Die deutsche Europapolitik nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon

Es gilt das gesprochene Wort!

 

Eckart Peter Hans von Klaeden (http://www.von-klaeden.de/) ist seit Oktober 2009 Staatsminister bei der Bundeskanzlerin, seit 2006 Bundesschatzmeister der CDU und seit 2005 Vorsitzender der Arbeitsgruppe „Auswärtiges“ der CDU/CSU-Fraktion. Bereits 1983 trat er der Jungen Union bei und ist seit 1995 Vorsitzender der CDU-Kreisverbandes Hildesheim.

 

Die Rollen des Bundestag innerhalb der EU

Seinen Vortrag im gut besuchten Hörsaal 2 der Stiftung Universität Hildesheim beginnt von Klaeden mit dem Hinweis auf die Schwierigkeiten, die mit der Ausarbeitung des Lissabon-Vertrages (in Kraft getreten am 01.12.2009; eur-lex.europa.eu/JOHtml.do) verbunden waren. Zwölf Jahre habe die Verhandlungsarbeit hierfür gedauert. Doch die Mühe habe sich gelohnt, da institutionelle Defizite, die zuvor das Funktionieren der EU beeinträchtigten, nun deutlich abgemildert seien. Ein besseres Funktionieren der EU sei auch dadurch gewährleistet, dass die Rolle sowohl des Europäischen Parlaments (http://www.europarl.de) als auch der nationalen Parlamente gestärkt wurden. Hier gilt das Prinzip der Subsidiarität [d.h., dass zunächst untergeordnete Glieder bzw. Instanzen für die Lösung eines Problems und die Umsetzung eines Beschlusses zuständig sind, während übergeordnete Glieder zurückzutreten haben, F. Hinz].

Von Klaeden stellt im Folgenden fest, dass die EU im Innern vielfältig ist – und bleiben müsse. Sie habe eine Integrationsverantwortung. Der Bundestag trage hierbei eine besondere Verantwortung, die EU-Politik in die Bevölkerung zu vermitteln. Besonders heiß diskutiert sei hierbei zur Zeit die Erweiterungsfrage. Zwar sei es bisweilen schwierig, wenn der Bundestag bei EU-Beschlüssen gegen die Mehrheit stimmt, doch stärke gerade diese Möglichkeit das Gewicht des Gremiums, das keinem imperativen Mandat unterliege. Die neuen Möglichkeiten, die sich hierdurch bieten, nutzt der Bundestag nach von Klaedens Einschätzung bereits gut.

Allerdings stellte er insgesamt seit längerer Zeit fest, dass die EU-Politik in kleineren Mitgliedsländern (wie z.B. Österreich) deutlich aufmerksamer beobachtet werde als in Deutschland und den übrigen „Großen“ der EU.

 

Die Prinzipien deutscher Europapolitik

Deutschland, so führt der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion aus, der sich selbst als überzeugten Europäer bezeichnet, definiert seine nationalen Interessen europäisch. Dies ist seit der Kanzlerschaft Adenauers der Fall. Bundeskanzlerin Angela Merkel legt vor allem auf enge Beziehungen zu Tschechien und Polen wert. Wenn Deutschland hingegen mit Frankreich zusammenarbeitet und mit diesem Einigkeit herstellt, sehen dies die übrigen EU-Mitglieder, so von Klaeden, oftmals nicht gern, da ihre Stimme in diesem Fall weit weniger ins Gewicht fällt, als wenn Deutschland und Frankreich unterschiedliche Auffassungen zu einer Frage vertreten.

Sich erneut der aktuellen Erweiterungsfrage zuwendend warnt der Redner davor, die EU zu überdehnen. Mittlerweile trage die EU die Verantwortung für eine halbe Milliarde Menschen. „Wir wollen keine EU, die durch Heterogenität gelähmt ist.“ Wenn jeder der mittlerweile 27 Regierungs-Chefs zu einem Tagungspunkt ein Statement abgeben wolle und jeder für sich auch nur fünf Minuten in Anspruch nehme, dann könne man sich vorstellen, wie schleppend und mühsam bereits jetzt die Verhandlungen strittiger Punkte abliefen. Mit der Türkei gebe es zwar nach wie vor „ergebnisoffene Verhandlungen“, doch auch die EU sei nicht unendlich erweiterbar, sondern bedürfe „eines Tages“ finaler Grenzen. Der CDU-Politiker glaubt, dass er den Beitritt der Türkei als Vollmitglied nicht mehr erleben werde. Man dürfe bei dieser Frage auch nicht außer Acht lassen, dass die EU sich nicht nur über den Euro und den gemeinsamen Binnenmarkt definiere, sondern ebenso über gemeinsame Werte, von denen von Klaeden die „Kraft der Freiheit“ und die Würde des Menschen ins Zentrum gestellt wissen möchte. Die „Seele Europas“ sei die gegenseitige Toleranz. Diese Werte müsse man nach außen verteidigen, nur dann werde die EU auch respektiert.

 

Die Rolle der EU in der Welt

Die durch den Lissabon-Vertrag neu geschaffenen Institutionen, fordert von Klaeden, müssen nun mit Leben gefüllt werden. Sie seien hierbei auf einem guten Weg. Die Regulierung der Finanzmärkte seien beispielsweise bisher besser gelungen als allgemein anerkannt. Um diese positive Entwicklung weiter zu fördern, sei es notwendig, Herman Van Rompuy (erster ständiger Präsident des Europäischen Rates) und Catherine Margaret Ashton (Baroness Ashton of Upholland; Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik) noch stärker in der Öffentlichkeit sichtbar werden zu lassen.

Die Außenpolitik nicht nur Deutschlands, sondern auch der EU sei sowohl interessen- als auch wertegeleitet, wobei der Redner vor allem auf den Umgang mit den Problemfeldern China - Dalai Lama und das Gefangenenlager Guantánamo hinweist. Die Bundeskanzlerin vertrete die Ansicht, dass dies der EU die nötige Anerkennung verschafft. Der „Friedensauftrag“, der vorher eher nach innen gerichtet gewesen sei, müsse nunmehr und weiterhin verstärkt nach außen gekehrt sein, wobei „Führungsstärke“ der EU nur durch „gute Beispiele“ und im Schulterschluss mit den USA möglich sei. Die Bundesregierung, so der Staatsminister bei der Bundeskanzlerin, wünscht sich eine starke EU, die sich durch einen gemeinsamen Willen und gegenseitigen Respekt auszeichnet. Sie wirke aber auch mit Nachdruck darauf hin, dass der deutschen Sprache innerhalb der Gemeinschaft der Status zuerkannt wird, der ihr gebührt. (Obwohl es innerhalb der EU keine andere Sprache gibt, die mehr Muttersprachler aufweisen kann als das Deutsche, werden Englisch und Französisch noch immer bevorzugt.)

Entscheidend sei jedoch vor allem, den europäischen Wirtschaftsraum zu stärken. Frau Merkel strebe daher an, die Wachstumsstrategien eng mit dem Stabilitätspakt zu verknüpfen. Was den Stabilitätspakt und die Finanzkrisen betreffe, so seien letztere bei der Ausarbeitung des ersteren nicht für möglich gehalten worden und dementsprechend unberücksichtigt geblieben. Den Griechen müsse man nun Hilfe zur Selbsthilfe gewähren. Doch bedeute die Zahlungsunfähigkeit eines Mitgliedsstaates für die EU – und auch für Deutschland – eine Gefahr, die man nicht unterschätzen dürfe. Aus diesem Grund solle ein Europäischer Währungsfonds (EWF) gegründet werden, damit man nicht auf den IWF (Internationaler Währungsfonds) zurückgreifen müsse. Frau Merkel habe kürzlich eine Arbeitsgruppe initiiert, die die jüngsten Krisen (globale Finanzkrise, Krise Griechenlands) analysieren soll. Geprüft werden müssten hierbei auch die gegenwärtigen Vertragsgrundlagen, trotz aller damit verbundenen voraussehbaren Widerstände und Schwierigkeiten, da der Schaden bei Zahlungsunfähigkeit eines Mitgliedes für die gesamte Gemeinschaft in keinem hinnehmbaren Verhältnis stünde.

 

 

Wie bei den Europa-Gesprächen üblich stand der Referent im Anschluss an seinen vielseitigen Vortrag der Diskussion mit dem Publikum zur Verfügung, das die Gelegenheit nutzte, den der Kanzlerin so nahe stehenden „Hildesheimer“ Politiker zu einer Vielzahl aktueller politischer Themen zu befragen.

Nach dem derzeitigen Stand der Ausbildung einer „Mittelmeerunion“ befragt, die Nicolas Sarkozy unter seiner EU-Präsidentschaft angeregt hatte, gab von Klaeden die Auskunft, dass er nicht glaube, dass sich hier zur Zeit etwas bewege. Wahrscheinlich sei auch Frankreich durch die Finanzkrise dermaßen in Anspruch genommen, dass für derartige Projekte momentan weder Kraft noch Geld zur Verfügung stünden.

Zum Griechenland-Problem erläuterte der Redner, dass dort die erforderlichen Reformen nicht durchgeführt worden seien. Obwohl die griechische Regierung nun so gelobt werde, sei bislang nur ein allererster Schritt getan. Es stehe den Griechen noch ein mehrjähriger schmerzhafter Konsolidierungsprozess bevor. Er wies darauf hin, dass Deutschland in der Vergangenheit auch ein schlechtes Beispiel abgegeben hatte, als der Stabilitätspakt ohne Not, zumindest ohne Finanzkrise, verletzt worden war. Den Hinweis Prof. Gehlers, dass Frau Merkel ernsthaft einen Ausschluss Griechenlands bzw. generell zahlungsunfähiger Staaten aus der EU diskutieren ließ, bestätigt von Klaeden. Wenn nichts mehr helfe, müsse man auch über einen solchen Schritt nachdenken. Die Schaffung des EWF könne diese letzte Konsequenz zwar verhindern helfen, sie könne aber andererseits auch dazu führen, dass Staaten sich auf diese Einrichtung verlassen und den Stabilitätspakt weniger ernst nehmen. Daher seien vor Einschreiten des EWF „ganz schmerzhafte Sanktionen“ nötig. Letztlich geht es nicht darum, im Notfall eine Unsumme Geldes in die betroffenen Staaten zu pumpen, sondern eine Garantie auszusprechen, um den Zinssatz damit zu drücken (spread-effect).

Eine weitere Frage zielte auf die noch immer nicht vorhandene „Telefonnummer der EU“ und darauf, ob diese zukünftig zu erwarten sei. Von Klaeden verneinte dies, hofft aber, dass Frau Ashton zunehmend wichtig werde und jedenfalls in stärkerem Maße eine Ansprechpartnerin werden könne, als irgendein EU-Politiker vor Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages.

Schließlich wurde die Erweiterungsfrage nochmals aufgegriffen. Eine Vollmitglied-schaft Russlands in der EU schloss von Klaeden aus. Es sei wie die Türkei nicht nur ein eurasisches Land, sondern wolle im Gegensatz zu dieser auch gar keine Mitgliedschaft. Denn eine solche in der EU bedeute Souveränitätsverzicht. Russland jedoch denke noch in imperialen Weltmachtskategorien. Während seine, von Klaedens, Ansicht sei (die derjenigen der EU entspricht), dass „es uns gut geht, wenn es unseren Nachbarn auch gut geht“, gehe die russische Regierung (– „keine Demokratie“ –) davon aus, dass es Russland gut gehe, wenn die Nachbarn es fürchteten.

 

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