Biographien von Sportlehrern

Dienstag, 12. November 2013 um 15:26 Uhr

Hinter Biographien stecken Geschichten – Prof. Dr. Vera Volkmann entdeckt sie. Die Juniorprofessorin für Sportwissenschaft untersucht, welche Rolle Sport beim „Bildungsaufstieg“ spielen kann. In biographischen Interviews zeichnet sie seit 2013 auf, wie Sportlehrerinnen und Sportlehrer mit Migrationshintergrund jene geworden sind, die sie sind.

Manche Interviews mit Lehrkräften aus Nordrhein-Westfalen umfassen vier Stunden. Es ist nicht die Sicht von Statistiken und Institutionen, die sie zuerst hört, sondern die der Menschen selbst. Bildungsintegrationsprozesse und Lebensverläufe zeichnet die gebürtige Bielefelderin aus biographischer Perspektive nach. Dieses Interesse begleitet sie schon seit Beginn ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit 2001 in Jena.

Wie konnte es gelingen, das deutsche Schulsystem erfolgreich zu absolvieren? Welche Hindernisse mussten überwunden werden? Welche Bedeutung kommt dem Sport in diesem Zusammenhang zu? Da ist etwa eine junge Lehrerin, deren Eltern aus der Türkei kamen und ihrer Tochter in der Kindheit einen breiten Zugang zu Bewegung und Sport ermöglichten. Im Studienfach Mathematik war sie gescheitert, im Fach Sport ein Ass. „Sie stand auf der Kippe und hat es geschafft, indem sie sich dem Sport zuwandte. Dort erlebte sie geteiltes Wissen, geteilte Werte. Sie wechselte das Fach und ist heute erfolgreiche Sport- und Deutschlehrerin an einer Hauptschule“, berichtet Vera Volkmann von einem Fallbeispiel.

Derzeit baut die Sportwissenschaftlerin Kontakte zum niedersächsischen Netzwerk von Lehrerinnen und Lehrern mit Migrationshintergrund auf, um die Untersuchung auszuweiten.

„In meinem Forschungsprojekt nehme ich jene in den Blick, die zunächst einmal bildungsintegriert erscheinen: Sportlehrerinnen und Sportlehrer mit Migrationshintergrund“, fasst Vera Volkmann zusammen. Aktuelle Diskussionen um die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund konzentrieren sich häufig auf das Misslingen von Bildungsintegration in Deutschland. Dann blinken Begriffe wie fehlende Arbeitseinkommen oder höheres Armutsrisiko in den Debatten auf. Das sitzt. Im Fußball aber, da ist scheinbar alles möglich. Die deutsche Nationalmannschaft wird häufig als Beispiel für gelingende Integration herangezogen. „Sport kann aber auch ausgrenzend wirken – das darf man nicht unterschätzen. Gruppen neigen dazu, sich abzugrenzen“, merkt Volkmann an. „Überall dort, wo es ein ‚Wir’ gibt, gibt es zwangsläufig auch ‚die Anderen’“. Sport ist hochemotional besetzt, Erfahrungen und Erlebnisse sind körperlich gebunden.  „Durch Sport kann das Selbstwertgefühl steigen. Erfolgserfahrungen und Anstrengungsbereitschaft werden auf eigene Fähigkeiten zurückgeführt. Sportliche Freizeitaktivitäten in Vereinen können Menschen auch zusammenführen, die sonst eher getrennt sind“, sagt die Juniorprofessorin, die an der Universität Hildesheim die künftige Lehrergeneration ausbildet.

An der Universität Hildesheim ist ein Forschungsschwerpunkt zum Thema „Bildungschancen – Bildungsintegration“ entstanden. Musik und Sport werden als wichtige Felder für Teilhabe einbezogen. „Ich freue mich, in Hildesheim mitzuwirken, die Wege sind kurz und ich schätze das Arbeitsklima, kann mich mit Kollegen aus anderen Fächern austauschen“, sagt Vera Volkmann. Den erneuten Schritt in Richtung Wissenschaft ist sie sehr bewusst gegangen, hat die Lebenszeitverbeamtung als Lehrerin aufgegeben. Sie hat Referendare aus- und Lehrer fortgebildet. Fast fünf Jahre war sie als Lehrerin in Nordrhein-Westfalen tätig, an einer Schule, die seit über 20 Jahren Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam unterrichtet. Sie studierte Sport und Französisch in Bielefeld und Lyon. In ihrer Promotion an der Universität Oldenburg untersuchte sie, welche Rolle biographische Erfahrungen für das Handeln von Lehrern spielen. Vera Volkmann hat zwei Kinder und lebt mit ihrer Familie in Bielefeld.

Der Fachbereich Erziehungs- und Sozialwissenschaften der Universität Hildesheim lädt zur öffentlichen Antrittsvorlesung von Prof. Dr. Vera Volkmann ein. Sie spricht am Mittwoch, 13. November 2013, zum Thema „Sport als Heimat: Biographische Konstruktionen der Zugehörigkeit“ (18:15 Uhr, Hörsaal 1, Hauptcampus Marienburger Platz 22). Im Rahmen des Vortrags stellt sie erste Ergebnisse aus den Fallanalysen vor.

Teilnahme an der Studie: Interessierte Sportlehrerinnen und Sportlehrer mit Migrationshintergrund können sich an Vera Volkmann wenden (E-Mail vera.volkmann[at]uni-hildesheim.de). 


Sport kann verbinden – und trennend wirken, sagt Vera Volkmann, Juniorprofessorin für Sportwissenschaft an der Universität Hildesheim.

Sport kann verbinden – und trennend wirken, sagt Vera Volkmann, Juniorprofessorin für Sportwissenschaft an der Universität Hildesheim.