Kommunalpolitik als Schule für die große Politik. Konrad Adenauer als Kölner Oberbürgermeister 1917 – 1933

Kurzzusammenfassung des Vortrags vom 21.04.2008
Prof. Dr. Günther Schulz (Universität Bonn)

Unter Oberbürgermeister Konrad Adenauer erlebte die Stadt Köln nach dem Ersten Weltkrieg einen enormen Aufschwung und eine gewaltige Expansion. Der Referent verwies „positiv“ auf die im großen Stile durchgeführten Entwaldungsaktionen, die Anlage von Grünflächen durch große Grüngürtel, den Bau des Müngersdorfer Stadions, die Profilierung der „Universität zu Köln“ zu einer Bürgeruniversität oder die Ansiedlung des britischen Automobilkonzerns Ford. „Negativ“ war der dabei entstehende Eindruck eines selbstherrlichen Oberbürgermeisters. Verbunden mit diesen gewaltigen Bauaktionen und Investitionsmaßnahmen war eine hohe Verschuldung der Stadt, was Adenauer zuletzt auch vermehrte Kritik sowie den Vorwurf der persönlichen Bereicherung eintrug. Die Kölner Nationalsozialisten wandten sich scharf gegen den Oberbürgermeister. Hätte sich Adenauer nicht in Sicherheit bringen können, wäre er gelyncht worden, führte Schulz aus. Adenauer beschwerte sich bei Hermann Göring. In einem bereits zur NS-Zeit durchgeführten, bemerkenswerten, weil rechtsstaatlich einwandfreien Prozess, bei dem sich Adenauer selbst verteidigte, wurde er von den Vorwürfen freigesprochen. Er erhielt eine beachtliche Abfindung und finanzierte damit seinen Hausbau in Rhöndorf bei Bonn am Rhein.
Nach diesem thematischen Einstieg wandte sich Schulz alsbald der zentralen Frage zu, inwiefern Adenauers Kommunalpolitik als Schule für die große Politik angesehen werden kann. Als Beispiele nannte er vergleichbare Fälle wie Willy Brandt (Regierender Bürgermeister von Berlin), Helmut Schmidt (Innensenator von Hamburg) oder Hans-Jochen Vogel (Oberbürgermeister von München) und schließlich vier Elemente für Adenauers politische Sozialisation: die katholische Prägung mit einer erfahrenen, nicht reflektierten Frömmigkeit, die fehlende Verankerung in der protestantisch-preußischen Wilhelminischen Welt, die seinem Fortkommen gesellschaftlich-ständische Grenzen auferlegte und daraus resultierend das zum Lebensgrundsatz erkorene Prinzip aus eigener Kraft „etwas zu werden“ und den eigenen Einsatz stets zu steigern. Ein viertes Element sieht Schulz in der Fähigkeit Adenauers, Kontakte herzustellen, Beziehungen zu knüpfen und Bindungen einzugehen, mit einem modernen Wort „Netzwerke zu bilden“. Schulz verweist auf den Kartellverband nicht farbentragender Verbindungen (KV Arminia zu Bonn), den Tennisclub etc.
Adenauers Vorfahren waren Bauern, sein Vater Kölner Bäckermeister, dann Beamter. Hineingeboren 1876 in einen katholischen Beamtenhaushalt, studierte er zügig in drei Jahren Rechtswissenschaften. Aus seinen zwei Ehen gingen sieben Kinder hervor. Adenauer arbeitete als Gerichtsassessor bei der Kölner Staatsanwaltschaft. Ab 1906 wurde er Beigeordneter der Stadt Köln was aufgrund der wichtigen Vermittlung des Zentrum-Politikers Kausen gelang. Ab 1917 agierte er als OB von Köln. Schulz verweist auf Prägungen und Gründe seiner Erfolge: die engen Bindungen zu Bank- und Geschäftsleuten, Industrie-, Handels-, Unternehmer- und Wirtschaftskreisen. Lokalpolitik war das Tagesgeschäft. Adenauer agierte ausgesprochen pragmatisch in der Durchsetzung seiner Pläne und Vorstellungen, während er sich in der Politik nicht festlegte. Die Liberalen unterstützen ihn bei partiellen temporären Divergenzen. Das Verhältnis zur Sozialdemokratie war ausgesprochen gut, erst später verschlechterte es sich, blieb aber insgesamt konstruktiv. Zu den Kommunisten war es sehr schlecht.
Schulz benannte zwei Phasen der Amtszeit Adenauers: Die erste Phase war von wirtschaftlichem Aufschwung und Expansion gekennzeichnet, die zweite von schweren politischen Belastungen. Adenauer war als Vorsitzender des Ausschusses des Rheinischen Provinzialverbandes sowie als Präsident des Preußischen Staatsrats mit der Vertretung der Rheinprovinzen in Preußen und der Regelung mit ihrer Gesetzgebung betraut. Er nahm zahlreiche Aufsichtsratsfunktionen wahr und häufte viele Ämterpositionen an, so dass von multifunktionellen Aktivitäten gesprochen werden kann. Durch zahlreiche Kontakte mit Unternehmern und Wirtschaftsführern (Carl Duisberg, Dannie Heinemann, Johann Hamspohn, Paul Silverberg, Hugo Stinnes, August Thyssen, Robert Pferdmenges und Albert Vögler) gewann Adenauer nicht nur Einblicke in die Wirtschaft, sondern auch Vertrauensleute und knüpfte freundschaftliche Beziehungen, Persönlichkeiten, die seine politischen Fähigkeiten schätzen lernten und ihm eine große Karriere zutrauten. So ist Adenauer schon in den 1920er Jahren als möglicher Kandidat für das Amt des Reichskanzlers im Gespräch. Pferdmenges wird zum wichtigsten Wirtschaftsberater Adenauers, dieser selbst Teilhaber des Salomon Oppenheimer-Bankhauses. Schulz verweist auf die Problematik des Historikers bei der Rekonstruktion von Netzwerken, da diese vielfach informell angelegt sind. Adenauer hatte nachweisbar auch Fürsprecher in Berliner Ministerien, so z.B. den Staatssekretär im Justizministerium Friedrich Freund, seinen Verbindungsmann zur Reichshauptstadt oder Hans Elfgen. Hermann Pünder saß in der Reichskanzlei und war für die Erfüllung von Sonderwünschen zuständig. In diesen personellen Verbindungen sieht Schulz auch die Kontinuitäten zwischen Weimar und Bundesrepublik. Für die Netzwerkbildung Adenauers gibt es jedoch keine Schlüsseldokumente, wie Schulz festhält. Die Beweggründe müssen bei vielen Verbindungen erschlossen werden. Feststeht jedoch die feste Wertebeziehung, von der Adenauer stets geleitet war.
Wie ist dessen Rolle als Kommunalpolitiker abschließend zu bewerten? Schulz orientiert sich bei dieser Fragestellungen an den Zielsetzungen des Kölner OB: Erstens sollte Köln zentrale Handels- und Wirtschaftsmetropole werden. Eine Abtrennung der Rheinprovinz vom Reich war nicht sein politisches Ziel. Adenauer sah die Problematik, mit der separatistischen Gefahr politisch assoziiert zu werden und ging auf Distanz zur Separatistenbewegung. Bei einer Kundgebung nahm er lediglich teil. Zweitens schwebte ihm die Stärkung der Kommunen vor. Drittens ist sein Verhältnis zur Wirtschaft zweckgerichtet, also funktional. Wiewohl er kein Mann der Wirtschaft ist, versteht er deren Hintergründe und Zusammenhänge. Eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik soll Geld schaffen für eine gezielte Sozialpolitik. Als OB von Köln war Adenauer kein wirklicher Außenpolitiker, wenngleich ihm paneuropäische Ideen nicht fremd und die deutsch-französischen Beziehungen ein Anliegen waren. Er entwickelt ein Rheinisches Museum zur Abwehr französischer Kultureinflüsse. Schulz hält Adenauer für keinen Mann der Monopole. Das Austarieren der Interessen war sein Anliegen, „mäßigender Besitz“ die Grundlage für ein christliches Leben. Daher rührten auch seine Bestrebungen für die Anliegen der mittleren Schichten einzutreten. Prägend waren der rheinische Katholizismus, Religiosität und Kirchenpolitik, christliche Solidarität und die Betonung der Familie. Grundsätzlich war Adenauer von Misstrauen den Menschen gegenüber erfüllt. Er hatte aufgrund des Enthusiasmus und Opportunismus gegenüber dem Nationalsozialismus seine Zweifel an ihrer politischen Reife. Die Praxis der Kommunalpolitik, der Wille zur Macht, Selbsthilfe, Planungskompetenz und die Kooperation auch mit dem parteipolitischen Gegner (so mit der SPD) waren bestimmend für seinen Erfolg. Der Historiker und Zentrums-Experte Rudolf Morsey nennt drei Aspekte, die Adenauers politischen Aufstieg ermöglichten: Er betrachtete sich selbst stets als den Kandidaten für die erste Position. Dafür galt es zur rechten Zeit rechtzeitig zur Stelle zu sein. An dieser Stelle angelangt, galt es erst dann Mehrheitsentscheidungen herbeizuführen, nach dem Motto: erst Profilierung dann Abstimmung. Schulz bezeichnet die Netzwerke Adenauers als dessen Sozialkapital. Der Start (in Köln) war grundlegend, die Weite des Sprungs (in das Nachkriegsdeutschland in Bonn) entscheidend. Schulz verweist auch auf den eigenen nicht wenig einflussreichen Adenauer-Clan in Köln (die Brüder wirkten als Rechtsanwälte oder im Domkapitel), den er aber nicht missverstanden sehen will, womit er sich von der These von Hans-Peter Schwarz, Adenauer sei „reinrassiges Produkt des Kölner Klüngels“ gewesen, kritisch absetzt. Kritisch sieht Schulz nur die Amtszeit des OB Adenauers in dessen unterschätzter Pressearbeit, aus der er später als Bundeskanzler lernen sollte, indem er Felix von Eckardt als Bundespressechef installierte. Nicht unmaßgeblich bei all den genannten Netzwerkstrukturen und biographisch-politischen Entwicklungen war auch der Faktor „Zufall“ gewesen: 1917 überlebte Adenauer einen schweren Autounfall glücklich.

 

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