Nachbarskind kann’s auch? / Frühdiagnostik: 700 Unter-Drei-Jährige für Forschungsprojekt gesucht

Donnerstag, 16. August 2012 um 08:34 Uhr

Viele Eltern sind verunsichert, wenn sie feststellen: Das Nachbarskind kann etwas, was mein gleichaltriges Kind noch nicht beherrscht. „Kinder unterscheiden sich in ihrer Entwicklungsgeschwindigkeit voneinander“, beruhigt Prof. Dr. Claudia Mähler. Dennoch gilt: Wenn sprachliche oder kognitive Entwicklungsrückstände früh erkannt – und mit Förderung kombiniert – werden, steigen die Entwicklungschancen der Kinder beträchtlich. Psychologen der Universität Hildesheim erarbeiten bis 2013 einen neuen Entwicklungstest für Unter-Drei-Jährige.

Wann können Kinder sitzen, stehen, laufen? Wann sprechen sie die ersten längeren Sätze? Wann erkennen sie sich selbst im Spiegel? Wann schließen sie erste Freundschaften? „Wir interessieren uns für den Entwicklungsverlauf von Säuglingen und Kleinkindern“, sagt Prof. Dr. Claudia Mähler. „Manche Kinder können sehr früh sprechen, jedoch erst recht spät laufen – oder anders herum. Kinder unterscheiden sich in ihrer Entwicklungsgeschwindigkeit voneinander.“ Viele Eltern und Bezugspersonen seien verunsichert, wenn sie Unterschiede beobachten und fragen sich, ob ihr Kind altersentsprechend entwickelt ist – oder ob sich die Entwicklung verzögert. „Da kommen schnell Ängste auf.“

Wissenschaftler des Instituts für Psychologie der Universität Hildesheim untersuchen die unterschiedlichen Entwicklungsverläufe von Kleinkindern. Das Ziel des dreijährigen Forschungsprojekts „FREDI 0-3“ (Frühkindliche Entwicklungsdiagnostik von 0 bis 3 Jahren) ist es, bis 2013 einen aktuellen Entwicklungstest für Unter-Drei-Jährige zu erarbeiten. Für die aufwändige Normierung suchen die Forscher nun nach 700 Kindern. „Wir stellen jeweils den Entwicklungsstand fest, indem wir mit den Kindern kleine Aufgaben und Beobachtungen durchführen und auch die Eltern befragen. Für die Kinder sind es kleine Spiele mit ansprechendem Material.“

Das Manko an vorhandenen Testverfahren? „Viele Tests sind veraltet oder aus Amerika übersetzt, nicht an Kindern in Deutschland normiert. Es ist nicht gesichert, dass die amerikanischen Ergebnisse auch für deutsche Kinder zutreffend sind, weil ja die Erfahrungen ganz andere sein können. Wenn wir Frühdiagnostik ernst nehmen, benötigen wir ein aktuelles Messinstrument“, unterstreicht die Hildesheimer Entwicklungspsychologin Claudia Mähler.

Warum die Frühdiagnostik an Bedeutung gewonnen hat? „Wir wissen um die Plastizität des Gehirns. Wenn wir Entwicklungsrückstände früh erkennen und mit geeigneten Fördermaßnahmen kombinieren, können die Entwicklungschancen von Kindern beträchtlich steigen. Sprachentwicklungsrückstände könnte man beispielsweise lange vor der Einschulung behandeln und damit die Chancen für einen guten Schulstart verbessern“, erklärt Mähler. Dafür seien Diagnoseinstrumente unabdingbar, die auch nutzbar und von allen Beteiligten akzeptiert werden.

Der Entwicklungstest soll ab 2014 zum Beispiel bei Kinderärzten oder Beratungsstellen eingesetzt werden. Die Entwicklung des Tests wird durch den Hogrefe-Verlag finanziell gefördert.

Gesucht werden 700 Kinder zunächst in Hildesheim, später auch in anderen Städten, von der Geburt bis zum Alter von 36 Monaten. Auch Eltern werden gebeten, einige Fragen zur Entwicklung ihres Kindes zu beantworten. Das Treffen dauert etwa eine Stunde und kann sowohl in der Lehr- und Forschungsambulanz „KiM – Kind im Mittelpunkt" an der Universität Hildesheim (Marienburger Platz 22) als auch bei den Eltern zuhause oder nach Absprache in der KiTa oder beim Kinderarzt stattfinden. „Wir berichten den teilnehmenden Eltern von den Ergebnissen und bieten, falls nötig, eine individuelle Beratung an“, wendet sich Mähler an die Eltern.

Das Entwicklungsspektrum im Alter von 0 bis 3 Jahren umfasst zum Beispiel die Motorik, die Sprache, das Denken und die sozial-emotionale Entwicklung. Kinder lernen in diesem Alter viele grob- und feinmotorische Bewegungen, erwerben Wortschatz und Grammatik der Muttersprache, können erste Denkprobleme lösen, lernen mit den eigenen Gefühlen umzugehen und Gedanken und Gefühle von anderen zu erkennen. Am Kompetenzzentrum Frühe Kindheit Niedersachsen der Universität Hildesheim leitet Prof. Claudia Mähler die Forschungseinheit „Entwicklung und Diagnostik“.

Interessierte Eltern melden sich bitte bei Friederike Cartschau (E-Mail: cartscha[at]uni-hildesheim.de) oder in der Forschungs- und Lehrambulanz KiM.


Wann können Kinder sitzen, stehen, laufen? „Wir interessieren uns für den Entwicklungsverlauf von Säuglingen und Kleinkindern“, sagt Prof. Dr. Claudia Mähler. Am Institut für Psychologie arbeitet Friederike Cartschau, im Bild mit Tochter Nele, 18 Monate, an einem Forschungsprojekt mit, um Entwicklungsrückstände frühzeitig zu erkennen. Foto: Erken Schröder

Wann können Kinder sitzen, stehen, laufen? „Wir interessieren uns für den Entwicklungsverlauf von Säuglingen und Kleinkindern“, sagt Prof. Dr. Claudia Mähler. Am Institut für Psychologie arbeitet Friederike Cartschau, im Bild mit Tochter Nele, 18 Monate, an einem Forschungsprojekt mit, um Entwicklungsrückstände frühzeitig zu erkennen. Foto: Erken Schröder