Promovendin der Uni Hildesheim mit Kinder- und Jugendhilfepreis ausgezeichnet

Freitag, 15. Juli 2022 um 08:08 Uhr

Dr. Carolyn Hollweg, die am Fachbereich I im Institut für Sozial- und Organisationspädagogik promoviert hat, hat mit ihrer Dissertationsschrift den Deutschen Kinder- und Jugendhilfepreis 2022 in der Kategorie Theorie- und Wissenschaftspreis gewonnen. Die Auszeichnung ist mit 4.000 Euro dotiert.

Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ hat am 30. Juni die Preisträger*innen des Deutschen Kinder- und Jugendhilfepreises 2022 – Hermine-Albers-Preis – in Berlin gewürdigt. Der Preis wurde dieses Jahr in den drei Kategorien Praxis, Theorie- und Wissenschaft sowie Medien vergeben. Ermittelt wurden die diesjährigen Preisträger*innen von einer elfköpfigen Jury unter Vorsitz von Prof. Dr. Nadia Kutscher aus insgesamt 177 eingereichten Bewerbungen.

Zu den Geehrten gehört Dr. Carolyn Hollweg, die am Fachbereich I der Universität Hildesheim im Institut für Sozial- und Organisationspädagogik promoviert hat. Sie erhielt den Preis in der Kategorie Theorie- und Wissenschaftspreis für ihre Dissertation „(un)geteilte Sprachräume – (un)geteilte Rechte? Eine empirische Untersuchung der Verständigungspraxis gedolmetschter Hilfeplangespräche“.

„Als Arbeiter*innenkind freue ich mich sehr, diesen besonderen Preis entgegennehmen zu dürfen", sagt Carolyn Hollweg. "Ich hoffe, dass der Einsatz von Dolmetschenden in der Kinder- und Jugendhilfe dadurch zukünftig mehr Aufmerksamkeit und Professionalisierung erfährt, um der Benachteiligung junger Menschen und Familien nichtdeutscher ‚Muttersprache‘ mit einer kritisch-reflexiven Fachlichkeit entschieden entgegenzutreten.“

Die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (AGJ), Prof. Dr. Karin Böllert, hebt die Bedeutung des Preises hervor: "Mit der Verleihung des Kinder- und Jugendhilfepreises würdigt die AGJ herausragende Arbeiten und besondere Leistungen aus Wissenschaft und Praxis und dem Journalismus. Der Preis ist ein Ausdruck der Anerkennung und Wertschätzung für Menschen, die sich mit ihrem Engagement dafür einsetzen, dass sich die Kinder- und Jugendhilfe weiterentwickeln kann. Dabei werden Potenziale, Errungenschaften, aber auch Schwachstellen dieses Systems aufgezeigt. Die Arbeiten der Preis- und Anerkennungsträger*innen tragen in diesem Sinne dazu bei, die Angebote und Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe besser zu machen, sie an den Interessen von jungen Menschen und ihren Familien auszurichten – die Arbeiten sind Vorbild und Innovationsmotor."

In ihrer Rede machte die AGJ-Vorsitzende in Hinblick auf den diesjährigen Praxispreis, der zum Thema "Kinder- und Jugendhilfe digital" ausgeschrieben war, darüber hinaus die Notwendigkeit des "DigitalPakts Kinder- und Jugendhilfe" deutlich. Denn die eingereichten Bewerbungen zeigten, wie sehr die Kinder- und Jugendhilfe damit zu kämpfen hatte und hat, in der Corona-Pandemie erst einmal die elementarsten Voraussetzungen für qualifizierte digitale Angebote zu schaffen. „Wer aber seine Energie in die Ausstattung von Netzwerken, Rechnern und Leitungen stecken und Software sowie neue Plattformen der Kommunikation erproben muss, dem bleiben keine Spielräume für bundesweit modellhafte Leuchtturmprojekte,“ betonte Prof. Dr. Böllert. So sei die Ausschreibung zum Deutschen Kinder- und Jugendhilfepreis ein paar Jahre zu früh gekommen und vor diesem Hintergrund vergebe die AGJ beim Praxispreis 2022 keinen Preis, sondern eine Anerkennung.

Die Rede für den Stifter des Deutschen Kinder- und Jugendhilfepreises, den Obersten Jugend- und Familienbehörden der Länder, hielt Staatssekretär Aziz Bozkurt in Vertretung des Vorsitzlandes der Jugend- und Familienministerkonferenz Berlin. Er übergab zusammen mit der AGJ-Vorsitzenden und der Juryvorsitzenden die Auszeichnungen an die Preisträger*innen. Dank des Stifters konnten von 1955 bis heute an die 70 Preise und viele Anerkennungen vergeben werden. „Den Obersten Landesjugend- und Familienbehörden danke ich ganz herzlich dafür, dass sie den Preis über einen so langen Zeitraum immer wieder möglich gemacht haben,“ sagte die AGJ-Vorsitzende.

Der Preis ist pro Kategorie mit 4.000 Euro dotiert. Darüber hinaus kann in jeder Kategorie auch eine Anerkennung vergeben werden, die jeweils mit einem Geldbetrag von 1.000 Euro versehen ist. 

Die Ausschreibung für den Deutschen Kinder- und Jugendhilfepreis – Hermine-Albers-Preis 2024 wird Anfang des Jahres 2023 erfolgen.

 

Der Theorie- und Wissenschaftspreis 2022

Wie kann die Verständigung zwischen pädagogischen Fachkräften und Adressat*innen gelingen, wenn dafür keine gemeinsame Sprache zur Verfügung steht? Gerade im Kontext der Hilfeplanung kommt dieser Frage besondere Bedeutung zu. Doch über den Einsatz von Dolmetschenden ist bislang nur wenig bekannt, es fehlt an empirischen Einsichten und fachlichen Maßstäben. So gibt die Dissertation „(un)geteilte Sprachräume – (un)geteilte Rechte? Eine empirische Untersuchung der Verständigungspraxis gedolmetschter Hilfeplangespräche“ erstmals Aufschluss über die interaktiven Herausforderungen und Beteiligungsmöglichkeiten in gedolmetschten Hilfeplangesprächen. Sie verortet die Sprachmittlung in einem Spannungsfeld zwischen der lebensweltlichen Mehrsprachigkeit ihrer Adressat*innen und der institutionellen Einsprachigkeit der Jugendhilfebehörden. Zudem macht die Arbeit translationswissenschaftliche Zugänge für die Hilfeplanforschung fruchtbar, mitunter durch videographische Datenerhebungen und eine modalitätsspezifisch erweiterte Gesprächsanalyse. Die Forschungsbefunde zeigen, dass die gesprächsorganisatorische Verantwortung für die Signalisierung dolmetschrelevanter Punkte nicht systematisch in der Interaktion verankert wird. Dabei stellen die Akteur*innen verschiedene Sprachräume her: zwischen jungen Menschen und Sprachmittelnden auf der einen und pädagogischen Fachkräften und Sprachmittelnden auf der anderen Seite. Es zeigt sich, dass die Sprachmittelnden je nach Sprachraum systematisch verschiedene Modifikationsverfahren, Reparaturaktivitäten und Adressierungen verwenden. Sie ergänzen oder korrigieren Aussagen eigenmächtig, reduzieren sie um gesichtsbedrohende Inhalte und passen sie an antizipierte Erwartungen an. Dadurch etablieren sich unterschiedliche Wissensbestände und Beziehungsgefüge. Die Sprachmittlung wird zu einer Art Grenzkonstrukt, bestimmte Sequenzen bleiben unverdolmetscht, während oftmals völlig unklar bleibt, wie viel die jungen Menschen verstanden haben. Dadurch wird ein intransparenter, aber in bestimmter Hinsicht dennoch funktionaler Interaktionsrahmen etabliert.

Begründung der Jury: „Es handelt sich um eine in jeder Hinsicht herausragende, konzeptionell, methodisch, methodologisch und inhaltlich vorbildliche und anregende Studie, die – was nicht immer selbstverständlich ist – auch noch Spaß macht zu lesen. In der Summe liefert die Studie eine Fülle von anregenden Ergebnissen, die weiter diskutiert werden müssten.“

Die vollständige Pressemitteilung der AGJ finden Sie hier


Foto von der Preisverleihung: Staatssekretär Aziz Bozkurt, AGJ-Vorsitzende Prof. Dr. Karin Böllert, Preisträgerin Dr. Carolyn Hollweg und Juryvorsitzende Prof. Dr. Nadia Kutscher. Foto: Bildschön