„Ohne die Frauencharaktere würde der Roman nicht funktionieren“

Donnerstag, 16. August 2018 um 12:53 Uhr

Nach drei Jahren Forschung schließen acht Doktorandinnen und Doktoranden derzeit ihre Doktorarbeit im Graduiertenkolleg „Gender und Bildung“ ab. Im Interview geben die Doktorandin Alexandra Mieth und der Doktorand Jöran Klatt Einblicke in ihre Forschungsarbeit.

Im Graduiertenkolleg „Gender und Bildung“ haben sich die Doktorandinnen und Doktoranden zum Beispiel mit Geschlecht in der Literatur, in Raptexten, in der bildenden Kunst und im Computerspiel auseinandergesetzt.

Im Kolleg fördert die Universität Hildesheim Promotionsprojekte aus den Erziehungs- und Sozialwissenschaften, den Literatur-, Sprach- und Kulturwissenschaften. Professorinnen und Professoren mehrerer Fachrichtungen begleiten die Promovierenden an der Universität Hildesheim, zu ihnen gehören die Erziehungswissenschaftlerinnen Professorin Kathrin Audehm und Professorin Meike Sophia Baader, die Sprachwissenschaftlerinnen Professorin Stefanie Brusberg-Kiermeier und Professorin Beatrix Kreß, der Soziologe Professor Michael Corsten, die Theaterwissenschaftlerin Professorin Annemarie Matzke und der Literaturwissenschaftler Professor Toni Tholen.

Das Kolleg ist interdisziplinär, also fachübergreifend, ausgerichtet. Die Stipendiatinnen und Stipendiaten tauschen regelmäßig Erkenntnisse aus – auf Tagungen, in Vorlesungsreihen, Workshops und in Arbeitssitzungen.

Während des dreijährigen Graduiertenkollegs haben die Doktorandinnen und Doktoranden an Angeboten der Karriereförderung teilgenommen und  sprachen zum Beispiel mit Professorin Meike Baader anlässlich ihres Vortrages über „Karrierewege in der Wissenschaft" und mit Markus  Weißhaupt über „Fördermöglichkeiten gegen Ende der Promotion“.

Das Graduiertenkolleg „Gender und Bildung“ wurde aus Mitteln des Professorinnenprogramms II finanziert, dass im Juni 2019 ausläuft. Insgesamt wurden acht Promotionsstipendien (monatlich 1250 Euro Unterstützung) vergeben.

„Wenn die Universität mit Ihrer Bewerbung im Professorinnenprogramm III ebenso erfolgreich ist wie im Professorinnenprogramm II, stehen die Chancen für die Fortsetzung des Graduiertenkollegs Gender und Bildung gut“, sagt die Gleichstellungsbeauftragte Dr. Silvia Lange.

„Ohne die Frauencharaktere würde der Roman nicht funktionieren“
Interview mit der Literaturwissenschaftlerin Alexandra Mieth

Die Literaturwissenschaftlerin Alexandra Mieth schließt derzeit ihre Doktorarbeit zum Thema „Selbstbildungsprozesse und Gender in Graham Greenes Romanen“ ab. In ihrer Forschung befasst sich Mieth mit der Literatur der Postmoderne und Klassischen Moderne und mit Bildungsromanen.

Was untersuchen Sie in Ihrer Promotion?

Ich untersuche Romane des britischen Autors Graham Greene, dessen Werk in Hollywood mit renommierten Schauspielerinnen und Schauspielern wie Elizabeth Taylor, Richard Burton, Richard Attenborough und Helen Mirren verfilmt wurde. Ich fokussiere unter anderem die weiblichen Charaktere in den Romanen „Brighton Rock“, „A Gun for Sale“ und „Travels with My Aunt“.

Warum ist das wichtig?

Greenes literarisches Werk wurde bisher in der Genderforschung kaum beachtet. Der Schriftsteller gilt als katholischer Autor, seine Romane wurden theologisch erforscht, seine männlichen Figuren wurden traditionell untersucht. Auch auf humanistische Aspekte der Romane ist bereits eingegangen worden. Die weiblichen Charaktere wurden bisher kaum betrachtet, ebenso wenig wie die Krise der Männlichkeit in Greenes Werken eingehend erforscht wurde. Als Bildungsromane wurden die Erzählungen noch nicht angemessen gewürdigt. Dabei ist Greene als humanistisch geprägter Autor zu betrachten, der von der Bildungs- und Selbstbildungsfähigkeit des Menschen überzeugt war. Dieser These gehe ich in meiner Doktorarbeit auf den Grund.

Was sind erste zentrale Erkenntnisse Ihrer Forschung?

Graham Greene wird vorgeworfen, in sämtlichen Romanen keinen einzigen starken weiblichen Charakter erschaffen zu haben – dem widerspreche ich. Greene zeichnet sehr imposante Frauen, die nicht dem traditionellen Muster als Mutter folgen. Es gibt Frauen, die diesem Muster völlig widersprechen. Ohne die Frauencharaktere in den drei Romanen, die ich untersucht habe, würde der Roman nicht funktionieren. Im Thriller „Brighton Rock“ übernimmt Ida Arnold die Rolle der Detektivin, sie sorgt für Moral und Ordnung und Gerechtigkeit – das macht sie zu einer sehr starken Persönlichkeit.
Greenes Werke sind eine neue Interpretation des Bildungsromans. Mit den in den Romanen dargestellten Schicksalen können sich Leserinnen und Leser identifizieren, das beginnt bei den gängigen Namen der Hauptfiguren im Roman „The Comedians“: Mr Jones, Mr Brown, Mr und Mrs Smith. Der Autor ermöglicht, dass die Schicksale seiner Figuren auf die Schicksale realer Menschen übertragbar sind. In Greenes Romanen durchlaufen die Handelnden unterschiedlichen Geschlechts und verschiedener Altersstufen Bildungsprozesse, die sie zum Teil auch gegen die Widerstände der Gesellschaft verfolgen.

Welche Bedeutung spielt das Graduiertenkolleg Gender und Bildung in Ihrem wissenschaftlichen Werdegang?

Ich habe Lehramt mit den Fächern Anglistik und Germanistik studiert. Professorin Brusberg-Kiermeier und Professor Tholen haben mich während meiner Doktorarbeit sehr unterstützt. Das Graduiertenkolleg bietet darüber hinaus die Chance, hilfreiche Hinweise von den anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu erhalten – die Einflüsse aus anderen Forschungsfeldern sind sehr anregend. Ein Graduiertenkolleg ist vor allem inhaltlich wertvoll, weit mehr als eine finanzielle Unterstützung. Ich schließe meine Doktorarbeit ab. Nun beginne ich meinen Vorbereitungsdienst an einer Grundschule in Niedersachsen – mit der Forschung werde ich am Nachmittag verbunden bleiben.

Die Fragen stellte Isa Lange.

„Im Netz versammeln sich unterschiedliche Menschen und formen Bündnisse“
Interview mit dem Politik- und Kommunikationswissenschaftler Jöran Klatt

Jöran Klatt hat an der Universität Göttingen Geschichte und Germanistik studiert. Seine Doktorarbeit im Rahmen des Hildesheimer Graduiertenkollegs „Gender und Bildung“ trägt den Titel: „Die #GamerGate-Kontroverse – Schmelztiegel der Gamer-Identität?“.

Mit welchem Thema befassen Sie sich in Ihrer Promotion?

Ich habe in meiner Doktorarbeit das Phänomen „#Gamer Gate“ untersucht, ein Streit, der im Internet in sozialen Netzwerken stattgefunden hat. Computerspielerinnen und Computerspieler haben sich seit 2014 organisiert, in der Debatte „#GamerGate“ ging es um Sexismus im Computerspiel, die vermeintliche Verstrickung von Spielejournalismus und Industrie aber auch um den Status des Computerspiels als entweder Kulturgut oder reinem Unterhaltungsprodukt. Die Auseinandersetzung zeigt die fragile Identität dieses jungen Milieus.

Ich forsche online-ethnografisch, ich bin sehr viel im Internet unterwegs, bewege mich in den sozialen Netzwerken, in denen die Kontroverse stattgefunden hat, und untersuche die Argumentationen. Sprachwissenschaftlich analysiere ich die Argumentationslinien.

Warum ist das wichtig?

Das Computerspielen bedeutet für die Computerspielerinnen und Computerspieler Identität. Ich möchte am Beispiel des Computerspiels herausfinden: Wo werden Identitäten verteidigt, herausgefordert, bestätigt, hinterfragt und kreiert?

Was sind erste zentrale Erkenntnisse Ihrer Forschung?

Der „#GamerGate“-Streit ist ein prototypisches Phänomen für viele Entwicklungen, die wir aktuell im Netz beobachten. Unterschiedliche Menschen versammeln sich und setzen sich zu Bündnissen zusammen, ein Interesse eint sie. Dieser Fall im Bereich der Computerspiele ist prototypisch für viele Phänomene des Politischen, das Netz befeuert die Auseinandersetzung – physische Räume werden leicht überwunden, das World Wide Web beflügelt die Bildung von neuen Bündnisketten. 

Welche Bedeutung spielt das Graduiertenkolleg Gender und Bildung in Ihrem wissenschaftlichen Werdegang?

Ich befinde mich derzeit mitten in der Niederschrift meiner Promotion. Mein Doktorvater ist Professor Corsten und meine Doktormutter Professorin Brusberg-Kiermeier, die Gespräche mit Professor Tholen sind äußerst wertvoll – er ist eine Koriphäe auf dem Gebiet der Männlichkeitsforschung. Obwohl das Kolleg inzwischen offiziell vorbei ist, stehen wir Stipendiatinnen und Stipendiaten noch in engem Austausch. Die Gemeinschaft war und ist eine große Hilfe.

Die Fragen stellte Isa Lange.


Doktorandin Alexandra Mieth und Doktorand Jöran Klatt. Professorin Meike Baader und Professor Toni Tholen gehören zu den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die die Promovierenden in den vergangenen drei Jahren auf ihren Forschungswegen begleitet haben. Fotos: Daniel Kunzfeld/Uni Hildesheim

Doktorandin Alexandra Mieth und Doktorand Jöran Klatt. Professorin Meike Baader und Professor Toni Tholen gehören zu den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die die Promovierenden in den vergangenen drei Jahren auf ihren Forschungswegen begleitet haben. Fotos: Daniel Kunzfeld/Uni Hildesheim