Professor für Politikdidaktik und Politische Bildung: Interview mit Marc Partetzke

Friday, 18. December 2020 um 18:22 Uhr

Seit 2020 forscht und lehrt Prof. Dr. Marc Partetzke als Professor für Politikdidaktik und Politische Bildung am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Hildesheim. Im Interview gibt der Politikwissenschaftler Einblicke in seine Arbeit.

Seit Frühjahr 2020 forscht und lehrt Prof. Dr. Marc Partetzke als Professor für Politikdidaktik und Politische Bildung am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Hildesheim. Zuvor war er Senior Lecturer für Politikwissenschaft und ihre Didaktik an der Universität Bremen und arbeitete als Vertretungsprofessor für die Didaktik der Sozialwissenschaften an der Bergischen Universität Wuppertal.

Marc Partetzke hat die Fächer Deutsch und Sozialkunde für das Lehramt an Gymnasien sowie Deutsch als Fremdsprache an der Friedrich-Schiller-Universität Jena studiert. Die Promotion folgte ebenfalls an der FSU Jena mit der Arbeit „Biographisch-personenbezogener Ansatz in der Politischen Bildung und politikdidaktische (Auto-)Biographieforschung: Theoretische und empirische Grundlegung“.

Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die politikdidaktische (Auto-)Biographieforschung, Politische Kultur und Politische Bildung, die interdisziplinäre sozialwissenschaftliche Bildung, die historisch-politische Bildung mit Schwerpunkt auf der ehemaligen Deutsche Demokratische Republik, die hermeneutische Politikdidaktik, politikdidaktische Ansätze und Prinzipien sowie Leistungsfeststellung und Leistungsbeurteilung im sozialwissenschaftlichen Unterricht.

Interview mit Prof. Dr. Marc Partetzke

„Im Wesentlichen fördert das Fach Politik die Analysekompetenz, Urteilskompetenz und Handlungskompetenz, denn es geht immer darum, Schülerinnen und Schüler zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern heranzubilden“

Herr Professor Partetzke, Sie forschen und lehren seit Frühjahr 2020 an der Universität Hildesheim als Professor für Politikdidaktik und Politische Bildung. Wie haben Sie das erste digitale Semester aufgrund der Coronavirus-Pandemie erlebt?

Zu Beginn waren sicher Verunsicherung, Überforderung und ein gewisses Maß an Orientierungslosigkeit dominierend, denn es war und ist ja nicht „nur“ ein Semester mit Corona, vielmehr ist unser aller Leben, also auch jenseits von Universität, ordentlich durcheinander gewirbelt worden. Gleichzeitig habe ich aber auch den Eindruck, dass die Universität im Ganzen wie auch ihre Angehörigen im Einzelnen recht schnell ein hohes Maß an Handlungsfähigkeit und -sicherheit zurückgewonnen haben. Persönlich habe ich jedenfalls die Informationsflüsse als effizient empfunden, die Kommunikation als klar und transparent und die Umstellung auf digitale Lehre als relativ reibungslos. Froh bin ich auch darüber, dass es keine Schnellschüsse gegeben hat, mancherorts ist ja auf datenschutzrechtlich überaus bedenkliche Lösungen gesetzt worden. Zwar gehöre ich nicht zu jenen, die meinen, dieser Krise mit ihren weltweit zahlreichen Toten und all‘ ihren Begleiterscheinungen irgendwelche Chancen abringen zu müssen, gleichwohl habe ich aber unter anderem das Gefühl, dass auch die Angehörigen der Universität etwas enger zusammengerückt sind. So scheint mir der Ton etwas empahtischer, das wechselseitige Verständnis etwas größer zu sein, als dies vor dieser Krise der Fall gewesen ist. Und um auch das deutlich zu sagen: Nach meinem Dafürhalten haben die Krisenstäbe – ob nun mit Blick auf die Universitätsleitung, das CeLeB oder Institutsebene – herausragendes geleistet und verdienen allergrößten Respekt und Anerkennung.

Zum jetzigen Zeitpunkt freilich nicht mehr als ein frommer Wunsch, aber ich sehne mir tatsächlich tagtäglich wieder die Präsenzlehre herbei, deren Verlagerung in den digitalen Raum meines Erachtens immer nur eine Notlösung sein kann. Zwar waren zuletzt immer wieder Stimmen vernehmbar, die die Corona-Krise zum Anlass genommen haben, das Ende der Massenuniversität, das sich angeblich schon vor der Krise abgezeichnet habe, auszurufen. Nach meinem Dafürhalten kommt darin aber ein eigentümlich verkürztes Verständnis von Universität und akademischer Lehre zum Ausdruck. Insofern ist das sogenannte „hybride“ Wintersemester für mich schon eine Art Lichtblick.

Was macht man eigentlich als Professor für Politikdidaktik und Politische Bildung? Worum geht es in Ihrem Beruf?

Im Wesentlichen dreht sich meine Arbeit um Lehre, Forschung und Transfer, um das, was ich erforsche, etwa in der Zusammenarbeit mit Schulen und Vereinen, einem breiteren Kreis zugänglich zu machen. In der Lehre bilde ich angehende Lehrerinnen und Lehrer im Fach Politik für das Grund-, Haupt- und Realschullehramt aus. Hinzu kommt die Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern, die in Niedersachsen an die Universität angedockt ist.

Die Lehre ist mit der Forschung verzahnt. Als Fachdidaktiker beschäftige ich mich mit didaktischen Grundfragen – wer lernt was wann, wie, warum, wozu, womit, wo und mit wem? Was ist so wichtig, das es gelernt und gelehrt werden muss? Die Antworten darauf sind freilich immer nur vorläufig, weil auch wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler keine Glaskugel haben und nicht wissen, ob das, was wir heute als wichtig erachten, in zehn, zwanzig, dreißig Jahren noch relevant ist – das ist eine Herausforderung, macht die Arbeit aber auch total interessant. Seit dem sogenannten PISA-Schock ist die Frage „Wozu lernen wir das?“ sehr wichtig geworden. Gibt es Ziele politischer Bildung, die sich in Kompetenzen formulieren und diagnostizieren lassen? Was sind die Kompetenzen, die in Lehr-Lern-Prozessen anvisiert werden und wie kann ich auf diagnostischer Grundlage bessere, individuellere Lernangebote machen? Im Wesentlichen fördert das Fach Politik die Analysekompetenz, Urteilskompetenz und Handlungskompetenz, denn es geht immer darum, Schülerinnen und Schüler zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern heranzubilden.

„Ich würde mir wünschen, dass die Daueraufgabe, Demokratie zu lernen, zu leben und weiterzuentwickeln, viel stärker in der Schule verankert wäre“

Welche Aufgaben hat in der heutigen Zeit die politische Bildung in einer Demokratie?

Ich erinnere in diesem Zusammenhang gerne an den Staatsrechtler Ernst Wolfgang Böckenförde und sein berühmtes Zitat „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Politische Bildung in einer Demokratie ist deshalb eine Daueraufgabe. Demokratinnen und Demokraten fallen schließlich nicht vom Himmel. Weil die Staatsform Demokratie extrem vorraussetzungsvoll ist, ist politische Bildung eine zeitunspezifische, eine Daueraufgabe. Im Kern geht es ihr darum, mündige Bürgerinnen und Bürger heranzubilden, die kompetent am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Das heißt freilich nicht, dass es nicht auch zeitspezifische Aufgaben gibt – im Moment sind das die Digitalisierung, Inklusion, aber auch solche Phänomene wie Hate Speech. – Im Übrigen freue ich mich sehr darüber, dass das neue Studienprogramm „Digitale Sozialwissenschaften“ an der Universität Hildesheim startet, das das Institut für Sozialwissenschaften mitentwickelt hat. –

Das Problem ist allerdings, dass der politischen Bildung häufig eine Art Feuerwehrfunktion zugeschrieben wird – es passiert etwas Schreckliches wie beispielsweise Übergriffe auf Geflüchtete oder Hakenkreuz-Schmierereien und die politische Bildung soll es dann unter anderem durch kurzfristige Finanzspritzen und mittles hastig entworfener Programme richten. Angesichts der oben genannten Herausforderungen und der Verantwortung, die politische Bildung übernimmt, würde ich mir aber wünschen, dass die Daueraufgabe, Demokratie zu lernen, zu leben und weiterzuentwickeln, viel stärker in der Schule verankert wäre, als dies bislang der Fall ist. Das würde also unter anderem bedeuten, dass Politik nicht nur ein Kleinstfach mit einer oder zwei Wochenstunden ist.

„In Hildesheim ist der gesamte Lehramtsbereich meinem Eindruck nach viel deutlicher im Fokus als das an großen und mittelgroßen Universitäten der Fall ist. Ich habe es selten erlebt, dass eine Universität so unglaublich kollegial auftritt.“

Warum haben Sie sich für Hildesheim und das Institut für Sozialwissenschaften als künftigen Ort Ihrer Forschung und Lehre entschieden?

Ich finde es überaus reizvoll, an einer Profiluniversität zu forschen und zu lehren. In Hildesheim ist der gesamte Lehramtsbereich meinem Eindruck nach viel deutlicher im Fokus als das an großen und mittelgroßen Universitäten der Fall ist, an denen das Lehramtsstudium häufig nebenher läuft.

Die Möglichkeit, meine Energie unter anderem in den Aufbau der Professur zu investieren, ist eine unglaublich tolle Herausforderung. Dass ich den Ruf angenommen habe, hat aber auch sehr viel mit den bisherigen Begegnungen und Chancen zu tun. Ich habe es selten erlebt, dass eine Universität so unglaublich kollegial auftritt – vom Institut, über das Dekanat bis hin zum Präsidium erlebe ich ein offenes, warmherziges, von Unterstützung geprägetes Klima – solche Arbeitsbedingungen sind für mich, wie wohl für jede Wissenschaftlerin und jeden Wissenschaftler, extrem wichtig. Ich habe also richtig Lust und richtig Spaß daran, in Hildesheim zu arbeiten.

In seiner Dissertation hat Marc Partetzke erforscht, wie es gelingen kann, das Schülerinnen und Schüler einen Zugang zu Politik finden

Welche Forschungsfrage steht aktuell im Mittelpunkt Ihrer Arbeit – welchem Problem sind Sie gerade auf der Spur?

Das Schöne an der Fachdidaktik, und manchmal auch das Schwierige, ist, dass wir Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktiker eine Art Zwischenstellung einnehmen. Wir haben auf der einen Seite die Wissenschaft, da ist Erkenntnis leitend. Und wir haben die Praxis vor allem in der Schule auf der anderen Seite, da ist im Wesentlichen Brauchbarkeit der Maßstab. Was sich also in der Praxis nicht bewährt, wird im Grunde genommen fallen gelassen. Insofern bildet die Fachdidaktik meinem Verständnis nach eine Art Scharnier zwischen diesen beiden Welten. Das handelt uns freilich manchmal noch den Vorwurf ein, wir seien keine ernstzunehmende Wissenschaft, aber wenn wir die Praxis nicht ernst nehmen, entkoppeln wir uns immer weiter von ihr und entziehen uns damit ein Stück weit selbst unsere Daseinsberechtigung. Nicht zuletzt deshalb suche ich in Hildesheim etwa den Kontakt zu Partnerschulen.

In meiner Dissertation habe ich mich mit der Frage beschäftigt, wie es gelingen kann, das Schülerinnen und Schüler einen Zugang zu Politik finden. Das kann zum Beispiel funktionieren, indem sie sich mit Biografien beschäftigen, und zwar nicht nur jenen des politischen Personals sondern auch mit denen „normaler“ Bürgerinnen und Bürger. Mit Kolleginnen aus Bremen habe ich diesen biografiebasierten politikdidaktischen Ansatz an mehreren Schulen implementieren können. Lehramtsstudierende und Schülerinnen und Schüler haben Tandems gebildet und sich mit Arbeitsbiografien von Beschäftigten aus Bremer Großbetrieben befasst. Abgesehen von dieser neuen Art der Berufsorientierung haben die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler durch die Beschäftigung mit diesen Biografien gewissermaßen selbstläufig auch einen Zugang zu und einen Einblick in die hinter diesen Biografien liegenden politischen Ideen, Strukturen und Funktionslogiken erhalten – also etwa Arbeitnehmerinnenrechte, Strukturwandelprozesse, das Verhältnis von Arbeit und Kapital usw. Zwei der drei beteiligten Schulen haben diesen Ansatz später in ihr Curriculum aufgenommen und verstetigt und es macht mich auch ein wenig stolz, dass weitere Schulen im Bundesgebiet und darüber hinaus, etwa in Österreich, ihn ebenfalls adaptiert haben.

Was kennzeichnet Ihre Lehre – womit beschäftigen Sie und Ihre Studentinnen und Studenten sich zum Beispiel?

Ich versuche immer, Lehre auf Augenhöhe zu gewährleistein. Dafür ist das Format des Seminars toll, denn Seminare sind echte Lernzeit, man kommt ins Gespräch, diskutiert, ich lerne häufig viel von meinen Studierenden. Trotz aller Spezialisierung versuche ich, so gut es geht, eng an der aktuellen Forschung im gesamten Fach „dranzubleiben“ – das sind zur Zeit insbesondere die Themen Inklusion, Digitalisierung und politische Bildung in der super-diversen Gesellschaft und in Zeiten gesellschaftlichen Wandels.

Im Bereich der Digitalisierung setzen wir uns etwa mit alternativen Fakten, Fake News und Informationskompetenz auseinander – wo bekomme ich meine Informationen her, bin ich in der Lage, diese einzuordnen, zu interpretieren, möglicherweise selber Informationen zu produzieren? Übrigens habe ich die Auswertungen meiner Lehrveranstalungsevaluationen einsehen können – natürlich ist immer Luft nach oben, aber die Ergebnisse zeigen, dass die Studierenden meine Art der Lehre wertschätzen, was mich extrem freut und Ansporn dafür ist, sie noch besser zu machen.

Die Fragen stellte Isa Lange.

(Interview erstveröffentlicht am 25.09.2020.)


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