachkommission legt Bericht vor

mercredi, 20. janvier 2021 um 11:30 Uhr

Prof. Dr. Viola Georgi ist in der Forschung zur Bildungsintegration national und international sehr gut vernetzt und leistet zugleich Basisarbeit in der Region. Die Erziehungswissenschaftlerin der Universität Hildesheim legt als Mitglied der „Fachkommission Integrationsfähigkeit“ der Bundesregierung einen Bericht vor, der am 20. Januar 2021 der Bundeskanzlerin übergeben wurde. Der Bericht wird anschließend dem Deutschen Bundestag vorgelegt.

„Gemeinsam die Einwanderungsgesellschaft gestalten“,
Bericht der Fachkommission Integrationsfähigkeit (20.01.2021) (PDF)

Seit 2019 wirkt die Hildesheimer Erziehungswissenschaftlerin Prof. Dr. Viola Georgi in der „Fachkommission Integrationsfähigkeit“ der Bundesregierung mit. Die Kommission hat Empfehlungen für Bund, Länder, Kommunen und Zivilgesellschaft erarbeitet.

Am Mittwoch, 20. Januar 2021, hat die „Fachkommission Integrationsfähigkeit“ den finalen Bericht vorgelegt und an die Bundesregierung überreicht. Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie Staatsministerin Annette Widmann-Mauz, Staatssekretär Markus Kerber und Bundesminister Hubertus Heil nahmen den Bericht entgegen.

Die Bundesregierung legt den Bericht der Fachkommission im nächsten Schritt dem Deutschen Bundestag vor.

Die Kommission beschreibt in ihrem Bericht die wirtschaftlichen, arbeitsmarktpolitischen, gesellschaftlichen und demografischen Rahmenbedingungen für Integration und erarbeitet Vorschläge für Standards, wie diese verbessert werden können. Die Kommission befasst sich sowohl mit der Neu-Zuwanderung – etwa von Geflüchteten und EU-Bürgerinnen und EU-Bürgern – als auch mit den bereits länger in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund.

Interview mit Erziehungswissenschaftlerin Prof. Dr. Viola Georgi vom Zentrum für Bildungsintegration der Universität Hildesheim

Frau Professorin Georgi, das Bundeskabinett hat Sie vor zwei Jahren in die „Fachkommission Integrationsfähigkeit“ berufen. Nun legen Sie den Abschlussbericht vor. Was ist ein zentrales Ergebnis?

Viola Georgi: Zentral ist für mich die Botschaft, dass Integration eine Daueraufgabe und eine Investition in die Zukunft ist. Denn Migration bietet enorme Chancen, wenn Integration in den Bildungs- und Arbeitsmarkt gelingt. Hieraus können sich erhebliche wirtschaftliche Gewinne und auch fiskalische Erträge für den Sozialstaat ergeben, gerade angesichts des demografischen Wandels. Offene Gesellschaften können überdies von wachsender kultureller und sozialer Diversität profitieren.

Es ist Zeit anzuerkennen, dass Einwanderung und Diversität Deutschland historisch geprägt haben und auch in Zukunft prägen werden. Deutschsein im 21. Jahrhundert wird nicht mehr von deutschen Vorfahren oder einem deutschen Namen oder einem bestimmten als deutsch imgaginierten äußerlichen Erscheinungsbild abhängig sein. Es wird vielmehr bedeuten, in einer vielfältigen Einwanderungsgesellschaft zu leben, sich in dieser zurechtzufinden und sie im alltäglichen Zusammenleben aktiv mitzugestalten.

Sie haben den Bericht mitverfasst. Ein zentrales Handlungsfeld ist die Bildungsintegration, dies ist Ihr Fachgebiet. Was sind hier die Botschaften?

Viola Georgi: Bildung ist für Integration von zentraler Bedeutung. Das ist eine Binsenweisheit. Die von uns erarbeiteten Empfehlungen sind sehr umfangreich und umfassen verschiedene Bereiche, wie Kita, Schule, Hochschule und Erwachsenenbildung mit einem Fokus auf Sprach- und Integrationskursen.

Festhalten lässt sich, dass Menschen – mit oder ohne Migrationsgeschichte – am besten lernen können, wenn die Bildungsinstitutionen ihre sozialen Lebenslagen und ihre sprachliche, kulturelle und religiöse Vielfalt anerkennen und berücksichtigen. Es bedarf angesichts der unterschiedlichen Lernvoraussetzungen einer differenzierten Förderung und Unterstützung der Bildungseinrichtungen. Ziel muss der Abbau  von Benachteiligungen sein, die mit der familiären Herkunft, insbesondere der sozialen Ungleichheit, und mit unterschiedlichen sprachlichen Lernvoraussetzungen verbunden sind.

Mit dem Blick auf die Schule betonen wir, dass diese Lehr- und Lernangebote von hoher Qualität bereitstellen muss, die sich am individuellen Potenzial und am Entwicklungsstand der Lernenden orientieren. Außerdem empfehlen wir Bildungswege länger offen zu halten, damit Kinder und Jugendliche ihr Leistungspotential auch dann ausschöpfen können, wenn sie schlechtere Startchancen haben. Die Qualität von Bildung ist überhaupt das buzzword im Bildungsteil des Berichtes. Für die Fachkommission steht der Staat hier in der Pflicht, eine qualitativ hochwertige und chancengerechte Bildung für die deutsche Einwanderungsgesellschaft zu gewährleisten.

Was erhoffen Sie sich von dem Dokument, was kann der Bericht bewirken, anstoßen?

Viola Georgi: Der Bericht wird dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat vorgelegt. Damit liegt der Ball erst Mal wieder im Feld der Politik, die letzlich in ihre Gremien beraten und entscheiden muss, ob und welche Empfehlungen umgesetzt werden sollen. Zugleich ist der Bericht natürlich auch öffentlich zugänglich und wird in mehrere Sprachen übersetzt. Ich sehe ihn auch als ein Instrument zur Versachlichung und zur Weiterentwicklung der gesellschaftlichen Debatte über Deutschland als Einwanderungsland.

Die Kommission ist interdisziplinär zusammengesetzt. Am Zentrum für Bildungsintegration vereinen Sie ebenfalls Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Fachdisziplinen, von der Musikwissenschaft über die Erziehungs- bis zur Sprachwissenschaft und Politikwissenschaft. Welche Chance bietet die Forsshung und Transferarbeit in interdisziplinären Teams?

Viola Georgi: Sie bietet große Chancen, weil man in allen Phasen der Betrachtung eines Forschungsgegenstandes oder eines gesellschaftlichen Phänomens mulitperspektivisch unterwegs ist. Man lernt ständig dazu. Das ist auf- und anregend und befördert Innovation. Man muss sich die Welt wechselseitig erklären. Was einem aus der Perspektive der eigenen fachwissenschaftlichen Sozialisation ganz klar erscheint, muss für die Kollegen und Kolleginnen erst mal plausibel gemacht werden. Das bereichert den Erkenntnisprozeß und die Reflexion darüber, wie man zu den Erkenntissen gekommen ist ungemein. Oft kann man dann die Positionen wie Puzzelteile zu einem großen Ganzen zusammenfügen. Ich erlebe das gerade in einem BMBF-geförderten Verbund-Projekt zu historischer Bildung in der Migrationsgesellschaft (Informationen über das Forschungsprojekt HilMig: www.uni-hildesheim.de/zbi/forschungsprojekte/geschichten-in-bewegung-erinnerungspraktiken-geschichtskulturen-und-historisches-lernen-in-der-deutschen-migrationsgesellschaft/). Ich will aber nicht unter den Tisch kehren, dass das Arbeiten in interdisziplinären Teams nicht unbedingt immer harmonisch ist. Man muss schon Spaß am Diskurs und an der Kontroverse haben.

Die Fragen stellte Isa Lange.

„Zentrum für Bildungsintegration
– Diversity und Demokratie in Migrationsgesellschaften“

Über die Fachkommission Integrationsfähigkeit

Die Bundesregierung hat 2019 eine Fachkommission zu den Rahmenbedingungen der Integrationsfähigkeit einberufen.

Das Bundesinnenministerium, das Bundesarbeitsministerium sowie die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration haben dem Bundeskabinett die Mitglieder vorgeschlagen. Zu den Mitgliedern der Fachkommission wurde 2019 Prof. Dr. Viola Georgi berufen. Die Erziehungswissenschaftlerin ist Expertin für Fragen der Bildung in der Einwanderungsgesellschaft und leitet an der Universität Hildesheim das „Zentrum für Bildungsintegration – Diversity und Demokratie in Migrationsgesellschaften“. Professorin Georgi befasst sich in der Forschung unter anderem mit Heterogenität in der Schule, Bildungsmedien, historisch-politischer Bildung in der Migrationsgesellschaft und Demokratiepädagogik.

Auf der Website www.fachkommission-integrationsfähigkeit.de sind neben Informationen zur Fachkommission und ihren Mitgliedern auch Informationen zum Bericht, Kurzfilme und Dokumente zum Download bereitgestellt (unter anderem der Bericht, die Kernbotschaften in verschiedenen Sprachen sowie die von der Fachkommission beauftragten Expertisen).

Über das Zentrum für Bildungsintegration der Universität Hildesheim

Am „Zentrum für Bildungsintegration – Diversity und Demokratie in Migrationsgesellschaften“ der Universität Hildesheim forschen und lehren seit 2014 Expertinnen und Experten zu Schlüsselfragen der Einwanderungsgesellschaft.
www.uni-hildesheim.de/zbi


Viola B. Georgi ist Direktorin des „Zentrums für Bildungsintegration – Diversity und Demokratie in Migrationsgesellschaften“ der Universität Hildesheim. Die Professorin befasst sich derzeit im vom Bundesforschungsministerium geförderten Projekt „Geschichten in Bewegung. Erinnerungspraktiken, Geschichtskulturen und historisches Lernen in der deutschen Migrationsgesellschaft“ mit historischer Bildung an Schulen. Seit 2019 ist Georgi Mitglied der „Fachkommission Integrationsfähigkeit“ der Bundesregierung. Foto 20.01.2021: Bundesregierung/Bergmann, ARCHIVFOTOS: Bundesregierung/Jesco Denzel (2019), Porträt: Isa Lange/Uni Hildesheim