Abgeschlossene Promotionsprojekte seit 2013

Lorenz Heimbrecht (Prof. Dr. Rolf Elberfeld, PD Dr. Christian Grüny)

Eine phänomenologische Untersuchung zum sinnvollen Sprechen über musikalische Ereignisse und die Konsequenzen für ein entsprechendes Üben

Das Problem über musikalische Ereignisse zu sprechen – ganz gleich, ob professionell deformiert oder unverstellt ohne Vorwissen – erfährt jeder, der sich versucht dazu zu äußern. Mag dieses Bedürfnis sich äußern zu wollen nach einem Konzert, am Anfang einer Probe, im Musikunterricht oder durch einen wissenschaftlichen Text sein, immer stellt sich eine gewisse Sprachlosigkeit ein.

Das Bedürfnis sich zu äußern aber erwächst in den meisten zuvor aufgeführten Situationen aus der Notwendigkeit, sich verständigen zu müssen.

Dass sich Musik so gegen Sprache sperrt, folgt aus der anthropologischen Weise ihrer Entstehung. Musik ist in vieler (z.B. linguistischer, sprachphilosophischer) Hinsicht keine Sprache und entsprechend nicht übersetzbar. Hier wird die These vertreten, dass während des musikalischen Ereignisses in einer gewissen Hinsicht Wittgensteins Schweigen herrschen muss. Ein der Sinne volles Sprechen kann dann nur vor oder nach dem Ereignis stattfinden in einem unterhalb der Sprache suchenden Prozess und ist damit mit Blumenberg notwendig metaphorisch. Diese Metaphern müssen ihrem Charakter nach leiblich sein. Lackoff und Johnson sehen das basal Leibliche als einen wesentlichen Bestandteil der Metapher. 

Bei dem Üben zu einer ersten Sprache über Musik könnte es deshalb sehr hilfreich sein, sich grammatikalisch auf eine einfache Sprache zu konzentrieren, die systematisch und konsequent leibliche Metaphern in den Mittelpunkt stellt. Wie sich ein strukturierter Angang an eine solches Üben gestalten lässt, ist Anliegen der Arbeit.      

Yukiko Kuwayama (Prof. Dr. Rolf Elberfeld)

Phänomenologie des Gefühls – im Horizont des ostasiatischen Ki-Begriffs

Das Dissertationsprojekt beschäftigt sich damit, verschiedene sprachliche Ausdrucksweisen im Umkreis des japanischen Ki-Begriffs (chin. Qi) für eine Phänomenologie des Gefühls fruchtbar zu machen. Neben der Verwendung des Ki-Begriffs in ursprünglich ostasiatischen Übungspraktiken wie z.B. Taichi, Qigong oder Aikido ist dieses Wort-Zeichen im alltäglichen japanischen Sprachgebrauch äußerst häufig zu finden. Sein Bedeutungsspektrum umfasst die örtliche, aber auch persönliche und akut sich aufdrängende, aber auch nur vage zu empfindende Stimmung, die klimatische Situation, eine leiblich-geistige Qualität / Intension (fokussierte Aufmerksamkeit, energetische oder kraftvolle Schwere, ziehende Tiefe, etc.) oder Ausdehnung (defokussierte, zerstreute Aufmerksamkeit, Erleichterung, Eins-Sein mit der Atmosphäre, etc.).

In der Dissertation beschränke ich mich nach einer Einführung in den historischen Hintergrund der Entstehung des Ki(Qi) - Begriffs und deren Interpretationsentwicklungen darauf, drei auf einander bezogene Thesen zur Phänomenologie des Gefühls im Zusammenhang mit dem Ki-Begriff in Ostasien zu entwickeln. darzustellen, die durch eine Betrachtung der verschiedenen japanischen Ausdrücke im Zusammenhang mit Ki, sowie eine phänomenologische Betrachtung des Fühlens herausgestellt werden können: 

1.           Gefühle zeigen sich immer in unserem Leib-sein. Dieses Leib-sein ist zugleich direkt verbunden mit seiner Umgebung bzw. steht in Wechselwirkung mit anderen leiblich situierten Menschen. (Merleau-Ponty, Thomas Fuchs)

2.           Gefühle sind in radikaler Weise als intersubjektive, zwischenleibliche und somit stark situationsabhängige, inter-energetische Phänomene anzusehen. (Merleau-Ponty, Fuchs, Kimura Bin)

3.           Bei einer von Gefühlen betroffenen Person ist eine mediale (im Sinne des grammatischen Mediums) bzw. spontane Entstehungsweise der Gefühle zu erkennen, die durch die Terminologie des Ki näher beschrieben werden kann.

Das Zentrum der Arbeit besteht in der Zusammenführung phänomenologischer Gefühlsbeschreibungen mit den Beschreibungsmöglichkeiten der Ki-Terminologie in der japanischen Sprache.

Johann Szews (Prof. Dr. Andreas Hetzel)

Die Ökonomie der Zeit. Studien zu Nietzsche und Foucault

Die für moderne Gesellschaften charakteristische Orientierung an einer offenen Zukunft ist eng verbunden mit ökonomischen Subjektivierungsformen und Machtverhältnissen. Johann Szews thematisiert die ambivalente Form dieser modernen Ökonomie der Zeit. Er untersucht zunächst – ausgehend vom Begriff der Verschuldung – den Zusammenhang von Zeit, Ökonomie und Macht in Nietzsches Genealogie der Moral. Mit Foucault wird dann gezeigt, dass das ökonomische Zeitregime nicht nur repressive Funktion hat, sondern auch ein befreiendes Moment enthält. Auf dieser Grundlage führt die Studie abschließend eine kritische Befragung neoliberaler Zeitregime durch.

Ilona Schweitzer (Prof. Dr. Rolf Elberfeld)

Prozessdenken bei Alfred North Whitehead und Gilles Deleuze

In meiner Dissertation wird die Kompatibilität von Figuren des Prozessdenkens bei Alfred North Whitehead und Gilles Deleuze untersucht. Ausgehend von den Resonanzen im Denken beider Philosophen, die die Whitehead- und Deleuze-Forschung bisher gesehen hat, werde ich mich auch auf die Differenzen in den Grundannahmen Whiteheads und Deleuzes beziehen und fragen, ob sie einander ausschließen oder sich produktiv ergänzen. Das betrifft das Konjunktionspostulat bei Whitehead und das Disjunktionspostulat bei Deleuze hinsichtlich des basalen Prozessgeschehens ebenso wie die Architektur der Selbstorganisationsebenen 'God' bei Whitehead und 'le plan d'immanence' bei Deleuze. Des Weiteren werde ich die Anschlussfähigkeit beider Prozessphilosophien in zwei Richtungen diskutieren: a) im Hinblick auf Konzeptualisierungen der Virtualität in der Philosophie der Quantenphysik b) im Hinblick auf Konzeptualisierungen des Werdens in ausgewählten asiatischen Philosophien.

Hiroyuki Akatsuka (Prof. Dr. Rolf Elberfeld)

Vom Problem der Geschichte in Heideggers Denken (zur Dissertation)

In meiner Dissertation geht es um das Problem der Geschichte in Heideggers Philosophie. Insbesondere betrachtet ich, wie die Beziehung des Seins des Menschen zur Geschichte in seinem Denken begriffen wird. Demzufolge, wie Heidegger die Geschichtlichkeit der menschliche Existenz aus der „Wiederholung“ der Existenz vom gewesenen Menschen als Möglichkeit in „Sein und Zeit“ aufweist, enthält die Geschichte in seinem Denken immer das Charakteristikum des ontologischen Zusammenhangs zwischen dem gegenwärtigem Menschen und dem gewesenen Menschen. Durch dieses Charakteristikum kann Heidegger einen Zugang zum Sein bahnen und zugleich seine philosophische Methode der Seinsfrage als das ‚geschichtliche Denken‘ ausarbeiten.

Sein Einblick in diesen Zusammenhang kann schon in der Problematik der Hermeneutik der Faktizität in seinem frühen Denken gesehen werden. Meines Erachtens wird dieser Einblick insbesondere in der Frage nach dem ‚Historischen‘ deutlich. Die Betrachtung dieses Zusammenhangs wird konkret anhand einer Interpretation zu den „Briefen des Paulus“ in der zweiten Hälfte der Vorlesung „Einleitung in die Phänomenologie der Religion“ durchgeführt.

Meiner Meinung nach greift dieser Zusammenhang vor allem in die Problematik des späten Denkens über, insbesondere in die Methode des geschichtlichen Denkens in dem Werk „Beiträge zur Philosophie“. Beispielsweise gründet das sogenannte ‚Zuspiel‘ zwischen dem ersten und dem anderen Anfang, der sich hier als die Methode des ‚seins-geschichtlichen Denkens‘ in dieser Schrift bestimmt, auf diesem geschichtlichen Zusammenhang zwischen dem gewesenen und dem gegenwärtigen Denker. Doch dies bedeutet nicht, dass der Einblick in die Geschichte noch im Gedankenkreis von „Sein und Zeit“ verbleibt. Es gibt einen klaren Unterschied zwischen der Geschichtlichkeit in „Sein und Zeit“ und der sogenannten ‚Geschichtlichkeit‘ als Geschick im späten Denken. In Bezug auf den Unterschied gehört die Geschichtlichkeit als das ursprüngliche Wesen der Geschichte in „Sein und Zeit“ zur Existenz des Menschen und bestimmt den geschichtlichen Zusammenhang zwischen den Menschen. Dem gegenüber geschieht die ‚Geschichtlichkeit‘ im späten Denken als der ‚Ort‘ der Geschichte, an dem die Geschichte unmittelbar in den geschichtlichen Zusammenhang zwischen die Menschen kommt, und zugleich diesen Zusammenhang als diesen geschichtlichen Zusammenhang begründet. Deswegen kann der Denker ‚seins-geschichtliches Denken‘ erst durch die Auseinandersetzung mit den gewesenen Denker vollziehen und nach der Geschichte selbst fragen. Ich möchte diesen Punkt dadurch erklären, dass ich den Zusammenhang zwischen dem Begriff „Geschichte“ und dem „seinsgeschichtlichen Denken“ in „Beiträge zur Philosophie“ betrachte.

Hinsichtlich dieses Vorhabens soll es um die Interpretation von Hölderlin und Nietzsche durch Heidegger gehen, bevor hauptsächlich die „Beiträge zur Philosophie“ behandelt werden. Denn wie Heidegger selbst betont, spielt die Interpretation der beiden eine sehr wichtige Rolle für sein spätes Denken. Deswegen will ich den Zusammenhang zwischen der Frage nach der Geschichte im späten Denken und dieser Interpretation beschreiben, indem ich diese Interpretation von Hölderlin und Nietzsche im Hinblick auf die Geschichte betrachte.

In meiner Arbeit soll es zuletzt um Heideggers Denken über die Kunst als das Problem der Anderen und der Geschichte gehen. Denn ich bin der Meinung, dass es sich in seinem Denken über die Kunst um die Bestimmung der Geschichte anhand konkreter Sachen, das heißt, anhand von Kunstwerken handelt. Der Zusammenhang zwischen Bewahrenden und Schaffenden und dem Kunstwerk kann als der geschichtliche Zusammenhang begriffen werden und die Kunst kann meiner Ansicht nach auch als der Ort der Entstehung dieses Zusammenhangs beschrieben werden.

Von diesen viere Studien ausgehend will ich die Geschichtlichkeit der Geschichte bei Heidegger, insbesondere in seinem Denken der späten 1930er Jahren nicht nur als den Sinn vom Seinsverstehen und dem methodischen Grund des geschichtlichen Denkens erarbeiten, sondern auch sie zugleich als die Eröffnung des Geschehnisses des ontologischen Zusammenhangs zwischen dem gegenwärtigen und dem gewesenen Menschen deutlich charakterisieren.

Katrin Felgenhauer (Prof. Dr. Andreas Hetzel)

Zwischen Uns – Integration im Aspekt einer performativen Sozialphilosophie

Die zentrale Frage jeder Sozialphilosophie ist die nach den Bedingungen der Möglichkeit von sozialer Integration. Nach wie vor wird diese Frage vom Mainstream der Integrationsforschung hauptsächlich ausgehend von den Konzepten abendländischer Subjektphilosophie beantwortet. Insofern wird stets von der Vorstellung einer bestimmten Ordnung des Sozialen ausgegangen. Hieraus folgen Ansätze, die entweder egozentrisch eine assimilative, logozentrisch eine multikulturalistische oder eurozentrisch eine neo-assimilative Integrationspolitik begründen. Die zunehmende Kritik an der Integrationspolitik hierzulande lässt allerdings fraglich werden, inwiefern der Begriff der sozialen Integration überhaupt an einer vernünftigen Idee ausgerichtet ist: Schon im Ausgang von einer bestimmten Ordnung des Sozialen wird die eigentlich interessante Frage, nämlich wie soziale Ordnung überhaupt möglich ist, zumeist übergangen.

Das Promotionsvorhaben will eine Sozialontologie erarbeiten, in deren Horizont die Frage nach sozialer Integration sinnvoll gestellt werden kann. Hierfür erscheint es allererst notwendig, dass eine soziale Relation, bspw. die Dyade Ego-Alter, auch als eine solche im Rahmen einer Sozialphilosophie begriffen werden kann. D.h., dass weder Ego noch Alter noch die Relation den Primat in der Theorie behauptet. Denn andernfalls wird die soziale Relation von einem ihrer Elemente abgeleitet und kann folglich nicht mehr als genuin soziale vorgestellt werden.

Es ist also zuallererst zu klären, wie das Eigene (Ego), das Fremde (Alter) und das Verhältnis zwischen ihnen je begriffen und theoretisch eingeholt werden kann, so dass alle drei Aspekte einer sozialen Relation als systematisch gleichursprünglich gedacht werden können, ohne hierbei gleichgesetzt zu werden. Hieran anschließend stellt sich mir die Frage nach der Konstitution sozialer Ordnung zwischen Ego und Alter als performativer Vollzug sozialer Integration. Das Verhältnis zwischen Ego und Alter als einen performativen Vollzug zu begreifen, hängt hierbei primär damit zusammen, dass es mir um das Erfassen des Phänomens einer wirklichen körper-leiblichen Interaktion geht. Sozialität ist insofern als lebendiger Vollzug ernst zu nehmen.

Sool Park (Prof. Rolf Elberfeld, Prof. Martin Lehnert)

Übersetzung als Wahrheitstechnik 

Philosophie muss sich der Sprache bedienen, um sich mitzuteilen. Sonst hätte sie keine Wirkung in der Welt, keine Geschichte. Als besonders allgemeinheitsfähige Kommunikation wurden philosophische Sprachzeugnisse schon seit den ersten tieferen Kulturkontakten übersetzt und haben über die Sprachbarriere hinweg ihre transformierenden Wirkungen entfaltet. Doch die vorerst unreflektierte Einstellung gegenüber der sprachlichen Darstellung bzw. Darstellbarkeit der Philosophie erleidet im Prozess der Übersetzung notwendig eine Fokussierung auf das Medium der Sprache. Denn die Frage über die Übersetzbarkeit zwischen verschiedenen Sprachen muss im zweiten Schritt zurückgeführt werden auf die Übersetzbarkeit der philosophischen Erkenntnis, hier kursorisch Wahrheit genannt, in die Sprache überhaupt. 

Die Sprache bzw. Textualität der Philosophie ermöglicht die Vermittlung von spezifisch philosophischer Erkenntnisse, die dezidiert nichtempirischen Charakter tragen (“nichtpropositionale Erkenntnisse”) und deren performative Seite oft betont wird (“Philosophie ist keine Lehre, sondern eine Tätigkeit”). Die Sprachnot, die für dieses Unternehmen typisch zu sein scheint, deutet auf die ursprünglich nicht-referentielle (nicht-semantische) Rolle der Sprache in Sache der Philosophie. Philosophie muss sich eines uneigentlichen Spachmodi bemächtigen (“Als-ob”), um ihre Aufgabe angemessen umsetzen zu können. Die daraus resultierende Textualität subsumiere ich unter dem Begriff der Obskurität, und fasse sie auf als eine Technik zur Aufstellung von fingierten Verständnishindernissen, die eine andere Art von Erkenntnis induzieren sollen. In diesem Punkt teilt Philosophie einen gemeinsamen Grund mit dem dichterischen, künstlerischen und schließlich religiösen Sprechen. 

Bei näherem Hinschauen lässt sich eine Reihe technischer Mitteln ausmachen, die beim Vorgang der Übersetzung philosophischer eingesetzt werden, um der spezifischen Situation philosophischen Sprachgebrauchs gerecht zu werden: Äußerste Wörtlichkeit, phonetische Übersetzung, interlineare Übersetzung, Hybride Textualität, materielle Übersetzung und nicht zuletzt Übersetzungsverbot. Diese Übersetzungsstrategien, die in mehreren Übersetzungssituationen verschiedener Epochen und Kulturen wiederholt vorkommen, weisen auf dieselbe Schwierigkeit hin, das Ausdrucksproblem der Philosophie performativ zu bewältigen. 

In der geplanten Arbeit wird dreierlei versucht: 1) Bestimmung des Übersetzungsbegriffs im Kontext des globalen Philosophierens. 2) Analyse der typischen Übersetzungsstrategien sowie ausgewählten Übersetzungssituationen bzgl. philosophischer Texte. 3) Übersetzung und Kommentierung des mittelalterlichen koreanischen Textes “Spiegel des Zen”.  

Alidoust Abdullah (Prof. Dr. Andreas Hetzel)

Gerechtigkeit und soziale Integrität. Wechselseitige Anerkennung als Leitmotiv zum Verständnis von Gerechtigkeitsforderungen

 Die zeitgenössischen Theorien der Gerechtigkeit verstehen sich in erster Linie als Theorien einer distributiven Gerechtigkeit. Sie reduzieren den Eigensinn des Ethischen auf ein Verteilungskalkül zwischen bereits fertig konstituierten Gemeinschaften bzw. Subjekten. Damit bekommen sie die normativ gehaltvollen Prozesse einer Subjekt- und Gemeinschaftsbildung nicht in den Blick, die im Zentrum der aktuellen sozialphilosophischen Debatten um Anerkennung stehen. Ausgehend von einer Ethik der Anerkennung versucht die Arbeit, diesem Desiderat der Gerechtigkeitstheorien zu begegnen; folglich geht sie im Anschluss an Hegel und Honneth davon aus, dass moderne Gesellschaften durch drei klar umrissene soziale Sphären strukturiert sind, und untersucht die jeweils sphärenspezifisch immanent-normativen Ideen der Gerechtigkeit. Auf der Ebene der persönlichen Beziehungen (Freundschaft, romantische Liebe und Familie) ist darauf zu schauen, wie es fern von struktureller Gewalt, Missachtung und Demütigung gelingen kann, Subjekte mit dem notwendigen Maß an Selbstvertrauen (psychische Integrität) auszustatten. Die zweite Ebene, die der demokratischen Sittlichkeit, ist normativ daran zu beurteilen, inwiefern sie über ihren institutionalisierten Rahmen hinaus über das notwendige Sensorium verfügt, soziale und politische Empörung jederart (auch die, welche sich im vorpolitischen Stadium abspielt) ernst zu nehmen. Eine wohlgeordnete Gesellschaft hat ihre normative Folie um Verfahren des Zugangs zu der Gesellschaft selbst sowie zu den Entscheidungsstrukturen in dieser Gesellschaft zu ergänzen: das Recht, Rechte zu haben, darf sich nicht lediglich an etablierten Strukturen und Verteilungsverfahren orientieren und messen. Vielmehr sollen Gesellschaften ihre Mitglieder mit sozialen, politischen sowie wirtschaftlichen Partizipationsaussichten in dem Maße ausstatten, dass sie sich als vollwertige Mitglieder (Inklusion, soziale Anerkennung, Einbezogenheit) auffassen. Im ökonomischen Bereich schließlich soll statt von abstrakten gesamtgesellschaftlichen Verteilungsverfahren auf die Rolle von Korporationen (Interessengemeinschaft) für eine gelebte Gerechtigkeit ausgegangen werden. In der ökonomischen Theorie wird nur noch selten von Korporation (Solidarität) gesprochen. Stattdessen ist der Grundsatz von Adam Smith, wonach im Liberalismus die unsichtbare Hand für alle sorgen würde, weitgehend akzeptiert und anerkannt. Dabei wird nur sporadisch darauf eingegangen, dass die Ressourcen und das Reichtum einer jeden Gesellschaft nur im Zuge von Korporationsgefügen und Gemeinschaftsbemühungen entstehen bzw. produziert werden. Mit anderen Worten, die grundsätzlichen Strukturen der Produktion finden kaum Beachtung. Statt das Übel der gesellschaftlichen Ungleichverteilung direkt anzugehen, werden Korrekturen vorgeschlagen, welche die herrschende Elite nicht allzu sehr beeinträchtigen und die bestehenden Strukturen nicht prinzipiell in Frage stellen. Demgegenüber soll in der Arbeit die Semantik der Korporation neu belebt und in gerechtigkeitstheoretischer Hinsicht erschlossen werden.       

Krisha Kops (Prof. Dr. Rolf Elberfeld)

Moderne Interpretationen der Bhagavadgītā. Kontextualisierung und Dekontextualisierung eines Textes im interkulturellen Zusammenhang

Die Bhagavadgītā wurde seit jeher unterschiedlich gedeutet. Insbesondere die modernen Interpretationen scheinen sich teils gar diametral entgegenzustehen. Ein Teil dieser Arbeit analysiert vier solcher Interpretationen. Die da wären: Sarvepalli Radhakrishnan, der in der Gītā die Bestätigung für seine Philosophie der evolutionären Annäherung zwischen Osten und Westen mit dem Ziel einer spirituell vereinten Welt findet; Albert Schweitzer, der den Auszug aus dem Epos als „das meist idealisierte Buch der Weltliteratur“ wahrnimmt, ein Buch, das für ihn Weltverneinung und Unethisches beinhaltet; Mohandas Karamchand Gandhi, der daraus seine Philosophie des Ahiṃsā (Gewaltlosigkeit) und Satyāgraha (Festhalten der Wahrheit) ableitet oder darin bekräftigt sieht; und zuletzt Heinrich Himmler (sowie die Denker Franz Haiser und Jakob Wilhelm Hauer, dessen Gītā-Interpretationen Himmler heranzieht), welcher die heilige Schrift als eine Legitimierung für den Holocaust und die faschistische Weltanschauung versteht. Bei der Analyse dieser Auslegung wird im Sinne der Hermeneutik der Versuch unternommen, die Horizonte der Interpreten und somit, um weiter mit Gadamer zu sprechen, ihre Vorurteile herauszuarbeiten.

Um aber nun, nach der Exemplifizierung, die Frage zu beantworten, warum gerade dieser Text solch multivalente Auslegungen hervorruft, muss auch auf den Horizont des Ausgangstextes eingegangen und die Gegebenheiten seiner Kontextualisierung in Betracht gezogen werden. Das heißt, es muss erörtert werden, auf welche Fragen der Text eine Antwort sucht. Die Einflüsse des frühen Buddhismus, des Sāṃkhya, des Yoga, der Upaniṣaden und des rituellen Gedankengutes sind hierbei ausschlaggebend. Allerdings ist dies nicht das Hauptanliegen der Arbeit, wenngleich diese Herausarbeitung unumgänglich ist. Das Hauptaugenmerkt liegt nicht auf dem Inhalt, vielmehr der Form. Denn die Gītā ist keine einfache, prosaisch-philosophische Abhandlung, sondern auch formal ein äußerst hybrider Text. Dieses philosophische, religiöse, literarische Werk ist ein in einem Epos eingebundener und in Versen geschriebener dogmatischer Dialog. Folglich wird beabsichtigt zu erarbeiten, wie sich (dogmatischer) Dialog, Symbol, Metapher, gar Allegorie und andere formale Aspekte auf den hermeneutischen Charakter dieses Textes und folglich auch auf das Verständnis des Inhalts auswirken. Da es sich hierbei aber nicht allein um indische Interpretationen handelt, muss auch die interkulturelle Ebene beachtet werden, ob im Sinne der Hermeneutik der Übersetzung oder interkulturellen Hermeneutik an sich. Denker wie (der bereits erwähnte) Hans-Georg Gadamer, Hans Robert Jauß, Paul Ricœur und andere werden in der formalen Analyse eine tragende Rolle spielen.

Abschließend soll anhand des Erarbeitenden beantwortet werden, inwieweit eine solche Art des Philosophierens Möglichkeiten aber auch Schwierigkeiten birgt. Und ob dieses Philosophieren vielleicht gerade zu der Philosophie der Bhagavadgītā und ihrer Lehre passt, wenn nicht gar zur „indischen“ Philosophie per se – sollte es denn so etwas geben.

Susann Kabisch (Prof. Dr. Tilman Borsche, Dr. Inigo Bocken, Nijmegen, Niederlande)

Gott und die Welt in Szene gesetzt.
Inszenierung als Erkenntnisweg bei Nikolaus von Kues (zur Dissertation)

Die vielen methodischen Bemerkungen, mit denen Nikolaus von Kues (1401–1464) innerhalb seiner Schriften deren Vorgehensweise reflektiert, offenbaren seine Aufmerksamkeit für die Prozesshaftigkeit und Situationsgebundenheit des menschlichen Denkens. Cusanus begreift Erkennen als eine Praxis. In Entsprechung dazu setzen seine Texte den individuellen Mitvollzug der Adressaten voraus und regen dazu an. Die verschiedenen Aspekte der cusanischen Schreibpraxis laufen zusammen im Begriff der Inszenierung. Dieser findet sich nicht bei Cusanus selbst, er kann aber einen neuen Blick auf die Besonderheit wie den inneren Zusammenhang seines Werkes eröffnen und zudem dessen Aktualität hervortreten lassen. Anhand einer Cusanus-Lektüre unter dem Blickwinkel eines neuen Begriffs der Inszenierung erweist sich darüber hinaus dessen Potential als ein Schlüsselbegriff philosophischer Lektürepraxis.

Ulrich Barteit (Prof. Dr. Rolf Elberfeld)

Inaugurationsstrategien – Zur Genese des philosophischen Metasubjekts am    Beispiel von Edmund Husserl und Martin Heidegger

Die Arbeit „Inaugurationsstrategien“ versucht den Nachweis zu führen, dass dem philosophischen Metadiskurs eine Selbstneutralisierung des Philosophierenden inhärent ist. Dabei soll an Husserl und Heidegger in exemplarischer Weise verdeutlicht werden, wie sich ein von den Autoren selbst nicht reflektiertes Begehren in das philosophisch Gewollte einschreibt und seinen Sachgehalt verzerrt. Hinter der Tabuisierung jener „>>persönlichen<< Gemächte“ (Heidegger), die das Begehren befeuern und antreiben, verbirgt sich jedoch, so wird im Zuge der Analysen gezeigt, eine komplexe Metamorphose von einem konkreten Ich-Selbst hin zu einem philosophischen Metasubjekt. Das Merkwürdige an dieser Metamorphose ist – auch dies ein weiterer Befund der Arbeit -, dass sie von dem diese Metamorphose Vollziehenden völlig unentdeckt bleibt. Die Gravitationskraft philosophischer Wahrheit scheint von einer Mächtigkeit, dass sie denjenigen, der in die Nähe ihres Wirkfeldes kommt, in sich hineinreißt, so dass er - „mit einem Schlage“, wie Husserl im Zusammenhang mit der Epoché sagen würde – als Person neutralisiert wird. Sein Begehren ist nun identisch mit dem Begehren der philosophischen Wahrheit. Er ist zum Diener eines kollektiv-universalen Wahrheitsgeschehens geworden, dabei bescheiden und klein zum einen und groß aufgrund der Teilhabe an der großen Sache der Wahrheitssuche zum anderen. Die sich hier hinter verbergende, unaufgelöste und – wenn überhaupt – nur in geduldiger Selbstzuwendung aufzulösende narzisstische Verstrickung produziert jenes verheerende Doublebind, das den philosophischen Metadiskurs bis heute immer wieder durchzieht und ihn zu einem nicht selten subversiv wirkenden Textgebilde macht.

 Die herrschaftliche, inaugurative Dominanz des philosophischen Metasubjekts generiert allerdings – auch dies wird im Verlauf der Arbeit immer wieder klar – einen veritablen Verlust, insofern seine Inszenierung die Abspaltung von dem durch keine finale Begrifflichkeit einzuholenden Resonanzverhältnis des Ich-mit-mir zwingend erfordert. Die  These Horkheimers und Adornos, 'Wissenschaft selbst habe kein Bewusstsein von sich, sie sei ein Werkzeug.', dürfte deshalb vice versum auf das diese Wissenschaft ins Werk setzende Metasubjekt angewendet werden. Denn auch das philosophische Metasubjekt hat kein Bewusstsein von sich selbst, insofern es sich von sich abgespalten hat. Sein Identitätsgefühl speist sich nun primär aus der Verschmelzung jener - von Husserl geforderten - „absoluten Identifizierung“ mit der großen, alles Persönlich-Konkrete bei weitem übersteigenden  Aufgabe, deren Sehnsuchtstelos nur von sekundärer Bedeutung ist. Das Entscheidende ist, dass das mit ihm verbundene Phantasma den Überstieg in das dienende Meta-Selbst möglich macht. Die Sehnsucht nach Letztbegründung (Husserl) oder das unausgesetzte Begehren einer Ankunft des Seyns (Heidegger) figurieren dabei als austauschbare Platzhalter in einem  Metamorphosegeschehen, in dem alles daran gesetzt wird, dem Vagen und Bedrohlichen einer labilen Identitätsstruktur, die sich schlichtweg nicht in letzte Begrifflichkeiten auflösen lassen will, zu entkommen.

Damit ist weder behauptet, dass all die von den bearbeiteten Philosophen vorgelegten Einzelanalysen ebenfalls austauschbar oder gar irrelevant wären. Austauschbar ist allein das den ganzen Denkweg in Gang bringende und ihn immer von neuem befeuernde Phantasma einer letzten großen Wahrheit, das zwar stets andere Namen trägt, sich aber in letzter Konsequenz dem Sagbaren entzieht. Ob dies eingestanden wird – wie im Falle Heideggers – oder nicht – wie im Falle Husserls –, ist dabei nicht von Belang. Entscheidend ist, dass das Phantasma dieser großen Wahrheit die Genese des philosophischen Metasubjekts in Gang bringt und sie legitimiert. Solange es dieses Große gibt, mit dessen Verwirklichung, wie sich an Husserl und Heidegger zeigen lässt, immer auch der feste Glauben an eine künftige Heilung der desolaten Zustände des Jetzt einhergeht, ist es rechtmäßig, ja geradezu eine Pflicht, sich und sein Leben der Suche nach diesem Großen absolut und ohne Einschränkung hinzugeben.

Doch dieser Wunsch nach absoluter Hingabe ist ein ambivalenter, der durchfurcht wird von machtvollen „Selbstbetrugsformationen“ (Käte Meyer-Drawe). Betrogen wird das konkret-persönliche Selbst, weil seine irritierende und ihm geradezu auf den Leib rückende Unverfügbarkeit durch die abstrakt-anonyme Unverfügbarkeit einer letzten großen Wahrheit überschrieben wird. Dieses Überschreiben der eigenen Unverfügbarkeit bringt den entscheidenden Vorteil, dass all das, was dieses Selbst fortan mit sich zu tun hat, marginalisiert werden kann. Es wird zu einem unbedeutenden Nebenschauplatz, zu jenem „>>persönlichen>> Gemächte“, das für die unantastbaren Größe des philosophisch Gewollten nur ein unliebsamer Störfaktor ist. Der große Diener der Wahrheit „begafft“ nicht sich und seine „Seelenzustände“ –  um es noch einmal in dieser Heideggerschen Wendung zu sagen. Sein konkretes Selbst ist für ihn nur dann von Interesse, wenn sich durch dieses Selbst hindurch ein Zugang zum anonymen Meta-Selbst oder zur letztfungierenden Subjektivität legen lässt. Doch die sich hier hinter verbergende, kolossale Selbstinstrumentalisierung, die dieses Selbst an sich vorzunehmen hat, will es in den Rang eines medialen Wahrheitsproduzenten vordringen, schlägt unweigerlich auf das philosophisch Gewollte zurück und führt zu jenen Verzerrungen, die – wie etwa im Falle Heideggers – die philosophische Nachwelt immer wieder in ein fassungsloses Staunen versetzen.

Florian Preußger (Prof. Dr. Rolf Elberfeld)

Das »buddhistische Ethik«-Idiom. Seine Entwicklung und seine Stellung in ethischen Diskussionen der Gegenwart 

Die »buddhistische Ethik« scheint heute in den akademischen Kreisen der westlichen Philosophie angekommen. Festzustellen ist ein wachsendes Interesse und ein sich immer weiter ausdifferenzierender Diskurs, der inzwischen weit über die Klärung von Grundlagen hinausgeht und sich auch zu aktuellen Themen der angewandten Ethik positioniert. Mit dem Journal of Buddhist Ethics hat sich gar ein eigenes Diskussionsforum etabliert. Das Forschungsfeld ist dabei relativ jung, seine Konstituierung wird gewöhnlich auf die sechziger/siebziger Jahre datiert. Die Rede von einer »Ethik des Buddhismus« ist aber erheblich älter und kann bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückverfolgt werden.

Gerade diese dem aktuellen Forschungsfeld im Rücken liegende Formationsphase, in welcher folgenreiche Be- und Zuschreibungen vollzogen und Ordnungen hergestellt wurden, steht zunächst im Fokus des Promotionsprojekts. Sowohl in der Entstehungsphase als auch in deren Folge ist kaum eine explizite Problematisierung z. B. des In-Beziehung-Setzens von »Buddhismus« und »Ethik« und der damit implizierten Ordnungen zu konstatieren. Durch genaue Beschreibung der Genese und Entwicklung der Redeweise »buddhistische Ethik« sollen als weitestgehend selbstverständlich hingenommene Sichtweisen in Frage gestellt werden: durch Aufdeckung wesentlicher Strukturmomente, Einstellungen und Motive im Diskurs über »buddhistischen Ethik«, insbesondere während der Phase der Konstitution und Konstruktion. Daran anknüpfend wird diese Fragestellung weitergeführt und das Idiom in aktuellen Diskussionen der angewandten Ethik analysiert. Hier sollen anhand der Behandlung konkreter moralischer Konflikte Besonderheiten solcher Positionen herausgestellt werden, die sich selbst als Varianten buddhistischer Ethik verstehen. In dieser Reflexion »buddhistischer Reflexionen«, die auch (innovative) Differenzen zu traditionellen westlichen Positionen erhellen soll, kann die vorangegangene genealogische Sensibilisierung gewinnbringend ins Spiel gebracht werden. Durch die Analyse und Sichtung des Diskurses soll die Arbeit Schwierigkeiten und Perspektiven der Praxis interkulturellen Philosophierens am Beispiel der »buddhistischen Ethik« aufzeigen.

Jan Gerrit Strala (Prof. Dr. Rolf Elberfeld)

Nishida lesen. Analysen zur Artikulationsform der Philosophie im modernen japanischen Denken

publiziert als: Der Form des Formlosen auf der Spur: Sprache und Denken bei Nishida

Das erste Kapitel „Nishida schreibt“ widmet sich der Darstellung der Merkmale der philosophischen Texte Nishidas. Die Untersuchung nimmt besonders die grammatischen Formen „sollen und müssen“, die grammatische Form des Passivs bzw. des Mediums,sowiedie Potentialform in den Blick. Die Aufmerksamkeit gilt darüber hinaus der Zeichensetzung, dem Satzbau und dem GebrauchderPartikel, insbesondereNishidas Verwendung des Partikelswa () zur Kennzeichnung des Subjekts oder Satzthemas.

Im 2. Kapitel „Nishida lesen“ steht die Rezeption des Textes im Fokus und wird vom Standpunkt des Lesers ausgehend erörtert. Wichtige Themen, die hinsichtlich des Leseprozesses mit thematisiert werden können, sindunter anderem: Erwartungshorizont, Vorwissen,Lektürehaltung, Lesekonzepte, Lese- und Verstehensprozess, sowie die Interaktion zwischen Leser und Text. Ebenso werden die im ersten Kapitel genannten Merkmale der Texte Nishidas hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Lesepraxis untersucht.

Das dritte Kapitel (Schriftlichkeit und Lesepraxis) ist eine deskriptive und analytischeTextlektüre und setzt sich mitkonkreten Textstellen aus verschiedenen Aufsätzen aus den Bänden 1 bis 8 auseinander. Im Mittelpunkt dieser Textanalyse steht der Aufsatz Ich und Du (私と汝) aus Band 6 (Bd.5, NKZ 2002). Die Handschriftlichen Manuskripte werden ebenfalls in einem Unterkapitel behandelt.

Das vierte Kapitel „Nishida als Schreibkünstler“ untersucht die Kalligrafie Nishidas. Die Analyse geht von der Annahme aus, dass für Nishida die Schreibkunst einen bedeutenden Stellenwert innerhalb der philosophischen Ausdrucksformen hatte. Dieser Standpunkt lässt Rückschlüsse auf die Schreibpraxis Nishidas und wesentliche Inhalte seiner Philosophie zu.

Das Miteinander des künstlerischen und schriftlichen Wirkens Nishidas zwischen kulturellen und philosophischen Ausdrucksformen gestattet im Anhang des letzten Teils einen Ausblick auf Methoden praktischen philosophischen Schreibens und Lesensin interkulturellen Kontexten.

Jörg Bernardy (Prof. Dr. Tilman Borsche)

Kritik der literarischen Form. Genealogischer Blick bei Parmenides, Foucault und Wittgenstein

In meinem Dissertationsprojekt habe ich vier philosophische Texte ausgewählt, die ich explizit unter der Perspektive ihrer literarischen Form betrachte. Mein Schwerpunkt liegt dabei auf Figuren und Formen 'visuellen Denkens'. Eher zufällig hat sich dabei die grundlegende Unterscheidung zwischen 'Blick von oben' und 'genealogischer Blick' ergeben, die auf der Basis der textästhetischen Formen ausgearbeitet wird und als blicktheoretische Schematisierung dem komparativen Charakter der Analyse dient. Auf einer dritten Ebene lassen sich den zwei Blicktypen entsprechend diagrammatische Konfigurationen zuordnen, die 'Diagramme des Denkens' genannt seien: 

1. Blick von oben und Erhabenheit im parmenideischen Lehrgedicht

Ziel der ersten Untersuchung ist ausgehend von Nietzsche und Foucault eine blicktheoretische Analyse des parmenideischen Lehrgedichts. Herausgelesen aus dem antiken Gedicht wird ein Zusammenhang von erhabenem, genealogischem und wissenschaftlichem Blick, der, so die hier zugrunde liegende These, für die Unterscheidung von Sein und Nichtsein und die literarisch-visuelle Funktionsweise des Gedichts konstitutiv ist.

2. Der Tractatus als Lehrgedicht des 20. Jahrhunderts

Auf dem Fundament der ersten Formanalyse wird der Tractatus als philosophisches Lehrgedicht des 20. Jahrhunderts gelesen und interpretiert. Er wiederholt damit, so meine These, die parmenideische Ontologie in ihrer diagrammatischen Artikulation. Auf der blicktheoretischen Ebene wird auch im Tractatus der Blick von oben aktiv in Gebrauch genommen.

3. Genealogischer Blick und literarische Form bei Überwachen und Strafen

Neben der literarischen Funktionsweise historisch-serieller Narration wird vor allem die foucaultsche Entfaltung des Diagrammbegriffs nachgezeichnet. Im Rahmen dieser Auseinandersetzung wird unter Rückgriff auf Nietzsche dem Blick von oben eine weitere blicktheoretische Kategorie entgegengesetzt: der genealogische Blick. Ich argumentiere dafür, dass das Diagramm für den genealogischen Blick das Panopticon ist.

4. Genealogische Form und Methode in den Philosophischen Untersuchungen

Am Beispiel der ‚primitiven Sprachspiele’ kann aufgezeigt werden, dass die literarische Funktionsweise der PU eine ähnliche methodologische Denkweise aufweist wie Foucaults Genealogie. Eine abschließende Frage mit Ausblickscharakter ist dabei, ob Wittgensteins Sprachspielbegriff als Diagramm des Denkens aufgefasst werden kann.

Inken Tegtmeyer (Prof. Dr. Tilman Borsche)

Wozu in der Philosophie wissenschaftliche Texte geschrieben werden. Eine hermeneutische Erkundung

Gerade in der Philosophie ist die Artikulationsform des „wissenschaftlichen Textes“ alles andere als selbstverständlich. Als „klassisch“ geltende philosophische Texte sind kaum den heutigen wissenschaftlichen Konventionen gemäß geschrieben, sie gelten aber dennoch als „philosophisch“. Die heutige akademische Philosophie hat diese wissenschaftlichen Konventionen gegen andere mögliche Traditionen etabliert, und sie pflegt und tradiert in ihren Studiengängen genau diese Art der Schreibpraxis. Die naheliegende Frage ist nun: warum eigentlich? Was verspricht man sich davon? Wozu werden diese Texte genau auf diese Weise produziert? Was bedeutet es, dass man sich für diese Artikulationsform entschieden hat? Wozu werden im Rahmen der akademischen Disziplin „Philosophie“ Texte geschrieben, die ihrer Darstellungs­form nach als „wissenschaftliche Texte“ gelten?

Die These, die im Rahmen des Forschungsprojektes vertreten, erläutert und begründet werden soll, lautet: Wissenschaftliche Texte in der Philosophie werden für ein spezifisches und aus einem spezifischen Selbst- und Weltverstehen heraus geschrieben. Man kann die Praxis des Schreibens wissenschaftlicher Texte nur dann verständlich machen, wenn man sie als Teil einer ganz spezifischen Selbst- und Weltverstehenspraxis begreift. Welche Interessen sind mit dieser Schreibpraxis verbunden, und in welchem Verhältnis stehen diese Interessen zum Verstehensprozess? Durch das Forschungsprojekt werden systematische Überlegungen ermöglicht (1) zur präziseren Bestimmung des Verhältnisses von Philosophie und Wissenschaft; (2) zur Entwicklung von Kategorien, die die philosophische Selbstreflexion auf ihre Texte anwendbar machen; (3) zur Freilegung der theoretischen Grundlagen, auf denen der heutige philosophische textproduzierende Wissenschaftsbetrieb beruht; (4) zu philosophisch durchdachten Ausgangspunkten für eine mögliche hochschuldidaktische oder wissenschafts­politische Weiterentwicklung.

Nicole Thiemer (Prof. Dr. Rolf Elberfeld/PD Dr. Karen Joisten)

Zwischen Hermes und Hestia - Hermeneutische Lektüren zu Heidegger und Derrida

Vertrautheit und Fremdheit sind Momente, die jedem Menschen bekannt sind. Sie begleiten ihn ständig in den verschiedenen Situationen seines Alltags. Ob es sich dabei um einen fremden oder vertrauten Ort, um das Treffen einer unbekannten oder bekannten Person, um den Umgang mit einem gewohnten oder ungewohnten Gegenstand, um eine noch nie gehörte oder immer wieder gehörte Melodie handelt – Situationen, in denen der Mensch sich befindet, in die er sich begibt, stehen und gehen Hand in Hand mit der Erfahrung von Fremdem und Vertrautem, von Bekanntem und Unbekanntem, von Eigenem und Anderem, von Eigenheit und Andersheit. Beide Momente stehen zwar in Differenz bzw. in einer Distanz zueinander, bleiben dabei jedoch aufeinander bezogen. Das Eigene wird erst aufgrund der Erfahrung des Anderen als Eigenes wahrgenommen – wie auch das Andere nur durch seine Andersheit im Verhältnis zum eigenen, bekannten Horizont erfahren wird.

Diese Beschreibung spiegelt den Horizont der hermeneutischen Grundsituation wider, der im Projekt untersucht werden soll. Sinnbildlich gesprochen, lässt sich die hermeneutische Grundsituation anhand der Göttergestalten Hermes und Hestia veranschaulichen. Hermes als Bote der Götter fungiert zwischen zwei voneinander getrennten Welten – der göttlichen und der menschlichen. Seine Gestalt steht für die Vermittlung zwischen zwei einander fremden Dimensionen, zwischen denen er als Dolmetscher fungiert, indem er das jeweilig fremdartig Erscheinende in den Horizont des jeweils Bekannten überträgt. Die Gestalt des Hermes repräsentiert den Grenzgänger zwischen dem Fremden und dem Bekanntem. Ein Grenzgänger, der in der Ausrichtung und im Durchgang durch das Fremde, Grenzen und Möglichkeiten des Verstehens darstellt. Die Göttergestalt Hestia repräsentiert demgegenüber Vertrautheit und Bekanntheit. Als Hüterin des Herdfeuers und Göttermutter versinnbildlicht sie den vertrauten Horizont, die Rückzugsmöglichkeit aus der Fremde, aus der das Fremde als Fremdes im Verhältnis zum Vertrauten erst ersichtlich wird.

Eine Untersuchung der hermeneutischen Grundsituation versucht die polare Bezogenheit von Hermes und Hestia, die jegliche Verstehenssituation fundiert, in den Blick zu nehmen. Verstehen wird erst dort nötig, wo Fremdes in Vertrautes einbricht oder Vertrautes durch Fremdes unvertraut  und nicht mehr selbstverständlich erscheint. Gegenstand des Projektes ist es im Rückgriff auf die skizzierten Momente der hermeneutischen Grundsituation, Martin Heideggers phänomenologische Philosophie und Derridas dekonstruktiven Ansatz zu deuten, indem versucht wird, auf blinde Flecken wie auch auf mögliche Konsequenzen aufmerksam zu machen, die sich aus einer strukturellen Interpretation der jeweilig (implizit) intendierten Momente von Vertrautheit oder Fremdheit oder von Distanzierung bzw. Differenz ergeben.

Christiane Bacher (Prof. Dr. Tilman Borsche)

Philosophische Waagschalen. Experimentelle Mystik bei Nikolaus von Kues mit Ausblick auf die Existenzphilosophie

Die mystische Theologie des Nikolaus von Kues (1401-1464) kann als Intellektmystik bezeichnet werden, in welcher die aktive Erkenntnistätigkeit des menschlichen Geistes in der Welt eine wichtige Rolle spielt.

Wenn Cusanus mit Idiota de staticis experimentis auch nur ein einziges explizit naturwissenschaftliches Werk verfasst hat, so scheint doch gerade die moderne experimentelle Naturwissenschaft, wie sie im 15. Jahrhundert ihren Anfang nahm, bei der mystischen Theologie des Cusanus eine Rolle zu spielen. Deutlich wird dies an der Stellung von De staticis experimentis, welches den dritten Teil der Idiota-Dialoge darstellt, und somit in der Trilogie in unmittelbarem Zusammenhang mit dem mystischen Werk Idiota de sapientia und dem erkenntnistheoretischen Werk Idiota de mente steht. Das Experiment als methodische Annäherung an die Wahrheit und als Paradigma für die Welterkenntnis,  findet sich, wie in der Arbeit entwickelt wird, auch in der mystischen Theologie des Cusanus wieder. Letztlich fallen das moderne experimentum als Annäherung an die Welt und das mystische experimentum aus der Cognitio Dei experimentalis-Tradition in eins.

Eine vergleichbare Balance zwischen mystischer Gottsuche und naturwissenschaftlicher Welterkenntnis findet sich in zwei Ansätzen der Existenzphilosophie des 20. Jh.s wieder. In den Denkansätzen  von Heinrich Barth und Karl Jaspers wird der Ausgleich zwischen dem Primat der Naturwissenschaften im 20. Jh. und einer Bezogenheit auf göttliche Transzendenz auf eine neue zeitgemäße Weise wieder hergestellt.

Lisa Bauer (Prof. Dr. Rolf Elberfeld)

Transkulturalität und Identität im zeitgenössischen künstlerischen Schaffen im Kontext Taiwan (Arbeitstitel)

In Zusammenhang mit seiner im Jahre 2010 im Taipei Fine Arts Museum stattgefundenen Retrospektive stellte der taiwanische Künstler Chen Chieh-jen (陳界仁) fest, dass er nicht glaube, es gäbe nur eine Form der Kunstgeschichte auf dieser Welt, sondern dass vielmehr an jedem Ort eine solche geschrieben werden könne. Diese Aufgabe müsse getrieben sein von Selbstbewusstsein die eigenen Standpunkte und Wissensproduktion betreffend.

Das Sprechen von postkolonialer Hybridität, von Glokalität und daraus hervorgehender Gleichheit, ist längst zur Gewohnheit geworden: Die nicht-westliche zeitgenössische Kunst, vor noch 25 Jahren im westlichen Kontext als nahezu nicht-existent beschreibbar, ist weltweit sichtbarer denn je zuvor, sie hat eine kaum mehr zu überhörende Stimme bekommen. Und doch eröffnet der Kommentar Chen Chieh-jens exemplarisch die Problematik, mit welcher sich der zeitgenössische Kunstdiskurs und das zeitgenössische künstlerische Schaffen unter den Bedingungen der Globalisierung nach wie vor konfrontiert sieht: Von wessen Kunstbegriff und von welcher Form des Kunstverständnisses, von welchem kunstgeschichtlichen, gesellschaftlichen und ästhetischen Verständniszusammenhang sprechen wir, wenn wir uns heute mit zeitgenössischer Kunst befassen – insbesondere dann, wenn deren Entstehungszusammenhänge in den „marginalized regions“ (Chen Chieh-jen) des sogenannten ‚Nicht-Westens’ liegen?

Die – trotz globaler Reflexion und postulierter Gleichheit – implizite Präsenz dieser Fragen, lässt die Angst vor einer „mental colonisation“ (Kishore Mahbubani) und den Kampf um die „Mittel der Moderne“ (Arjun Appadurai) fortdauern, unter den Vorzeichen einer angeeigneten postkolonialen Hybridität wird das Schreiben des Eigenen propagiert.

Vor dem Hintergrund dieser Problematik wird meine Dissertation nach der Möglichkeit einer transkulturellen Betrachtung von Kunst im globalisierten Kunstdiskurs fragen. Ich werde mich auf eine beschreibende Weise den Werken und dem künstlerischen Schaffensprozess nähern. So soll eine Form des Sprechens über Kunst entwickelt werden, die nicht repräsentiert im Sinne des definierenden Zeigens und Darstellens eines kulturellen Wissensobjekts. Eine sich ständig verändernde Verhandlung eröffnet eine kritische Herangehensweise, in welcher ein Diskurs nicht einfach fortgeschrieben und tradiert und so zum blinden Fleck wird, sondern eine nicht nur an diskursiven Interessen orientierte Betrachtung ermöglicht. Die Frage, was die ‚andere’ Kunst in der globalisierten Welt ist und welchen Stellenwert sie einnehmen kann, darf, soll oder wie mit ihr per se umzugehen ist, wird also nicht beantwortet werden – vielmehr soll die ständige Nicht-Antwort des changierenden Blickes vielgestaltige Möglichkeiten öffnen.

Ausgehend von ausgewählten Positionen zeitgenössischen künstlerischen Schaffens im taiwanischen Kontext, werde ich einen Weg der transkulturellen Betrachtung erproben.