Professor Dr. Klaus Schmid: „Die Absolventen werden uns aus den Händen gerissen“

Montag, 09. November 2020 um 10:10 Uhr

Überdurchschnittlich viele Hildesheimer Uni-Absolventen verlassen nach dem Studium die Stadt, legt eine Studie nahe. Das will Professor Dr. Klaus Schmid so nicht stehen lassen.

Studie mit Schwachstellen

Im niedersachsenweiten Vergleich verlassen in Hildesheim überdurchschnittlich viele Uni-Absolventen die Stadt und stehen somit dem regionalen Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung. Das ist ein Ergebnis der Studie „Arbeitsmarkt der Zukunft – ein Regionalprofil für Hildesheim“ die vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln im Auftrag von Niedersachsen Metall durchgeführt wurde. Die Anfang Oktober veröffentlichten Ergebnisse erzielten auch medial einige Aufmerksamkeit, doch bei genauerem Hinsehen lassen sich etliche Schwachstellen der Analyse identifizieren. Das sagt Professor Dr. Klaus Schmid, Dekan im Fachbereich 4, wo Studierende in den Bereichen Angewandte Informatik, Wirtschaftsinformatik, Informationsmanagement und Informationstechnologie sowie Data Analytics ausgebildet werden. Einerseits ist anhand der Studie nicht klar, wie repräsentativ die befragten Unternehmen sind, und andererseits ist die Betrachtung von Unternehmen eine sehr verengte Perspektive, wenn man die vielfältigen Beiträge einer Universität betrachtet.

Grundsätzlich verzeichnet Hildesheim eine hohe Nettoabwanderung in der Altersgruppe der 20- bis 25-Jährigen, also derjenigen, die typischerweise vom Studium in ihren ersten Job wechseln“, heißt es in der Studie. Schmid verweist dazu auf die zahlreichen Lehramtsabsolvent*innen, die am Hochschulstandort Hildesheim für den gesamten niedersächsischen Raum ausgebildet werden. Das allein betreffe rund ein Drittel aller Studierenden, von denen „politisch gewollt“ nur ein kleiner Teil in der Region verbleibe. „Das kann die Uni auch nicht fundamental ändern. – Trotzdem leistet sie damit einen sehr wesentlichen Beitrag für die Region und darüber hinaus.“

Weitere Absolvent*innen hingegen blieben durchaus im Raum Hildesheim-Hannover, würden aber statt in Wirtschaftsunternehmen in Behörden und öffentlicher Verwaltung unterkommen. „Für die Umwelt-Studiengänge beispielsweise war es eine bewusste Entscheidung, den Ausbildungsfokus am eher kleinen Standort Hildesheim gezielt auf die Unterstützung der öffentlichen Hand sowie von Planungsbüros und gemeinnützigen Unternehmen auszurichten“, betont Schmid. Wer also seinen Bachelor of Science „Umweltsicherung“ oder seinen Master „Umwelt, Naturschutz und Nachhaltigkeit“ in der Tasche hat, arbeitet hinterher vielleicht in einer regionalen Naturschutz- oder Umweltbehörde oder einer anderen Institution außerhalb Hildesheims – wäre damit aber in der vorliegenden Arbeitsmarkt-Studie nicht erfasst worden.

Der Informatik-Schwerpunkt der Universität Hildesheim sticht positiv hervor, um die digitale Transformation aus der Region heraus zu meistern“, erkennen die Verfasser der Arbeitsmarkt-Studie zwar an, fügen jedoch hinzu: „Gleichwohl besteht keine optimale Synchronität zwischen dem Hochschulangebot und den Unternehmen.“ Eine Einordnung, die für Prof. Schmid nicht nachvollziehbar ist.

„Keine Uni bildet nur für den lokalen Markt aus“, betont Schmid. Zu fragen, inwieweit die Universität auch den lokalen (Akademiker-) Arbeitsmarkt stärkt, findet er aber grundsätzlich legitim. Genau dafür gibt es in seinem Fachbereich seit fast genau 20 Jahren den Arbeitskreis IT, in dem die Universität, in Kooperation mit der Industrie- und Handelskammer Hildesheim-Hannover in engem Austausch mit Unternehmen der Region steht. „Firmen, die sich für Kooperationsprojekte mit der Uni interessieren, rennen hier offene Türen ein“, formuliert es Schmid. „Ich würde sogar behaupten, dass das in einem solchen Umfang nur für wenige andere Standorte gilt.“ Auch auf anderen Ebenen sind Uni und Wirtschaft eng verzahnt: Alle Studierenden im Bereich IT müssen verpflichtend mindestens ein zehnwöchiges Unternehmenspraktikum absolvieren, viele arbeiten auch neben dem Studium bereits in Unternehmen mit. Es gibt zahlreiche Kooperationsprojekte für Bachelor- und Masterarbeiten und duale Studienmodelle mit Praxisphasen in Unternehmen.

Auch konstatiert die Studie zwar, dass die Universität Hildesheim mit dem Informatikschwerpunkt bereits gut positioniert ist, um Weiterbildungsangebote für die Wirtschaft zu machen, lässt dabei aber außen vor, dass der Informatikbereich bereits heute sehr engagiert ist.

Zudem, auch das kommt nach Schmids Ansicht in der Studie zu kurz, ist die Uni selbst ein wichtiger Wirtschaftsfaktor – als signifikanter Arbeitgeber und durch die jungen Menschen, die zum Studieren in die Stadt ziehen. „Das ist ein direkter Benefit für die Region.“

Fragt man regionale Unternehmen nach der Anzahl der bei ihnen beschäftigten Hildesheimer Uni-Abgänger*innen, werden die absoluten Zahlen vielleicht nicht hoch sein, vermutet Schmid. Doch sei die SUH zum Beispiel im Vergleich zur Leibniz Universität Hannover eben auch ein deutlich kleinerer Standort. Die in der Studie kritisierte „fehlende Passgenauigkeit“ zwischen ortsansässigen Unternehmen und der Hochschule sieht Schmid dennoch nicht. Für sein eigenes Fachgebiet, die Informatik, kann er jedenfalls mit Überzeugung sagen: „Die Absolvent*innen werden uns aus den Händen gerissen, aber natürlich schauen sie nicht nur in der Region nach möglichen Stellen, da sie überall gesucht sind.“

Text: Sara Reinke / Foto: Daniel Kunzfeld