Philosoph Cusanus: Mutmaßungen statt absolute Wahrheit

Tuesday, 24. June 2014 um 08:07 Uhr

Klein neben groß: Da stehen sie beieinander, die menschenhohe Cusanustafel und die meterhohe Bernwardtür. Anlass, nachzudenken, was dort geschrieben steht. Schließlich ist die Cusanustafel ein früher volkssprachlicher Beleg für Grundtexte des christlichen Glaubens. Philosophen debattieren darüber in Hildesheim.

„Auf seiner Legationsreise 1450/51 kam Kardinal Nikolaus von Kues auch nach Hildesheim und hinterließ hier Spuren: Er ließ an vielen Orten Text-Tafeln anbringen, welche den einfachen Leuten die Bedeutung des Vater Unser in der Volkssprache vermitteln sollten. Die Hildesheimer Tafel ist die einzige, die noch erhalten ist, das Original ist im Roemer- und Pelizaeus-Museum, in der Lambertikirche hängt heute ein Duplikat", beschreibt Susann Kabisch, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Philosophie, die biografischen Bezüge des Philosophen zu Hildesheim. Mehr als 550 Jahre später kommen Philosophen an der Universität Hildesheim und im Michaeliskloster zur Tagung „Das Spiel der Begriffe. Mit Nikolaus von Kues auf der Jagd nach dem treffenden Wort" zusammen, darunter Experten aus Japan. Denn der Denker ist aktuell und seine Werke sind nicht vergessen. „Cusanus war ein früher neuzeitlicher Denker mit ganz modernen Ideen. Individualität spielt plötzlich eine Rolle. Cusanus zeigt: Wir können nie absolut sicher sein in unserem Denken, wir haben immer Mutmaßungen und nicht die absolute Wahrheit", sagt Philosophieprofessor Tilman Borsche von der Universität Hildesheim.

Die Hildesheimer Forscher sagen über den Philosophen Cusanus: „Der mensch­li­che Geist erkennt, indem er misst und vergleicht, Begrif­fe findet und Namen gibt. Doch wer das Ganze nicht kennt, kann auch seine Teile nicht präzise erfassen und muss neue Namen und Be­griffe erfinden und zusehen, ob sie sich bewähren. Begriffe und Namen sind mutmaßende Ausgriffe in die be­wegte Mannigfaltigkeit der Welt." Anstatt eine „fest­gefügte Ordnung" zu finden, liege die Aufgabe des Menschen im „immer erneuten Anpassen der Mut­ma­ßun­gen zum Zweck der Mit­teilung und Verständigung". Begriffe, so hilfreich und treffend sie erscheinen mögen, bleiben unvollkommen. „Was einst bedeutungsvoll war und zur Verständigung ge­eignet  erschien, klingt mit der Zeit absurd. Darin zeigt sich die Not, die uns aufruft, einen neuen Wurf zu wagen, neue Begriffe zu bilden. Die Endlichkeit des Menschen und die Unvollkommenheit seiner Werke werden somit zur Grundlage seiner Kreativität."

Wenn ein so bedeutsamer Gelehrter Spuren in Hildesheim hinterlassen hat, geht man diesen nach, auch auf der Konferenz. Es wäre ratsam, Grundtexte des christlichen Glaubens, etwa das Vater Unser oder die Zehn Gebote, sprachlich den Menschen vor Augen zu führen. In einer Sprache die jener auf den Straßen gleicht, und verständlich ist, so das Anliegen von Nikolaus von Kues. Und so wurde eine Tafel 1451 in der heutigen Lambertikirche angebracht. Sie gilt als ein früher volkssprachlicher Beleg für das Vater Unser. Dort heißt es etwa, in einer gereimten Form der Zehn Gebote: „Dut synt de hilgen bode goddes." Lange blieb das Schicksal der Tafel ungewiss, Ende des 19. Jahrhunderts erwirbt der Museumsgründer Hermann Roemer die Tafel für das Museum. Seitdem wird die Tafel hier aufbewahrt und selten gezeigt. Anders in diesen Tagen: Die Organisatoren der Konferenz nutzten die einmalige Chance, die Cusanustafel und ein weiteres bekanntes Portal, die Bernwardtür, nebeneinander zu betrachten. Unter den Tagungsteilnehmern ist Lorenz Hegel, der an der Universität Hildesheim Philosophie, Künste, Medien studiert. „Es ist ein Angebot, andere Perspektiven und Sichtweisen zu hören, etwa renommierte Forscher aus Japan. Sich mit Cusanus zu beschäftigen passt zu meinem Studium, er selbst ist interdisziplinär, verbindet das Kirchenamt mit seiner Tätigkeit als Gelehrter. Das machen wir eigentlich auch, wir verbinden Erkenntnisse über die geschichtliche Entwicklung des Denkens mit den Künsten", sagt der Student, der einmal an der Schnittstelle zwischen Film und Literatur arbeiten möchte. Die Bernwardtür steht auch im Fokus der Hirnforschung (Artikel im Uni-Journal, PDF). Insgesamt 16 biblische Geschichten des Alten und Neuen Testaments zieren die zwei bronzenen Türflügel, während der Domsanierung stand das Portal bis Ende Juni 2014 im Roemer- und Pelizaeus-Museum.


Hat Spuren in Hildesheim hinterlassen: Nikolaus von Kues. Die Cusanustafel, hier neben der 1000 Jahre alten bronzenen Bernwardtür im Juni 2014 im Roemer- und Pelizaeus-Museum. Fotos: Isa Lange/Uni Hildesheim

Hat Spuren in Hildesheim hinterlassen: Nikolaus von Kues. Die Cusanustafel, hier neben der 1000 Jahre alten bronzenen Bernwardtür im Juni 2014 im Roemer- und Pelizaeus-Museum. Fotos: Isa Lange/Uni Hildesheim

Hat Spuren in Hildesheim hinterlassen: Nikolaus von Kues. Die Cusanustafel, hier neben der 1000 Jahre alten bronzenen Bernwardtür. Fotos: Isa Lange/Uni Hildesheim