Kolloquium im Wintersemester 2013/14: "Gerechtigkeit"

Donnerstags, 18 Uhr c.t., Hörsaal 2 der Universität Hildesheim.

Der Gerechtigkeitsdiskurs der europäischen Tradition ist von Anfang an ge(kenn)zeichnet durch eine unaufhebbare Spannung zwischen zwei Rechten, dem unvordenklichen und unausgesprochenen „göttlichen“ und dem staatlich verordneten und sanktionierten „menschlichen“ Recht. Sophokles inszeniert den tragischen Zusammenstoß beider Rechte, der zum Untergang einer Gesellschaft führt, die diesen Konflikt unversöhnlich bis zum bitteren Ende austrägt. Zur gleichen Zeit entwirft Platon ein Gesellschaftsmodell, das den Gegensatz versöhnt, indem er fordert, die Weisheit des idealen Herrschers mit der Weisheit der idealen Götter in Übereinstimmung zu bringen. Damit erreicht er in der Theorie eine Koinzidenz von Recht und Gerechtigkeit, wie sie, ohne Rekurs auf Weisheit, auch der Hobbes’sche Leviathan theoretisch verkörpern wird. – Das Spannungsverhältnis beider Rechte aber kennzeichnet unsere Wirklichkeit. Es hat viele Gesichter, sowohl menschliche als auch unmenschliche. Aber nie mehr haben wir das eine ohne das andere: keine Gerechtigkeit ohne Recht, das sie zu verwirklichen in der Lage ist; kein Recht ohne die gefühlte Differenz zu den Forderungen der Gerechtigkeit.

Das Kolloquium wird versuchen, vielstimmig wie immer, dieses Spannungsverhältnis näher zu bezeichnen, zu explizieren und verschiedene Entspannungsvorschläge zu diskutieren.