Studie: Smartglasses projizieren virtuelle Übertitel im Bühnengeschehen

Thursday, 05. September 2019 um 08:32 Uhr

Theaterbesucher mit einer Hörbehinderung in Hildesheim können „Smartglasses“ aufsetzen und das Theatergeschehen verfolgen, indem die Worte, die sie nicht hören können, als Übertitel virtuell im Bühnenraum projiziert werden. Ein Forschungsteam der Universität Hildesheim kooperiert dafür mit dem Theater für Niedersachsen. Nun sucht die Forschungsgruppe um Professorin Nathalie Mälzer Theaterbesucherinnen und Theaterbesucher, die an der Smartglasses-Studie teilnehmen möchten.

Ab November 2019 bis Frühjahr 2020 werden Theaterbesucher mit einer Hörbehinderung in Hildesheim „Smartglasses“ aufsetzen und das Theatergeschehen in einzigartiger Weise wahrnehmen können: Wer eine solche Brille trägt, erlebt, wie Übertitel virtuell im Raum direkt im Bühnengeschehen schweben. So müssen die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht ständig den Blick zwischen Bühnengeschehen und Übertiteln hin und herschweifen lassen. Für die anderen Zuschauerinnen und Zuschauer sind die Übertitel nicht sichtbar und beeinflussen somit nicht die Inszenierung.

Die Studie „Inklusives Theater“ führen Studentinnen und Studenten der Universität Hildesheim unter der Leitung von Professorin Nathalie Mälzer gemeinsam mit dem Theater für Niedersachsen (TfN) und mit Unterstützung der Firma Panthea durch.

Übertitelt wird die Theaterproduktion „Bella Donna“ im Theater für Niedersachsen in Hildesheim. „Um die Qualität dieser smarten Übertitel zu testen, möchten wir schwerhörige und gehörlose Menschen dazu einladen, sich das Stück anzusehen und im Anschluss einen Fragenbogen zu beantworten. Darin stellen wir Fragen zur Lesbarkeit sowie zur Verständlichkeit der Übertitel. Die Studie wird selbstverständlich anonymisiert“, sagt Professorin Nathalie Mälzer.

Zugänglichkeit an Theatern verbessern: Großes Interesse an dem Einsatz der Smartglasses-Technologie

Wie neu oder innovativ ist dieses Vorgehen – dazu erklärt das Forschungsteam: Generell gibt es bisher nur wenig Übertitelungen für Menschen mit einer Hörbehinderung. Im vergangenen Jahr wurde, betreut von Professorin Nathalie Mälzer und Professor Oliver Czulo von der Masterstudentin Linda Stegman am Schauspiel Leipzig ein Pilotprojekt mit Übertiteln für Smartglasses durchgeführt, bei dem einige Zuschauerinnen und Zuschauer anschließend befragt wurden.

Aus der Studie ging hervor, dass großes Interesse an dem Einsatz dieser Technologie für die Verbesserung der Zugänglichkeit an Theatern besteht. Wie Übertitel in einer rasanten Komödie wie „Bella Donna“ Humor transportieren können, wurde bisher noch nicht untersucht.

„Im Rahmen der Kooperation mit der Diakonie Himmelsthür und Aktion Mensch haben wir am TfN mehrere Vorstellungen mit Gebärdensprachdolmetschern organisieren können. Dabei habe ich erst gemerkt, wie ausschließend das Theater für Nichthörende ist. Da muss sich etwas bewegen! Ich bin total gespannt, wie sich das weiterentwickelt. Fantastisch wäre es, wenn wir nicht nur eine ausgewählte Vorstellung mit Gebärdensprachdolmetschern anbieten, sondern an vielen Abenden schwerhörige und gehörlose Menschen mit Smartglasses zwischen den hörenden Zuschauern sitzen und es etwas ganz Selbstverständliches geworden ist, miteinander ins Theater zu gehen “, sagt Theaterpädagogin Bettina Braun.

Gemeinsamer Theaterbesuch von schwerhörigen, gehörlosen und hörenden Zuschauern: „Es sollte etwas  Selbstverständliches werden, miteinander ins Theater zu gehen“

Die Theaterkarten sind für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Studie natürlich kostenlos. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer können zwischen zwei Smartglasses-Modellen wählen (Epson Moverion BT-300 und BT-350), die jeweils etwa 70 Gramm wiegen. Beide Modelle können über der eigenen Brille getragen werden. Eine Einführung in die Benutzung findet vor Ort statt.

Die Aufführungen mit smarten Übertiteln finden zwischen Ende November 2019 und Mitte März 2020 voraussichtlich an folgenden Terminen statt:

  • Samstag, 30. November 2019 
  • Dienstag, 17. Dezember 2019
  • Samstag, 21. Dezember 2019
  • Freitag, 10. Januar 2020
  • Mittwoch, 22. Januar 2020
  • Montag, 27. Januar 2020 
  • Sonntag, 2. Februar 2020
  • Samstag, 8. Februar 2020
  • Montag, 17. Februar 2020 
  • Donnerstag, 5. März 2020

Das Hildesheimer Forschungsteam hofft auf zahlreiche Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die durch ihre Mitwirkung an der Studie dabei helfen, Übertitel zu verbessern und den Zugang zum kulturellen Angebot für Menschen mit Hörbehinderung zu erweitern.

Wer an der Studie teilnehmen möchte, kann Prof. Dr. Nathalie Mälzer vom Institut für Übersetzungswissenschaft und Fachkommunikation per Email unter maelzers@uni-hildesheim.de kontaktieren.

Inklusives Theater: Forschung zu Übertiteln in Theaterhäusern

Ein Team um Professorin Nathalie Mälzer entwickelt seit 2015 Übertitel für Theaterstücke. Im Medientextlabor der Universität Hildesheim produzieren Hildesheimer Studentinnen und Studenten des Studiengangs „Medientext und Medienübersetzen“ Texte für den Bühnenraum. Die Ergebnisse der Hildesheimer Forschung sind für Theaterhäuser in Deutschland relevant.

In Deutschland gibt es zwar einige Theater- und Opernhäuser, die bei fremdsprachlichen Inszenierungen Übertitel in anderen Sprachen anbieten. Oben über der Bühne befindet sich dann oft eine dezente LED-Leiste, über die Texte dargestellt werden. Aber in der deutschen Bühnenlandschaft findet man so gut wie keine Übertitel für Menschen mit Hörbehinderung, sagt Professorin Nathalie Mälzer. Die Professorin für Übersetzungswissenschaft entwickelte bereits in der Vergangenheit mit Studentinnen und Studenten und Kooperationspartnern Übertitel für Theaterstücke, die sich an Gehörlose, Schwerhörige und Hörende richten.

In den Projekten kommt als kommunikatives Element der „Übertitel“ zum Einsatz: Worte werden im gesamten Bühnenraum projiziert. Wenn eine Schauspielerin schreit, platzieren die Medienübersetzerinnen und Medienübersetzer das Schriftbild im kompletten Bühnenraum in riesigen Großbuchstaben und umschreiben das Gefühl nicht mit der Formulierung „(schreiend)". Statt Text in eine dezente LED-Leiste zu setzen werden die Übertitel Teil des Bühnenbildes.

Professorin Nathalie Mälzer untersucht in Rezeptionsstudien, wie die Übertitel beim hörenden und nicht hörenden Publikum ankommen. Inwiefern stoßen die Hildesheimer Übertitelungskonzepte bei Jugendlichen und Erwachsenen auf Akzeptanz, verstehen gehörlose Jugendliche und Erwachsene das Theaterstück besser?

Die Hildesheimer Übertitel sind auf den Bühnen keine Fremdkörper, sie sind Teil des Bühnenbildes, manche Texte füllen den ganzen Bühnenraum aus. Die ganze Theaterbühne wird zu einer Projektionsfläche, die Übertitel haben nicht bloß die Funktion, dass die Zuschauer mit einer Hörbehinderung den Inhalt verstehen. Sondern die Übertitel sind auch als ästhetisches Element in den Bühnenraum eingebunden.


Die Theaterproduktion „Bella Donna“ im Theater für Niedersachsen in Hildesheim werden schwerhörige und gehörlose Menschen mit Smartglasses verfolgen können. Die Smartglasses wiegen etwa 70 Gramm und können über der eigenen Brille getragen werden. Ein Forschungsteam um Professorin Nathalie Mälzer von der Uni Hildesheim entwickelt die Übertitel gemeinsam mit dem Theater. Theaterfotos: Jochen Quast, Smartglasses von Epson: Ian Wallman, Porträtfoto: Isa Lange

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