Kulturpolitik in Europa

Kulturpolitik in Europa

Kurzzusammenfassung des Vortrags vom 17.12.2007
Prof. Dr. Wolfgang Schneider


Der Dekan des Fachbereichs II Kulturwissenschaften, Prof. Dr. Wolfgang Schneider, begann seine Ausführungen mit einem Zitat von Wim Wenders, der sich sinngemäß äußerte, sich in Berlin „als Deutscher“ zu fühlen, während er in den USA als „Europäer“ empfinde. Schneider versuchte mit diesem Eingangszitat das gewachsene europäische Identitätsgefühl bei gleichzeitiger Nationsbezogenheit zu verdeutlichen. In diesem Spannungsfeld bewegt sich auch die Kulturpolitik in Europa bzw. die europäische Kulturpolitik.

Zur Thematik rekurrierte Schneider zunächst auf die einschlägigen Rechtsdokumente als Grundlage für die Beurteilung und Einschätzung der europäischen Kulturpolitik. War noch für die seit 1952 existierende Montanunion oder Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), die seit 1958 in Kraft getretene Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) sowie für die seit dem Fusionsvertrag von 1967 so benannten Europäischen Gemeinschaften (EG) sowie selbst für die Europäische Union mit dem Vertragswerk von Maastricht 1991 Kultur und Kulturpolitik kein wesentliches Anliegen, so änderte sich dies mit Ende der 1990er Jahre. Im EU-Vertrag von Amsterdam 1997 (in Kraft 1999) war im Artikel 151 u. a. von der Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten die Rede. Absatz 4 beinhaltete die so genannte „Kultur-Verträglichkeitsklausel“, wonach die Gemeinschaft bei ihrer Tätigkeit der „Wahrung und Förderung der Vielfalt ihrer Kulturen“ Rechnung trage. Nicht aber erst die Europäische Union hat sich explizit auf die Kultur Europas und die europäischen Kulturen bezogen. Jahrzehnte vorher hatte schon der 1949 gegründete Europarat in Straßburg die Sicherung des gemeinsamen kulturellen Erbes als Zielvorgabe formuliert. 1951 verabschiedete er eine Kulturkonvention, der sich eine Menschenrechtskonvention (1953) anschloss. Zwanzig Jahre später im Jahre 1972 erfolgte eine weitere Initiative des Europarats, Kultur und Kulturpolitik zu bestimmen – zu einer Zeit als sich die UNESCO noch schwer tat, ihr „C“ im Akronym und somit auch „Kulturpolitik“ zu definieren. Erst zehn Jahre später fand in Mexico City 1982 eine erste UNESCO-Weltkonferenz zum Thema „Kulturpolitik“ statt.

Am 10. Mai 2007 machte die EU-Kommission eine Mitteilung an das Europäische Parlament, den Rat der EU, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (WSA) und den Ausschuss der Regionen (AdR) über eine „europäische Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung“. Sie soll den „strategischen Zielen“ „Wohlstand“, „Solidarität“ und „Sicherheit“ in Europa dienen, um offensichtlich die Präsenz auf der internationalen Bühne auszubauen. Mit diesen Hinweisen war die Doppelfunktion der Kultur für EU-Politik angesprochen. Die Ziele einer „Europäischen Kulturagenda“ lauteten basierend auf dieser „Mitteilung“ folgendermaßen:

An diesen Zielen würden sich laut Schneider auch künftige EU-Maßnahmen ausrichten, wobei er auf die Gefahr der Instrumentalisierung von Kultur und Kulturpolitik durch die Union hinwies. Neben der Indienstnahme der Kultur für europäische Integrationspolitik machte Schneider auf die sich abzeichnende Herausbildung einer Auswärtigen Kunst- und Kulturpolitik der EU aufmerksam, die sich im Zuge des Aufbaus eines Europäischen Diplomatischen Dienstes ergeben würde. Er warf die Frage auf, ob es nicht ein ausbaufähiges „Kulturinstitut für Europa“ geben sollte und verwies auf das bereits bestehende „European Union Network of Institutes of Culture“ (EUNIC). Schneider räumte ein, dass die Befürchtung „Kultur als Schmiermittel für die Ökonomie“ zu verwenden, nicht grundlos bestehe. Dabei komme Kultur eine Innenpolitik- wie Außenpolitik-Funktion zu. Der Referent machte u. a. auf das europäische Kulturhauptstadt-Projekt 2010 mit Istanbul, Essen und Pecs aufmerksam, wobei erstmals mit einer türkischen Stadt eine Stadt eines Nicht-EU-Mitglieds (aber EU-Beitrittskandidatenlandes) beteiligt sei. Kulturpolitik als politisches Signal? Kulturpolitik werde zunehmend als Gesellschaftspolitik begriffen. Schneider berichtete weiters von seiner Funktion und Tätigkeit als Mitglied der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages über die Lage von Kultur und Kulturpolitik in Deutschland. Steffen Reiche sei der einzige Bundestagsabgeordnete gewesen, der Kultur mit Blick auf EU-Europa diskutiert habe. „Mit Kultur“ wolle man „Europa eine Seele geben“. Es zeichne sich, so Schneider, ab, dass „europäischer Kultur“ in Zukunft in der EU-Politik mehr Bedeutung gegeben würde. Schneider sieht sie als „Quartett“ auf lokaler, regionaler, nationaler und kontinentaler Ebene. Dabei sei der deutsche Kulturföderalismus ein besonders wirkmächtiger (Brems-)Faktor. Nach wie vor bestehe keine Europäische Akademie der Künste, aber eine Europäische Filmakademie, die einen Preis namens „Felix“ für hervorragende Filme verleihe. Die Idee eines Europäischen Kulturfonds könne bei einem Minimaleinsatz von 70 Cent pro EU-Bürger eine reelle Chance haben. Doch ist bisher jedenfalls die Kultur ein äußerst bescheiden gefördertes Politikfeld der EU. Der Bruttosozialprodukt-Anteil der EU-Staaten für europäische Kulturpolitik betrage nur um die 0,001 Prozent. Schneider schloss seine Ausführungen mit drei Zitaten prominenter historischer Persönlichkeiten, so Denis de Rougement vom Genfer Centre Européen de la Culture“ mit „Europa ist eine Kultur oder es bleibt bedeutungslos“, Dario Fo „Noch bevor Europa wirtschaftlich geeint war – war es eine Kultur …“ und Gao Xingliau mit „Kultur ist kein Luxus, Kultur ist eine Notwendigkeit.“ Schneider wurde phasenweise gegen Schluss seines Vortrags politisch und prophezeite, dass in den nächsten 25 Jahren Kulturpolitik für die EU an Relevanz gewinnen werde und EU-Parlamentarier sich zukünftig mehr dafür engagieren und auch hierfür mehr Zuständigkeit entwickeln würden. In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass dies auch der Lackmustest für die Beantwortung der Frage ist, ob die EU mehr als nur eine Handels-, Markt-, Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft von Staaten ist bzw. bleiben wird.

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