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„Die Studierenden sind Botschafter für die Vielfalt der Natur“

Montag, 01. August 2016 um 14:00 Uhr

Die Universität Hildesheim baut ihre Wissenschaftsbeziehungen nach Madagaskar aus. Eine Forschergruppe entwickelt Strategien zum Erhalt der biologischen Vielfalt. Derzeit sind Studierende aus Madagaskar in Hildesheim. Natur zu schützen, sei eine Aufgabe jedes Einzelnen, sagt der renommierte Professor Jonah Ratsimbazafy von der Universität Antananarivo. Außerdem geben zwei Studenten im Kurzinterview Einblicke in ihr Umwelt-Studium.

„Wir wollen die künftige Generation dabei unterstützen, mit den Umweltproblemen umzugehen. Wir haben nicht mehr viel Zeit übrig, um die Natur zu erhalten. Nur noch ein Zehntel der einzigartigen biologischen Vielfalt auf Madagaskar ist übrig. Wir müssen Studierende darin ausbilden, Lösungen zu entwickeln“, sagt Professor Jonah Ratsimbazafy von der Universität Antananarivo.

Der renommierte Primatologe ist einer der wichtigsten Naturschützer Madagaskars und derzeit im Zuge einer Lehrkooperation mit madagassischen Studierenden in Hildesheim. Neben Theorie und Vorlesungen stehen Exkursionen zum Biosphärenreservat Elbe, in die Lüneburger Heide und auf die Hallig Langeneß auf dem zweiwöchigen Programm der insgesamt 24 Studierenden und Forscher aus Madagaskar und Hildesheim. Die Studierenden aus Madagaskar kommen von drei Institutionen: der Universität Antananarivo, der Universität Toamasina und dem Lemuren-Forscherverband GERP. Der Studiengang in Toamasina hat ähnliche Studieninhalte wie der Masterstudiengang „Umwelt, Naturschutz und Nachhaltigkeitsbildung“ der Universität Hildesheim.

„Der Austausch mit der Universität Hildesheim ist sehr produktiv, unsere Studierenden lernen voneinander“, sagt Professor Ratsimbazafy. „Hildesheim ist eine wundervolle Stadt – mit vielen Bäumen und Wald, ich liebe diesen Ort.“ „Die Forschung ist ein Teil, der Austausch und die Diskussionen zwischen den Menschen ist eine weitere wichtige Erfahrung“, ergänzt Eustache Miasa, Biologe von der Universität Toamasina.

Jasmin Mantilla-Contreras, Juniorprofessorin für Ökologie und Umweltbildung an der Universität Hildesheim, und der Biologe Torsten Richter haben das fünfjährige Programm in Kooperation mit ihren madagassischen Partnern entwickelt. Lehrende und Studierende aus drei madagassischen Forschungsinstituten und aus Hildesheim kommen mehrmals im Jahr zusammen. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) fördert den Austausch. „Wir wollen unseren Studierenden den Austausch ermöglichen, damit sie in Kontakt zu anderen jungen Wissenschaftlern kommen und ihre Erfahrungen teilen“, sagt Richter.

Die Arbeitsgruppe „Ökologie und Umweltbildung" der Universität Hildesheim untersucht, wie Lebensräume erhalten und Ökosysteme nachhaltig genutzt werden können. Auf Madagaskar versucht eine Forschergruppe gemeinsam mit madagassischen Wissenschaftlern an einem Seeökosystem im Nordwesten der Insel die einzigartige Flora und Fauna zu erhalten. Gleichzeitig versuchen sie, den Menschen vor Ort neue Nutzungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Die invasive Wasserhyazinthe verursacht am Alaotra-See ökologische Probleme, bietet aber ein ungeahntes Nutzungspotential, so ein Ergebnis der Forschung von Tsiry Rakotoariso, der derzeit seine Promotion an der Universität in Hildesheim abschließt. Aus der Wasserpflanze kann zum Beispiel auch Kompost hergestellt werden, Bauern können diesen als Dünger nutzen.

„Madagaskar ist ein gutes Beispiel für den zunehmenden Konflikt zwischen Mensch und Natur“, sagt Professorin Jasmin Mantilla-Contreras. „Die Insel zählt zu den artenreichsten Gebieten der Erde und weist eine Natur auf die sonst nirgendwo auf der Erde zu finden ist. Gleichzeitig zählt Madagaskar jedoch auch zu einem der ärmsten Länder und ist dadurch besonders vom Rückgang der Biodiversität betroffen. Inzwischen sind dort über 90% der natürlichen Lebensräume zerstört." Die internationale Forschergruppe entwickelt Lösungsansätze, wie man den verbleibenden Rest „Originalnatur“ schützen und die einzigartige Biodiversität des Landes erhalten kann, sagt Torsten Richter. Beinahe jedes Jahr werden neue Lemurenarten entdeckt, auch Amphibien und Reptilien haben eine sehr starke Sonderentwicklung genommen, etwa der Blattschwanzgecko, der sich exzellent verstecken und seiner Umgebung anpassen kann.

Warum der Austausch für die Hildesheimer Biologen wichtig ist? „Unsere Schnittmengen liegen in den Bereichen Management von Natur und Umweltbildung. Die Universität in der Hauptstadt Madagaskars bildet Naturkundelehrer aus – wir ebenfalls“, sagt Torsten Richter.

Menschen können Natur schützen, aber auch zerstören. „Wir sind alle entsetzt über den Verlust von Arten. Naturschutz ist eine kollektive Aufgabe, die die Beteiligung jedes Einzelnen erfordert. Lasst uns gemeinsam Lösungen entwickeln, bevor es zu spät ist. Als Wissenschaftler wollen wir Teil des Erfolgs sein, die Erde zu schützen. Unsere Aufgabe ist es, Multiplikatoren auszubilden. Die Studierenden aus Hildesheim und Madagaskar sind Botschafter. Sie sollten ihr Wissen teilen und nicht für sich selbst behalten. Unsere Hoffnungen ruhen auf ihren Ideen. Sie sind verantwortlich für Morgen, wir müssen heute anfangen. Wir hoffen, dass sie etwas verändern, dort wo sie einmal arbeiten werden“, sagt Professor Ratsimbazafy.

Wer mehr über Naturschutz in Madagaskar erfahren möchte, kann am 8. August 2016 mit Professor Ratsimbazafy an der Universität Hildesheim sprechen. Um einen Termin zu vereinbaren, können Interessierte eine E-Mail senden an mantilla@uni-hildesheim.de.

Naturschutz studieren: Kurzinterview mit zwei Studenten aus Hildesheim

Nachgefragt bei...

... Simon Emken, 27, studiert Umweltwissenschaft und Naturschutz an der Universität Hildesheim

... Roderic Heriandrianina Mahasoa, 29, studiert „Erhalt von Biodiversität und Nachhaltiger Tourismus“ an der ISSEDD Universität in Toamasina, Madagaskar

Was macht ihr zurzeit in Hildesheim?

Roderic: Ich nehme mit weiteren Studierenden aus Madagaskar an einem internationalen Austausch an der Universität Hildesheim teil. Wir sprechen über das Umweltmanagement, über Forschungsmethoden und Bildungsansätze.

Simon: Im vorigen Jahren waren Hildesheimer Studierende auf Madagaskar. Ich war dabei, das war sehr beeindruckend. Im August fahre ich wieder für drei Monate nach Madagaskar. Ich untersuche die Artzusammensetzung von Mistkäfern in intaktem und zerstörtem Regenwald.  Mittlerweile wurden über 90 Prozent des Waldes abgeholzt.

Roderic: Wir treffen uns dann schon das dritte Mal. Dazwischen bleiben wir via Facebook, Email und Co in Kontakt. Wir haben die gleichen fachlichen Ziele. Ich hoffe, dass ich in der Zukunft auch wieder nach Hildesheim reisen kann. Viele Studierende haben sich beworben, weit mehr als es Plätze in der „Summer School“ gibt.

Ihr beschäftigt euch mit dem Schutz der biologischen Diversität. Was untersucht ihr zurzeit?

Roderic: Ich untersuche in meiner Abschlussarbeit, wie sich Amphibien verbreiten. Ich dokumentiere hier im Osten Madagaskars in einem der ersten Schutzgebiete, wie der „Mantella laevigata“, ein schlanker Buntfrosch, lebt. Die Art wurde 2006 das erste Mal in diesem Gebiet entdeckt. Ich bin der erste, der hier ihren Lebensraum genauer untersucht.

Simon: Das ist einzigartig, der Frosch lebt nur in Madagaskar – sonst nirgends auf der Welt.

Roderic: Ich bin mehrfach im Feld und erhebe Daten: Was frisst der Frosch, wo lebt her, wer lebt und wächst im Umfeld? Ich fotografiere die Tiere und die Vegetation. Ich möchte herausfinden: Warum lebt dieser Frosch nur an diesem Ort?

Warum ist die Erforschung dieser einheimischen Arten wichtig?

Simon: Die Forschung von Roderic ist sehr wichtig. In Deutschland haben wir recht wenige Arten, die nur hier vorkommen, sie haben ein großes Verbreitungsgebiet, etwa in Nordeuropa, im mediterranen Raum. Madagaskar hingegen ist ein Hotspot der Biodiversität. Ein Großteil der Arten – etwa die Halbaffen, Lemuren – leben nur dort. Ein großer Teil der Tier- und Pflanzenarten ist wissenschaftlich noch nicht beschrieben, sozusagen noch nicht entdeckt. Es muss geforscht und Wissen erarbeitet werden.

Roderic, du willst also herausfinden: Wo lebt das Tier, warum lebt es nur dort?

Roderic: Hier in Hildesheim wissen wir, wie zum Beispiel der Feldsperling lebt. Wir wissen viel über das Zugverhalten der „Spatzen“, über das Paarungsverhalten, warum sie im Winter in warme Gebiete migrieren. Auf Madagaskar gibt es Arten, über die die Menschheit nichts weiß – gar nichts. Sie sind unbeschrieben. Man kann sie vielleicht grob einordnen. Aber über das komplette Verhalten der Tiere, über die Lebensraumansprüche und die Interaktionen der Tiere – mit Fressfeinden, mit Futterpflanzen –, also die Ökologie, ist aber nichts bekannt.

Warum ist es spannend, auf Madagaskar zu forschen?

Simon: Wir haben unseren ursprünglichen Wald degradiert und verloren, der ist weg – wir leben in von Menschen geschaffenen, künstlichen Landschaften. Der große Schatz auf Madagaskar ist: Dort ist unberührter, sogenannter Primärwald erhalten. Leider wird heute sehr viel Regenwald abgeholzt, er steht kurz vor dem Verschwinden. Als Biologe ist es wichtig das Wissen über Ökologie und Arten zu erweitern. Außerdem ist es für mich persönlich von großem Wert, diesen letzten verbleibenden Regenwald mit eigenen Augen zu sehen solange das noch geht.

Welche Nachricht nehmt ihr aus dem internationalen Studierendenaustausch mit in euer Heimatland?

Roderic: Es ist eine Ehre, hier in Hildesheim zu sein. So ein Austausch ist sehr wertvoll und mehr als das Aneignen von Wissen. Ich lerne etwas über die Geschichte der Stadt, über das Studentenleben an der Universität, über den Alltag in Deutschland. Ich weiß nun, wie der europäische Wald aussieht – ich habe natürlich nur ein Stück Hildesheimer Wald erlebt, der von Menschen gepflanzt und gepflegt wird. Auch auf Madagaskar haben wir gepflanzten Wald – aber auch noch den ursprünglichen primären Wald. Wenn wir weiter Wald abholzen, müssen wir dafür sorgen, Wald auch anzupflanzen und zu schützen.

Du lebst heute im Osten Madagaskars – hast du in deiner Kindheit erlebt, wie Wald abgeholzt wurde?

Roderic: Als ich neun Jahre alt war, habe ich den Wald in meinem Dorf erkundet:  Bäume im Park – gepflegt von Menschen. Als ich zehn Jahre alt war, bin ich mit meiner Familie in den Südosten gezogen – wir lebten an der Grenze zwischen der Stadt und dem unberührten Primärwald. Hinter unserem Haus lebten Schlangen, Lemuren, Chamäleons. Jahre später kam ich zurück: ich war erschreckt, alles war abgeholzt, um daraus Holzkohle und Baumaterial zu fertigen. Alles war verschwunden, außer ein paar Vögel. Ich war sehr traurig – das war ein Teil meiner Kindheit, dort habe ich gespielt, mich zwischen Bäumen versteckt.

Und dann hast du dich für ein Umweltstudium entschieden?

Roderic: So habe ich meinen Berufswunsch entdeckt: Ich möchte Natur schützen. Es geht nicht alleine. Auf Madagaskar führe ich Studenten und Touristen durch die Natur. Ich bin in der Natur aufgewachsen, sie hat mich geprägt. Wenn diese Natur zerstört wird, schwindet ein Teil von mir. Ich bin ein modern-wilder Mensch. Darauf bin ich stolz, weil ich erfahren habe, welchen Wert die Natur hat. In meinem Studium – auch durch diesen Forschungsaufenthalt in Hildesheim – lerne ich, was meine Generation tun kann, um die Umwelt zu schützen.

Die Fragen stellte Isa Lange.

Kurz erklärt: Studium Umweltsicherung und Naturschutz

Die Universität Hildesheim bildet im Masterstudiengang „Umwelt, Naturschutz und Nachhaltigkeitsbildung“ und in der Bachelor-Studienvariante „Umweltsicherung“ Fachleute aus, die sich mit der Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen unseres Planeten befassen. Absolventen arbeiten zum Beispiel in den Bereichen Umweltsicherung und Umweltkommunikation, im Natur- und Umweltschutz bei Behörden, Verbänden oder Nichtregierungsorganisationen, in Planungsbüros und in der Umweltbildung bei staatlichen und freien Trägern.

Zu den Studieninhalten im Masterstudium gehören Umwelt- und Naturschutz, Biologie, Geographie, Umweltchemie/Ökotoxikologie und Nachhaltigkeit. Die Studierenden können sich spezialisieren für die Bereiche Mensch und Umwelt in historischer Perspektive, Angewandter Naturschutz oder Nachhaltigkeitsbildung.

Medienkontakt: Pressestelle der Uni Hildesheim (Isa Lange, 05121.883-90100, presse@uni-hildesheim.de)

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Forschen auf Madagaskar und in Deutschland: die Studenten Roderic Mahasoa und Simon Emken. Sie geben ihr Wissen zu Umwelt- und Naturschutz an die nächste Generation weiter: Jonah Ratsimbazafy, Jasmin Mantilla-Contreras, Torsten Richter und Eustache Miasa, hier während einer internationalen „Summer School" auf dem Campus der Uni Hildesheim. Lemuren, Amphibien und Reptilien haben sich in dem Inselstaat vor der Küste Ostafrikas vielfältig entwickelt, darunter der Blattschwanzgecko, der sich exzellent verstecken kann. Fotos: Isa Lange/Uni Hildesheim, Foto Gecko: Jasmin Mantilla-Contreras

Forschen auf Madagaskar und in Deutschland: die Studenten Roderic Mahasoa und Simon Emken. Sie geben ihr Wissen zu Umwelt- und Naturschutz an die nächste Generation weiter: Jonah Ratsimbazafy, Jasmin Mantilla-Contreras, Torsten Richter und Eustache Miasa, hier während einer internationalen „Summer School" auf dem Campus der Uni Hildesheim. Lemuren, Amphibien und Reptilien haben sich in dem Inselstaat vor der Küste Ostafrikas vielfältig entwickelt, darunter der Blattschwanzgecko, der sich exzellent verstecken kann. Fotos: Isa Lange/Uni Hildesheim, Foto Gecko: Jasmin Mantilla-Contreras