Gespräche analysieren, um Sprache zu begreifen – Prof. Dr. Elisabeth Reber ist Professorin für englische Linguistik

Mittwoch, 19. März 2025 um 14:05 Uhr

Sprache ist ständig im Wandel und trägt selbst in ihren subtilsten Strukturen eine Bedeutung in sich. „Das Interesse daran, dass Sprache auf der Mikroebene der sozialen Interaktion bedeutungsgebend ist, hat mich nie losgelassen und begleitet mich schon mein gesamtes Forschungsleben“, betont Prof. Dr. Elisabeth Reber, die aktuell Dimensionen sprachlicher Veränderung in verschiedenen kommunikativen Kontexten untersucht. Seit dem 1. Februar 2025 ist sie Professorin für Englische Linguistik an der Universität Hildesheim. Bevor sie die Professur übernahm, war sie bereits für knapp drei Semester als Vertretungsprofessorin an der Universität tätig.

Reber studierte bis 2002 Englische Sprachwissenschaft und mittelalterliche Literatur, Nordische Philologie und Interkulturelle Kommunikation in München. Anschließend promovierte sie 2008 in Potsdam und befasste sich schon damals mit Interaktionsanalyse. In ihrer Forschung beschäftigte sie sich mit Affektivität im Gespräch. Die Sprachwissenschaftlerin untersuchte, wie Sprecher*innen in authentischen englischen Telefongesprächen zwischen Familie und Freunden Interjektionen wie oh und ah benutzen oder auch verschiedene Schnalzlaute, um Affektivität darzustellen. Ihre Untersuchungen zeigten, dass auch diese Lautobjekte an bestimmten Stellen produziert werden: „Sprache und Interaktion ist immer systematisch, das heißt, es herrscht immer eine strukturelle Ordnung in Gesprächen. Ein Teil der sprachlich-kommunikativen Kompetenz besteht darin, zu wissen, wie bestimmte Lautobjekte produziert werden, um eine Bedeutung zu vermitteln, ohne diese explizit in Worte zu fassen. Statt direkt zu sagen ‚Ich bin enttäuscht‘ oder ‚Ich fühle Mitleid‘, erzeugen wir mehr oder weniger konventionalisierte Laute, die kommunikativ funktional sind, auf die wir aber nicht eindeutig festgelegt werden können. Gerade in sozial schwierigen Situationen kann diese Unklarheit eine machtvolle kommunikative Ressource sein“, erklärt Reber. Nach ihrer Promotion ging sie nach einer kurzen Station in Erlangen nach Würzburg und war dort von 2011 bis 2023 an der Universität als Akademische Rätin auf Zeit beschäftigt. Von 2012 bis 2019 leitete sie gemeinsam mit Dr. Cornelia Gerhardt, Universität des Saarlandes, das von der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) geförderte wissenschaftliche Netzwerk „Multimodality and Embodied Interaction“. 2016 erhielt sie ein Forschungsstipendium der DFG und verbrachte einen mehrmonatigen Forschungsaufenthalt an der University of California, Santa Barbara. Dort gewann sie wertvolle Erkenntnisse, insbesondere im Bereich der institutionellen Kommunikation, und konnte ihre Forschung durch den interdisziplinären Austausch mit Soziolog*innen und Linguist*innen weiter vertiefen. Ihre Untersuchung zum Wandel von Zitierweisen in der Fragestunde mit dem Premierminister im britischen Unterhaus reichte sie als Habilitationsschrift in Potsdam ein, wo sie 2019 habilitiert wurde.

Sprache im Wandel: Wird Sprache immer informeller?

Von 2022 bis 2023 arbeitete die Sprachwissenschaftlerin als Vertretungsprofessorin in Bonn. In dieser Zeit war sie Mitglied des Arbeitskreises „Demokratisierung und Machtstrukturen“ zur Beantragung eines Sonderforschungsbereichs (SFB), in dem sie ihr laufendes Forschungsprojekt zu sprachlichen Praktiken in Gerichtsanhörungen entwickelte. Dabei untersucht sie, wie sich der Sprachgebrauch im 20. und 21. Jahrhundert verändert hat, und wie sich dieser auch geografisch, zwischen verschiedenen englischsprachigen Ländern unterscheidet. Ein Schwerpunkt des Projekts liegt auf Anhörungen am obersten Gerichtshof in den USA und Australien. Reber betrachtet Anredeformen von Richter*innen. Innerhalb ihrer Forschung lässt sich erkennen, dass Sprache selbst in formellen Kontexten informeller wird. Diese allgemeinen Entwicklungen lassen sich nicht nur im Englischen, sondern auch in anderen Sprachen beobachten: „In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts begann sich das allmählich zu ändern, aber wenn ich an meine Eltern in den 60er Jahren denke, war es damals unter Studierenden noch nicht ganz selbstverständlich, sich zu duzen. Das Siezen war durchaus üblich. Heute hingegen ist es ganz normal, dass man sich duzt, sowohl unter Studierenden als auch zunehmend am Arbeitsplatz. Das zeigt, dass sich der Sprachgebrauch im Laufe der Zeit gewandelt hat, eine Entwicklung, die auch im eigenen Alltag beobachtet werden kann, besonders im Gespräch mit älteren Menschen.“

Die Forschung in Hildesheim

Die Professur der Wissenschaftlerin ist im Profilfeld „KI im Alltag“ angesiedelt, wobei sie als Sprachwissenschaftlerin mit einem Hintergrund in der Gesprächsforschung großes Forschungspotential in zwei Forschungsfeldern sieht. Zum einen plant sie KI-gestützte Methoden einzusetzen, um Forschungsprozesse zu erleichtern, etwa durch automatisierte Spracherkennung für Transkriptionen. Zum anderen ist von Interesse, wie Menschen KI-gestützte Systeme im Alltag nutzen, beispielsweise in der Kommunikation mit Chatbots oder im Fremdsprachenunterricht. Reber bietet im Sommersemester ein Seminar zur digitalen Interaktion an und möchte in ihren Seminaren den kritischen Umgang mit der Nutzung von KI in der Wissenschaft fördern. Am Institut verbindet sich mit Prof. Dr. Nils Jäkel, der die Professur für englische Fachdidaktik und Zweitspracherwerb übernommen hat, ein Forschungsinteresse an KI im Klassenzimmer.

Auch innerhalb des Fachbereichs 3 in Hildesheim strebt Reber fachübergreifende Projekte an. So sind unter anderem bereits Kooperationen mit sprachwissenschaftlichen Professuren über die Anglistik hinaus und mit den Informationswissenschaften geplant: „Die Interdisziplinarität war in der Ausschreibung für die Professur genannt und ist etwas, das meine Forschung stets geprägt hat. Es ist mir ein großes Anliegen, über Fachgrenzen hinaus zusammenzuarbeiten.“


Prof. Dr. Reber vor dem Porträt von Karl Bühler, das sich auf dem Bühler-Campus der Universität Hildesheim befindet: „Karl Bühler betrachtet das sprachliche Zeichen als ein (kommunikatives) Werkzeug. Diese funktionale Sichtweise auf Sprache zieht sich durch meine Forschungstätigkeit wie ein roter Faden“, betont die Sprachwissenschaftlerin. Foto: Laura-Marina Bade