Barbara Lutz
Kuratorische Praxis. Die documenta 10, 11 und 12 als Produktionsräume kuratorischer Prozesse im globalisierten Kunstfeld.
Dissertationsprojekt Barbara Lutz
Abstract des Vorhabens
In meiner Dissertation untersuche ich Prozesse kuratorischen Handelns im globalisierten Kunstfeld am Beispiel der documenta 10 (1997), 11 (2002) und 12 (2007), die sich durch ihre Kulturen übergreifenden Schwerpunktsetzungen und ihre einzigartigen und innovativen kuratorischen Positionen auszeichnen. Die international bedeutende Ausstellungsfolge documenta wird dabei als ein komplexer Produktionsraum kuratorischer Prozesse begriffen, der einen transkulturellen Austausch zwischen Kunst und Gesellschaft ermöglicht.
Das international und weltumspannend angelegte Ausstellungsformat documenta, das alle fünf Jahre in der deutschen Stadt Kassel stattfindet, stellt nicht nur eine Schau zeitgenössischer künstlerischer Positionen dar, sondern es fungiert geradezu als beispielhaftes Modell für gesellschaftlich-kulturelle und politische Prozesse kuratorischen Handelns im globalisierten Kunstfeld. Ausschlaggebend für diese Prozesse scheint dabei vor allem die kuratorische Perspektive auf territoriale Gebiete des Kunstfeldes in einer zunehmend globalisierten Welt, die sich durch Inklusion oder Exklusion nicht-westlicher [1] Kunst bzw. die Verhandlung und Vermittlung gesellschaftlicher, kultureller, politischer und nationenübergreifender Standpunkte in jeder Ausstellung zu erkennen gibt. Jede documenta-Folge kann als praktische Umsetzung der kuratorischen Position der jeweiligen künstlerischen Leitung gesehen werden. In der Befragung und Betrachtung der unterschiedlichen Entstehungs- und Erscheinungsformen der Ausstellungsfolge und ihrer AkteurInnen zeigen sich die interdisziplinären kuratorischen Ansätze sowie ihre Möglichkeiten und Grenzen zwischen unterschiedlichen kulturellen Feldern und Gruppierungen zu vermitteln.
In meiner Dissertation analysiere ich die komplexen und von documenta zu documenta unterschiedlichen kuratorischen Prozesse, die ein spezifisches Verständnis von Kunst und kulturellen Werten durch das Konzept, die Auswahl, Zusammenstellung und Präsentation von Kunstwerken bedingen. Im Zentrum meiner Untersuchungen steht die Entwicklung der Ausstellungspraxis ab der documenta 10, die den Kunstdiskurs zum ersten Mal auch auf ästhetische und politische Entwicklungen außerhalb Europas lenkte. Mit der documenta 10 im Jahr 1997 und der documenta 11 (2002) und 12 (2007) ist die documenta im Begriff alle bisherigen regionalen Begrenzungen hinter sich zu lassen und ihre künstlerische Positionsbestimmung im globalen Maßstab zu betreiben. Mit dieser Ausdehnung ist zugleich eine substantielle Erweiterung der documenta-Idee verbunden. Der documenta 10, 11 und 12 geht es im Gegensatz zur documenta 1 bis 9 nicht mehr allein darum, Kunst in ihrer aktuellen Verfassung zu dokumentieren und deren gesellschaftlichen Bedingungen zu diskutieren, sondern sie lenken den Fokus auf die weltweite Kulturdiskussion, die ihren thematischen Ausgangspunkt dann auch außerhalb Europas und Nordamerikas hat. Mit der Überlegung, dass die ästhetische Produktion auch ihr im weitesten Sinne politisches Umfeld mit einbeziehen müsse, schafft die documenta 10 einen Zugang zu Erkenntnissen der Welt durch eine historisch-philosophische Analyse. Bei der documenta 11 rücken Kunstpraxen ins Zentrum, die die Ausstellung zu einem politischen Analyseinstrumentarium werden lassen und bestimmte Kanonverschiebungen im Kunstfeld fortführen und anstoßen. Bei der documenta 12 steht schließlich die Praxis der Kunstvermittlung im Mittelpunkt, die als ein unabschließbarer Prozess kultureller Übersetzung aufgefasst wird und bei dem das Wissen der Besucher und die von den Kunstvermittlern angebotenen Kenntnisse und Praktiken sich verschränken, widerstreiten und eine Statusveränderung der Kunstvermittlung provozieren.
So bezieht sich jede documenta unweigerlich auf den Diskurs ihrer Vorgängerin - baut auf ihm auf oder strebt eine Wende an, „indem sie versucht die Kritik für sich produktiv zu wenden, ja zum Argument für die eigene Position zu machen“ [2]. So war und ist die documenta noch heute „... ein ontologisches Laboratorium zur Herstellung, zur Ausstellung, zur Herausstellung einer Ethik des Miteinander.“ [3]
Literatur (Auswahl)
- Glasmeier, Michael; Stengel, Karin (Hg.): archive in motion. documenta-Handbuch. 50 Jahre/ Years documenta 1955-2005. Göttingen 2005.
- Below, Irene; Bismarck, Beatrice von: Globalisierung/Hierarchisierung. Kulturelle Dominanzen in Kunst und Kunstgeschichte. Marburg 2005.
- Bismarck, Beatrice von: Curating. In: Butin, Hubertus (Hg.): DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst. Köln 2002, S. 56-58.
- Certeau, Michel de: Berichte von Räumen. In: ders. Kunst des Handelns. Berlin 1988, S. 215-238.
- Eigenheer, Marianne et al. (Hg.): Curating Critique. ICE-Reader 1, Frankfurt a.M. 2007.
- Enwezor, Okwui: Großausstellungen und die Antinomien einer transnationalen Form. In: Boehm, Gottfried; Bredekamp, Horst (Hg.): Berliner Thyssen-Vorlesungen zur Ikonologie der Gegenwart. München 2002.
- John, Jennifer; Richter Dorothee; Schade, Sigrid (Hg.): Re-Visionen des Displays. Ausstellungs-Szenarien, ihre Lektüren und ihr Publikum. Zürich 2008, S. 27-56.
- O'Neill, Paul (Hg.): Curating subjects. Amsterdam 2007.
- Welsch, Wolfgang: Transkulturalität – Zur veränderten Verfassung heutiger Kulturen. In: Schneider, Irmela; Thomsen Christian W. (Hg.): Hybridkultur: Medien, Netze, Künste. Köln 1997. S. 67-90.
Links
- Homepage der documenta: http://www.documenta.de/
- Video-Dokumentation der Konferenz „d documenta - Konferenz auf dem Weg zur documenta (13)“ in Turin, am 18./19.9.2009: http://www.documenta12.de/d_documenta0001.html
- Issue # 04/10: The Political Potential of Curatorial Practice: http://www.on-curating.org/documents/oncurating_issue_0410.pdf
Fussnoten
[1] Mit nicht-westlicher Kunst ist hier Kunst aus dem nicht-europäischen und nicht-nordamerikanischen Kulturraum gemeint. Der Begriff ist allerdings problematisch, da viele nicht-westliche KünstlerInnen im westlichen Kulturraum leben und arbeiten und somit keine klare Trennung von Zugehörigkeiten auszumachen ist bzw. diese Einteilung nur bedingt sinnvoll ist und nur eine Mehrheit abbilden kann.
[2] Marchart, Oliver: Hegemonie im Kunstfeld. Die documenta-Ausstellungen dX, D11, d12 und die Politik der Biennalisierung. Hg. Babias, Marius. Köln 2008, S. 12.
[3] Buergel, Roger M.: Der Ursprung. In: documenta GmbH: Documenta Magazine Nr. 1-3, 2007 Reader. Documenta Kassel 16.6. - 23.9.2007. Köln 2007, S. 32.