Beatrix Kreß

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Beatrix Kreß (TU Chemnitz, Universität Hildesheim)

„Hoffnarr“ und „Bürgerschreck“ versus „kamir-batir“ und „barakobamas“ – Face Work Strategien, Stilisierungen und Inszenierungen in russischsprachigen und deutschsprachigen Diskussionsforen (zeit.de, spiegel.de, gazeta.ru, kommersant.ru)

Obwohl linguistische Konzepte von Höflichkeit, die die Wahrung, Stärkung oder Bedrohung des Face als Grundlage verbaler Höflichkeit annehmen, inzwischen in der linguistischen Pragmatik fest etabliert sind, wurden sie nicht erst hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit auf Computer vermittelter Kommunikation diskutiert. Insbesondere die Frage nach einem angloamerikanischen Bias bzw. nach einem kulturübergreifenden Erklärungsgehalt erregte die Gemüter. So stellen beispielsweise unter anderem Wierzbicka (1985) und Rathmayr (1996) die Geltung negativer Face Bedürfnisse für slawische Kulturen (insbesondere Russland und Polen) in Frage und betonen demgegenüber die hohe Wertigkeit positiver Höflichkeitsstrategien. Auch wenn diese Diskussion mittlerweile unter dem Hinweis auf mögliche kulturspezifische Ausprägungen unter dem „Dach“ des Face Work etwas an Brisanz verloren hat und auch die Aussagen zu einzelnen Kulturen (zum Russischen und Polnischen etwa durch Zemskaja 1997 und Ogiermann 2009) relativiert wurden, scheint die Frage nach kultureller Bevorzugung bestimmter Face Strategien (positiver oder negativer Ausprägung) und nach kulturspezifischen Spielarten im Rahmen bestimmter Strategien durchaus angebracht. Hier setzt der vorliegende Beitrag an: Auf der Basis zweier deutschsprachiger und zweier russischsprachiger Diskussionsforen sollen Face Strategien herausgearbeitet und kontrastiert werden. Die Foren stellen eine Form der „Anschlusskommunikation“ dar, die sich auf Artikel in den Onlinepräsenzen großer deutscher und russischer Qualitätszeitschriften/-zeitungen (im Falle von gazeta.ru handelt es sich um eine ausschließlich online erscheinende Zeitung) beziehen. Ausgewählt wurden dabei Beiträge aus der Rubrik „meistgelesen/meistkommentiert“ („Самое обсуждаемое“). Überwiegend sind dies politische Artikel/Kommentare, so dass die diesbezüglichen Diskussionen in den jeweiligen Foren in die kommunikative Gattung der politischen Debatte eingeordnet werden können. Dabei stehen insbesondere Face Work Strategien rund um den Ausdruck von Widerspruch zur Disposition. Hier lassen sich – auf der Grundlage einer qualitativ angelegten, sprachwissenschaftlichen Analyse – erste Tendenzen hinsichtlich eines (kultur?-)spezifischen Umgangs mit einem gesichtsbedrohenden Potential aufzeigen.

Im Fokus pragmatischer Höflichkeitsforschung standen natürlicherweise verbale Face Work Strategien. Dass Para- wie Nonverbales sicher auch entscheidend an der Beziehungsarbeit in der Face-to-face Interaktion mitwirkt, scheint jedoch unbestritten, ist nur hinsichtlich der Erfassung, Speicherung und Sichtbarmachung in der Analyse ungleich schwieriger. Die medialen Möglichkeiten der Computer vermittelten Kommunikation wiederum stellen den Nutzern unterschiedliche Wege zur Verfügung, um die räumliche Distanz und die dadurch verursachte Unmöglichkeit der direkten nonverbalen Kommunikation zu kompensieren, so beispielsweise durch Graphemik, Emoticons u. ä. Hier ist also para- wie nonverbales Handeln bereits fixiert und kann so in die Analyse von Höflichkeitsstrategien einbezogen werden. Allerdings erscheinen gerade im Bereich der „Selbstpräsentation“ Computer vermittelte Kommunikation und hier vor allem die sozialen Medien ungleich komplexer als direkte Interaktion: Mit einem selbst gewählten Usernamen kann eine Art nicht oder vielfältig adressiertes Kommunikationsangebot vollzogen werden, etwa, wenn sich jemand, wie im Titel erwähnt, als „Hofnarr“ oder „Bürgerschreck“ in die Interaktion einbringt. In den Profilen der Nutzer werden ihre Kommentare gespeichert, man kann den „Freundeskreis“ einsehen, evtl. sind Bilder eingestellt usw. – vielfältige soziale Hintergrundinformationen lassen sich so inszenieren und von den anderen Interaktionsteilnehmern einholen. Neben dem unmittelbaren Display von Face Work Strategien sollen daher auch darüber hinausgehende (Selbst- und Fremd-) Stilisierungen und Inszenierungen in die Analyse einbezogen werden. Dies trägt einerseits der Zugänglichkeit zu diesen Daten Rechnung, lässt aber anderseits auch eine Einbettung der Höflichkeitsstrategien in ein „personales Gesamtkonzept“ zu, was in vielen Fällen eine Präzisierung bzw. Desambiguierung hinsichtlich potentieller Intentionen ermöglicht. Die Analyse des Face Works wird dabei um den Stilisierungsbegriff (Spiegel 1997, Selting 1997) erweitert und auch hier bleibt die Frage nach einer (kultur-)spezifischen Nutzung bestehen.

Referenzen:

Ogiermann, Eva: Politeness and indirectness across cultures: A comparison of English, German, Polish and Russian requests, in: Journal of Politeness Research 5, 2009, 189-216.

Rathmayr, Renate: Pragmatik der Entschuldigungen. Vergleichende Untersuchung am Beispiel der russischen Sprache und Kultur, Böhlau, Wien 1996.

Selting, Margret: Interaktionale Stilistik: Methodologische Aspekte der Analyse von Sprechstilen. In: Sprech- und Gesprächsstile, hg. von Margret Selting und Barbara Sandig, Walter de Gruyter Berlin, New York 1997, 9 - 43.

Spiegel, Carmen: Selbst- und Fremdstilisierung in umweltpolitischen Auseinandersetzungen. In: Sprech- und Gesprächsstile, hg. von Margret Selting und Barbara Sandig, Walter de Gruyter Berlin, New York 1997, 286 - 317.

 

Wierzbicka, Anna: Different Cultures, Different Languages, Different Speech Acts. Polish vs. English, in: Journal of Pragmatics 9, 2-3, 1985, 145-178.

 

Zemskaja, E.A.: Kategorija vežlivosti: obščie voprosy – nacional`no kul`turnaja specifika russkogo jazyka, in: Zeitschrift für Slavische Philologie LVI, 1997, 271-301.