Studienergebnisse Sozialpsychologie: Macht Hunger egoistisch?

Tuesday, 29. October 2019 um 15:38 Uhr

Hunger ist ein unangenehmer Zustand. Man wird garstig und gereizt, und je länger man nichts isst, desto tiefer sinkt die Laune. Da liegt es doch auf der Hand, dass Hunger auch egoistisch macht – oder nicht? In einer aufwendigen Studienreihe ist ein internationales Team von Psychologen und Psychologinnen aus Gießen, Hildesheim, Bamberg, Amsterdam und Oxford dieser Frage systematisch nachgegangen. Zum Forschungsteam gehört Andreas Mojzisch, Professor für Sozialpsychologie der Universität Hildesheim.

Lesen Sie hier einen Artikel zur Studie: 
Does Hunger Make You Selfish?

Hunger ist ein unangenehmer Zustand. Man wird garstig und gereizt, und je länger man nichts isst, desto tiefer sinkt die Laune.  Da liegt es doch auf der Hand, dass Hunger auch egoistisch macht – oder nicht? Ist jemand, der hungrig ist, wirklich so sehr auf seine eigenen Interessen bedacht, wie einige psychologische Studien und Befunde nahelegen?

In einer aufwendigen Studienreihe ist ein internationales Team von Psychologen und Psychologinnen aus Gießen, Hildesheim, Bamberg, Amsterdam und Oxford dieser Frage systematisch nachgegangen. In zwei experimentellen Studien im Labor wurden die Versuchsteilnehmer angewiesen, mindestens 12 Stunden vor Beginn der Studie nichts zu essen, d.h. die Versuchsteilnehmer kamen sehr hungrig und mit einem niedrigen Blutzuckerspiegel in das Labor. Dort erhielt die eine Hälfte der Versuchsteilnehmer – die Kontrollgruppe – etwas zu essen um eine schnelle Sättigung und einen hohen Blutzuckerspiegel zu erzeugen (zum Beispiel zwei Becher Schokopudding). Die andere Hälfte der Versuchsteilnehmer – die Experimentalgruppe – blieb für den weiteren Versuch hungrig.

Im Folgenden erhielten die Teilnehmer verschiedene Aufgaben. Deren Ziel: herauszufinden, ob die Teilnehmer sich dabei egoistisch verhielten. Bei einigen dieser Aufgaben bekamen sie beispielsweise einen Geldbetrag (zum Beispiel 10€) und konnten diesen zwischen sich und anderen Versuchsteilnehmern aufteilen. Bei anderen Aufgaben ging es darum, sich kooperativ zu verhalten, um dann gemeinsam einen höheren Gewinn zu erzielen. Bei einigen Aufgaben gab es zudem die Möglichkeit, egoistisches Verhalten der anderen Versuchsteilnehmer zu bestrafen.

Die Erwartung des Forscherteams war, dass Hunger egoistisches Verhalten begünstigt. Das Forscherteam fand allerdings keine belastbaren Belege für egoistischeres Verhalten von hungrigen im Vergleich zu satten Versuchsteilnehmern: Hunger führte nicht zu gesteigertem Egoismus.

In einer weiteren Studie wollte das Forscherteam herausfinden, ob sich die egoistischen Tendenzen eher finden lassen, wenn nicht Geld, sondern Essen aufgeteilt werden sollte. Hierfür bauten die Forscher einen Stand vor der Mensa der Uni Gießen auf und ließen Studierende, die entweder gerade in die Mensa gingen (also hungrig waren) und Studierende, die aus der Mensa kamen (also satt waren), Geld oder Essen (kleine Päckchen mit Studentenfutter) aufteilen. Wie in den anderen Studien fanden sich keine Belege dafür, dass Hunger egoistischer macht und zwar unabhängig davon, ob Geld oder Essen aufgeteilt wurde.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass, obwohl akuter Hunger möglicherweise egoistische Impulse verstärkt, diese sich oft nicht im Verhalten niederschlagen. Wir gehen davon aus, dass die sozialen Rahmenbedingungen, zum Beispiel mögliche Sanktionen oder der drohende Verlust von sozialem Ansehen so stark sind, dass solche egoistischen Impulse ausgebremst werden.“ fasst Jan Häusser, Professor für Sozialpsychologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen, die Studienreihe zusammen.  

Dass der Glaube an das egoistische Verhalten hungriger Menschen trotzdem weit verbreitet ist, zeigen die Autoren in einer weiteren Studie. Da dieser aber offensichtlich unzutreffend ist, stellt sich die Frage woher diese Überzeugung kommt. Ein weiterer Autor der Studie, Paul van Lange, Professor für Psychologie an der VU Amsterdam, meint hierzu: „Grundsätzlich neigen Menschen dazu, egoistisches Verhalten und egoistische Motive zu überschätzen. Offenbar gehen Menschen davon aus, dass insbesondere bei knappen Ressourcen das ‚wahre ich‘ gezeigt und egoistischer gehandelt wird. Unsere Studien zeigen, dass dies zumindest für akuten Hunger nichtzutreffend ist.“

Mehr Informationen zur Studie: 

Hunger Does not always Undermine Prosociality. 
In: Nature Communications 
Authors: Jan Häusser (Justus-Liebig University Giessen), Christina Stahlecker (Justus-Liebig University Giessen), Andreas Mojzisch (University of Hildesheim), Johannes Leder (University of Bamberg), Paul A. M. Van Lange (VU Amsterdam), Nadira Faber (Universities of Exeter and Oxford)


Andreas Mojzisch forscht und lehrt als Professor für Sozialpsychologie am Institut für Psychologie der Universität Hildesheim. Foto: privat

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