Date/Termin: 2.11.2023, 1 pm – 10 pm & 3.11.2023, 9 am – 2 pm
Place/Ort: Podewil, Klosterstr. 68, 10179 Berlin
Wie werden öffentlich geförderte Theater zugänglich und relevant für die Bevölkerung, die sie finanzieren? Welche Unterschiede gibt es in der kulturpolitischen Steuerung von Teilhabe zwischen den Nachbarstaaten England, Frankreich und Deutschland? Dies waren zentrale Fragen des internationalen Symposiums „Becoming Public!“, das das Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim am 2./3. November 2023 in Berlin durchführte. Auf Basis der Ergebnisse eines DFG-geförderten, mehrjährigen Forschungsprojektes diskutierte die Tagung mit Kulturpolitiker*innen, Theaterschaffenden und Wissenschaftler*innen aus England, Frankreich und Deutschland, wie Theater sich stärker öffnen können und wie Kulturpolitik sie dabei unterstützen kann.
Das Symposium wurde organisiert durch das DFG-Forschungsprojekt „Chancengerechte Teilhabe an öffentlich geförderten Theatern. Theater Governance und Audience Development-Strategien in Deutschland, Frankreich und England“ am Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim unter Leitung von Prof. Dr. Birgit Mandel und Maria Nesemann in Kooperation mit Kulturmanagement Network, Kulturpolitische Gesellschaft, Kulturprojekte Berlin und Zentrum für Bildungsintegration - Diversity und Demokratie in Migrationsgesellschaften.
Eine Aufzeichnung der Vorträge und Podiumsdiskussionen finden Sie hier.
Das Programmheft mit spannenden Statements unserer Gäste finden Sie hier.
Einige zentrale Erkenntnisse des Symposiums:
Audience Engagement statt Audience Development: Traditionelle Konzepte des Audience Development, die von einem festen Programm-Kanon ausgehen, für das ein neues, sozial und kulturell diverses Publikum begeistert werden soll, führen nicht zu einer grundlegenden Veränderung der Publikumsstruktur. Vielmehr braucht es tiefgreifende Veränderungen in den Programmen, die bei den Interessen der neu zu Erreichenden ansetzen müssen. Vor diesem Hintergrund scheint der Begriff des Audience Engagement treffender, weil dieser betont, dass anvisierte neue Zielgruppen aktiv eingebunden werden.
Zugänglichmachen des Bestehenden oder Öffnung für vielfältige kulturelle Interessen: Es gibt in der gegenwärtigen Kulturpolitik und unter Kulturschaffenden einen Konflikt zwischen der Idee einer Demokratisierung von (Hoch-)Kultur (Expert*innen geben vor, was gute Kunst ist und versuchen dann andere dorthin zu bringen) und Kultureller Demokratie (alle können mitentscheiden und es gibt keine Wertung zwischen Kulturformen, beispielsweise Schlager wären genauso wertvoll und förderungswürdig wie Klassische Musik). Obwohl sich alle offen zeigen für die Interessen der sogenannten Stadtgesellschaft, wollen die Kunstschaffenden in Deutschland ihre professionellen Wertmaßstäbe und Programmhoheit nicht beeinträchtigt sehen durch (unterhaltungsorientierte) Ansprüche eines breiten Publikums. In England hat man sich in der aktuellen Förderstrategie „Let’sCreate“ dem Modell der Kulturellen Demokratie verpflichtet mit dem Schritt von der Kunstförderung zur Förderung kultureller Kreativität in der Bevölkerung und den Communities.
Gefahr von rechts durch mehr kulturpolitische Steuerung?: Die Diskussion um mehr kulturpolitische Steuerung, die Theater verpflichten würden, sich teilhabeorientierter aufzustellen, wird in Deutschland sehr kritisch betrachtet, während es in Frankreich und vor allem in England selbstverständlich ist, dass die öffentliche Hand klare Forderungen stellt für maximale Zugänglichkeit der von ihnen geförderten Einrichtungen (z.B. durch definierte Budgets für Stadtteilkulturarbeit und Kooperationen mit Schulen, Seniorenheimen, Arbeitsloseninitiativen, Gefängnissen) und diese auch überprüft. Auch auf der Tagung wurde paradigmatisch für die deutsche Haltung die Sorge vor der Beeinträchtigung der Kunstfreiheit ins Spiel gebracht, wenn etwa die AfD in eine Regierungsposition käme und mit mehr Steuerungsmacht in der Kulturpolitik ausgestattet wäre als bisher. Dem ist entgegen zu halten, dass die Gefahr einer parteipolitisch orientierten Kulturpolitik auch im bisherigen Modell gegeben ist, das sich durch Intransparenz und Nicht-Regelung auszeichnet – wenn etwa Intendant*innen-Posten hinter den Kulissen vergeben werden und diese weitgehend ohne Vorgaben, die an das öffentliche Gemeinwohl angebunden sind, agieren können.
Eine hohe Bedeutung für den Erkenntnisgewinn des Symposiums hatten neben den bereichernden Vorträgen und Podiumsdiskussionen auch die interaktiven Arbeitsgruppen, in denen die Teilnehmenden aus der Theaterpraxis, der Kulturverwaltung und Kulturpolitik und der Wissenschaft konstruktiv aus verschiedenen nationalen und berufsspezifischen Perspektiven heraus an den zentralen Fragen arbeiten und sich vernetzen konnten.
Ein Rückblick auf die Veranstaltung ist in der Ausgabe IV/2023 der Kulturpolitischen Mitteilungen erschienen: „Becoming Public – Ein internationales Symposium zur Öffnung des Theaters für neue Publikumsgruppen“
Außerdem gibt es einen Rückblick von kulturmanagement.net
- Deutsche Version
- English version
Besprochen wurde das Symposiumsthema auch in der November-Ausgabe des Theaterpodcast von Deutschlandfunk Kultur und nachtkritik.de: „Abschied vom Elfenbeinturm. Warum Theater neu gedacht werden muss“
Das Symposium wurde organisiert durch das DFG-Forschungsprojekt „Chancengerechte Teilhabe an öffentlich geförderten Theatern. Theater Governance und Audience Development-Strategien in Deutschland, Frankreich und England“ am Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim unter Leitung von Prof. Dr. Birgit Mandel und Maria Nesemann in Kooperation mit Kulturmanagement Network, Kulturpolitische Gesellschaft, Kulturprojekte Berlin und Zentrum für Bildungsintegration - Diversity und Demokratie in Migrationsgesellschaften.