Im Ahrtal kam einiges zusammen: Neben den geologischen und morphologischen Gegebenheiten der von engen Kerbtälern durchzogenen Landschaft hat der auch menschliche Einfluss zum Ausmaß der jüngsten Hochwasserkatastrophe beigetragen, fasst Biologe Wolfgang Büchs zusammen. Und nicht zuletzt spielt dabei der Klimawandel eine entscheidende Rolle. „Hochwasser im Ahrtal hat es schon immer gegeben, aber die rezente Flutkatastrophe schlägt alles, was wir aus den Geschichtsbüchern kennen.“
Besiedlung, Versieglung, Flurbereinigung und Flussbegradigungen haben die extremen Folgen des regionalen Starkregens begünstigt, urteilt der Wissenschaftler, der sich mit der landschaftlichen Historie des Ahrtals intensiv beschäftigt hat. Zugleich fehlen technische und bauliche Schutzmaßnahmen, wie sie heute in anderen Regionen – beispielsweise im Harz - üblich sind. „Den Bau von Regenwasserrückhaltebecken im Bereich der Nebenbäche hatte man im Ahrtal schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts geplant, hat sich dann aber entschlossen, stattdessen den Nürburgring zu bauen, um die regionale Wirtschaft zu stärken.“
Nun, 100 Jahre später, zeige sich, dass Renaturierung und Wiederbewaldung – eigentlich die ökologisch verträglicheren Formen des Hochwasserschutzes – in diesem speziellen Umfeld nicht ausreichen. Das Fazit des Biologen: Ein Wiederaufbau und womöglich gar Ausbau der Besiedlung der Talsohlen im Ahrtal ist ohne gleichzeitige bauliche Maßnahmen zum Hochwasserschutz hochgradig riskant. Und auch in anderen Regionen in Deutschland müssen Bauvorhaben in Tälern und Flussniederungen vor dem Hintergrund des Klimawandels künftig anders bewertet werden: „Wir müssen uns darauf einstellen, bestimmte Siedlungsstandorte in Deutschland aufzugeben“
Ein Podcast-Gespräch mit dem Biologen und Hildesheimer Gastprofessor Prof. Dr. Wolfgang Büchs können Sie hier nachhören:
HINWEIS: Nach Aufzeichnung des Gesprächs wurde bekannt, dass der Pegelmesser bei Altenahr bei einem Pegelstand von 5,72 Meter durch die Flut abgerissen wurde – das war bisher noch nie vorgekommen – und daher der tatsächliche Pegelstand deutlich höher gewesen sein dürfte - Berechnungen zufolge bei rund sieben Metern.
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O-Ton: Prof. Dr. Wolfgang Büchs - Wie meine Liebe zum Ahrtal entstanden ist
Begonnen hat es 1980, während meiner Diplomarbeit (zu einem ganz anderen Thema), als wir als zoologisch schon versiertere Studierende von Prof. Dr. Kneitz (Mitbegründer des BUND in Bayern) am damaligen Institut für Angewandte Zoologie in Bonn angefragt wurden, ob wir bei der Biotopkartierung Rheinland-Pfalz als Nebenjob mitmachen wollten.
Gesagt, getan und ich bekam mehrere Messtischblätter (Maßstab 25.000/12,5 x 12,5 km) aus dem Ahrtal zugeteilt, die ich flächendeckend gemeinsam mit einem Botaniker begehen musste. Der Botaniker war Dr. Wilhelm Wendling aus Altenahr-Altenburg, ein im Ahrtal sehr bekannter und politisch aktiver Botaniker und Naturschützer. Die Kartierungsfahrten endeten regelmäßig bei ihm auf der Terrasse (er hatte einen eigenen Weinberg), wo wir dann zum Abschluss immer noch das ein oder andere Glas Ahrrotwein genossen.
Mit ihm blieb ich bis in (fast) jüngste Vergangenheit verbunden - wir telefonierten regelmäßig. Nach der Flutkatastrophe, die Altenahr-Altenburg - Siedlungshäuser, gebaut auf einem Altarm der Ahr - mit am schlimmsten getroffen hat, habe ich bisher keinen Kontakt zu ihm und seiner Familie herstellen können.
Schon damals hat mich das Ahrtal (vor allem das Mittlere Ahrtal) fasziniert, wegen seiner fast mediterranen Atmosphäre (vor der Wende das nördlichste Weinanbaugebiet in der BRD) - viele submediterrane Tier- und Pflanzenarten erreichen dort die Nord(west)grenze ihrer Verbreitung. Auf der anderen Seite finden wir im Ahr-Engtal infolge der steilen Hänge mit komplett unterschiedlicher Exposition auf sehr kurze Distanz sehr unterschiedliche, ja geradezu diametrale Lebensbedingungen, d.h. neben submediterranen Arten gibt es in kurzer Distanz auch atlantisch oder kontinental geprägte Standorte und sogar boreale bzw dealpine Faunen- und Florenelemente. Also, unendliche Vielfalt auf kleinstem Raum.
Dieser Vielfalt wollte ich auf den Grund gehen und habe - neben meiner Promotion (anderes Thema) - mehr als 50 Spezialist*innen für die verschiedensten Tier- und Pflanzengruppen zusammengetrommelt - aber auch Fachleute für Geologie, Hydrologie etc. - um das Ahrtal (vor allem Mittleres Ahrtal) in ihrem jeweiligen Spezialgebiet zu untersuchen. Bei diesen Untersuchungen, mehrheitlich in den 80er und 90er (z.T. später immer wieder aktualisiert), wurden ca. 4300 Tierarten sowie ca. 1200 Pflanzenarten, darunter ca. 500 in ihrem Bestand bedrohte Arten und sogar mehrere Arten, die neu für die Wissenschaft sind.
Das Ganze fand ausschließlich ehrenamtlich statt, wurde aber logistisch/technisch vom Landesamt für Umwelt unterstützt. Die Monografie erschien in drei Bänden 1993, 2003 und 2019/2020 mit insgesamt ca. 1350 Seiten Umfang.