„Uns interessiert die türkische Sprache in Europa als Thema in der Wissenschaft“

Tuesday, 09. July 2019 um 16:11 Uhr

In dieser Woche tagen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter anderem aus Norwegen, Großbritannien, der Türkei und Deutschland an der Universität Hildesheim. Die Fachleute befassen sich mit der türkischen Sprache in Europa.

Auf dem internationalen Workshop „Turkish in Europe“ an der Universität Hildesheim vernetzen sich die Fachleute aus Sprachwissenschaft, Psychologie und Pädagogik, um ihre Forschung zu diskutieren.

Guelsen Yilmaz stellt zum Beispiel die Frage: „How much variation disqualifies the heritage speaker’s nativeness?“, Christoph Schroeder und Kateryna Iefremenko referieren zum Thema „The post-verbal position in Turkish in two contact settings: Turkish-German bilinguals in Germany and Turkish-Kurdish bilinguals in Turkey“ und Işıl Erduyan spricht über „Turkish heritage speakers in Germany“. Zudem findet ein Austausch mit Professorin Irene Pieper, Vizepräsidentin für Internationalisierung, statt.

„Die Community der Türkisch sprechenden Personen in Europa ist riesig. Es ist ein Ziel, die Chancen der Mehrsprachigkeit aufzuzeigen, die für die Gesellschaft in der Vielfalt liegen“

Interview mit Prof. Dr. Elke Montanari
Professorin für Deutsch als Zweitsprache 

Frau Professorin Montanari, in Hildesheim kommen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum internationalen Workshop „Turkish in Europe“ zusammen. Was ist das Ziel der Tagung?

Wir wollen uns in Europa vernetzen mit Forscherinnen und Forschern, die sich mit der Entwicklung der türkischen Sprache beschäftigen. Wichtige Forschungsfragen sind zum Beispiel: Wie verändert sich das Türkische bei den Türkischsprecherinnen und Türkischsprechern, die nicht in der Türkei wohnen? Wir stellen fest, dass sie einen anderen sprachlichen Input haben, als Menschen, die in Istanbul, Antalya oder Ankara leben und arbeiten. Guelsen Yilmaz, Sprachwissenschaftlerin an der Humboldt-Universität zu Berlin, beobachtet diese Variationen im Türkischen von Personen, die außerhalb der Türkei leben.

Eine andere, viel diskutierte Frage ist: Wie gehen wir mit den Herkunftssprachen um? Die Sprache von jemandem, der in Berlin oder Paris lebt, kann sich durchaus in einigen Bereichen unterscheiden von der Sprache, die jemand spricht, der in der Türkei zur Schule gegangen ist, dort lebt und arbeitet. Dabei ist eine Herkunftssprache, wobei schon dieses Wort umstritten ist, ebenso eine Muttersprache, eine Erstsprache für das Kind, das damit aufwächst, wie für jedes andere Kind auch die Sprache in den ersten Lebensjahren, die Sprache der engsten Bezugspersonen.

Ein Beitrag befasst sich mit der Frage, welchen Wert die Gesellschaft der Sprache entgegenbringt.

Was ist Sprachprestige, und wie gehen wir in Deutschland mit dem Prestige der Sprache Türkisch um? Mit diesem Thema befasst sich Dr. Yasemin Dayıoğlu-Yücel, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Hildesheim. Welche Wertigkeit wird der türkischen Sprache in Bildungsinstitutionen, in der Umgebung, in der Familie entgegengebracht? Wie gut ist unser Umgang mit der Vielfältigkeit von Sprachen? Das sind Fragen, die uns sehr beschäftigen.

An der Konferenz nehmen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher linguistischer Disziplinen teil wie Soziolinguistik, Zweisprachigkeit, Spracherwerb, Psycholinguistik und Pädagogik. Warum ist diese interdisziplinäre Forschung wichtig?

Wir brauchen die unterschiedlichen Blickrichtungen. Wir sehen darin einen Mehrwert, zu untersuchen, wie zum Beispiel der Sprachgebrauch mit mentalen Dimensionen, mit der Entwicklung des Arbeitsgedächtnisses und der Intelligenz, mit der sich die Psycholinguistik befasst, zusammenhängt. Und was sind Schlussfolgerungen für die Pädagogik? Für die Gesellschaft? Das geht nur interdisziplinär.

Sie erforschen seit vielen Jahren, wie Kinder und Erwachsene das Deutsche als zweite Sprache lernen und wie sie mehrsprachig aufwachsen und mit vielen Sprachen leben. Sie befragen etwa in Schulen mehrsprachig aufwachsende Kinder, untersuchen den Wortschatz und das mentale Lexikon. Welche Rolle spielt dabei die türkische Sprache in Ihrer Forschung?

Die Community der Türkisch sprechenden Personen in Europa ist riesig. Wir haben sehr viele Sprecherinnen und Sprecher in Deutschland, in Frankreich und in anderen Ländern mit türkischem Hintergrund. In Deutschland ist es die nach wie vor größte Community, mit sehr engagierter Elternarbeit. Menschen mit türkischen Wurzeln sind in der Studierendenschaft und in der Dozentenschaft präsent, gerade auch in der Stiftung Universität Hildesheim. Es hat eine zentrale Bedeutung, dass wir gemeinsam Fragestellungen in der Forschung und in der Lehre entwickeln, wie es zum Beispiel im Masterstudiengang „Deutsch als Zweitsprache/Deutsch als Fremdsprache“ und in vielen weiteren Studiengängen dieser Universität geschieht. Es ist ein Ziel, die Chancen der Mehrsprachigkeit aufzuzeigen, die für die Gesellschaft in der Vielfalt liegen.

Die Fragen stellte Isa Lange.

Studium

Masterstudiengang „Deutsch als Zweitsprache/Deutsch als Fremdsprache“


Professorin Elke Montanari forscht und lehrt am Institut für deutsche Sprache und Literatur der Universität Hildesheim. Foto: Daniel Kunzfeld