Musikalische Vielfalt erhalten: Ein Platz für Klänge der Welt

Friday, 18. November 2016 um 16:40 Uhr

Gute Nachricht aus Berlin: Mit Geld vom Bund können die Planungen für einen Neubau für das Center for World Music in Hildesheim beginnen. Zukünftiger Standort soll der Kulturcampus Domäne Marienburg werden, wo bereits etwa 1000 Studierende der Kulturwissenschaften lernen. Das Center sichert mit internationalen Partnern und unterstützt vom Auswärtigen Amt Kulturerbe. Die internationalen wissenschaftlichen Beziehungen sollen ausgebaut werden.

Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages hat Planungsmittel für ein Neubauprojekt an der Universität Hildesheim freigegeben. Mit den 400.000 Euro, die der Bund als Anschubfinanzierung im November bewilligt hat, können nun die Planungen für einen Neubau für das Center for World Music auf dem Kulturcampus Domäne Marienburg beginnen.

„Dieses versteckte Juwel hat eine große Zukunft vor sich“, sagt Ute Bertram. Auf Bitten von Universitätspräsident Professor Wolfgang-Uwe Friedrich hatte sich die Hildesheimer Bundestagsabgeordnete, die dem Bundestagsausschuss für Kultur und Medien angehört, seit Monaten für Gelder für einen Neubau eingesetzt. „Mit dem Bundestagsbeschluss ist die bundesweite Bedeutung des Vorhabens besiegelt“, freut sich Bertram. Im Center for World Music lagert eine deutschlandweit einmalige, mehrere tausend Musikinstrumente umfassende Sammlung. Doch bislang fristet dieser Schatz aus Platzmangel ein Schattendasein, sagt Ute Bertram, die in den letzten Monaten viel Überzeugungsarbeit geleistet hat.

Der Bau soll Raum für Wechselausstellungen und Lehrveranstaltungen sowie für das wissenschaftliche Personal, Doktoranden und Gastwissenschaftler bieten. Das Center arbeitet in Projekten mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Westafrika, USA, Ägypten, Iran und weiteren europäischen Ländern zusammen. Die Forscher sichern Musik und tragen zum Erhalt von oftmals mündlich tradiertem Kulturerbe bei und wollen Archive zugänglich machen. In einem internationalen Doktorandennetzwerk tauschen sich Nachwuchswissenschaftler über Forschungsmethoden und Forschungsfragen aus.

Stiftungsuniversität: Bauen im Zeit- und Kostenrahmen

Mit dem Geld aus Berlin starten Uni-Baudezernent Thomas Hanold und sein Team nun die konkrete Planung. Möglicher Ort für den Neubau ist die Fläche im Eingangsbereich, auf der derzeit eine alte, etwa 700 Quadratmeter große Scheune steht, die früher als Getreidelager und Geräteschuppen diente. Wie beim Neubau des Burgtheaters soll ein Architekturwettbewerb mit klaren finanziellen Vorgaben ausgeschrieben werden.

„Wir haben in den bisherigen Bauprojekten den Nachweis erbracht, dass wir als Stiftungsuniversität erstens im Zeitrahmen und zweitens im Kostenrahmen bauen können und stimmen die Bauprozesse eng mit dem Ministerium und dem Landesrechnungshof ab. Die Entscheidung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages ermöglicht uns, in enger Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege der Stadt Hildesheim ein Konzept für den zukünftigen Standort des Center for World Music auf der mittelalterlichen Burganlage zu erarbeiten. Bereits den Theaterneubau haben wir im Einvernehmen mit der Denkmalpflege gebaut“, sagt Professor Wolfgang-Uwe Friedrich. „Wir sammeln, sammeln, sammeln – haben aber keine geeigneten Ausstellungsflächen und Orte für musikethnologische Forschung und Lehre“, sagt Friedrich mit Blick auf die über 4500 Instrumente und umfangreichen Tonträgersammlungen. Um Forschung zu ermöglichen, sei es wichtig, die vorhandenen Bestände besser zu konzentrieren. Derzeit liegen die Sammlungen querbeet über acht verschiedene Standorte verteilt und sind nur in Teilen zugänglich. Im Neubau könnten beispielsweise Wechselausstellungen gezeigt werden. Der aktuelle Standort des Center for World Music, die ehemalige Timotheuskirche, soll weiterhin erhalten bleiben und auch Ort für musikpädagogische Projekte sein.

Wie kann ein Neubau finanziert werden? Parallel zur Bauplanung müsse nun das Fundraising anlaufen. Friedrich hofft dabei auch auf Unterstützung aus der Bürgergesellschaft.

Musikethnologe: „Nachricht aus Berlin ist Ansporn für unsere Arbeit“

„Wir sehen die Entscheidung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages auch als Ansporn für unsere Arbeit“, sagt Professor Raimund Vogels, Direktor des Center for World Music der Universität Hildesheim. „Es braucht einen Motor, um musikalische Vielfalt, die hier in Zeiten der Globalisierung ihre Heimat findet, auch sichtbar und hörbar zu machen“, so Vogels. Die Künstlerinnen und Künstler, die hier in Deutschland leben, „haben das Recht, wirksam sein zu können“, so Vogels.

„Der Deutsche Bundestag sieht, welche politische Aufgabe wir in Hildesheim wahrnehmen. Musik ist wie Sprache auch Menschenrecht. So wie jemand gehört wird, mit dem was er sagt, so muss das auch für die Musik gelten. Man muss das Recht haben, sich musikalisch äußern zu dürfen und kultur- und bildungspolitische Bedingungen vorfinden, die dieses Recht nicht einschränken. Wir bilden in Hildesheim Musiklehrerinnen und Musiklehrer aus und sind aufgefordert, die Vielfalt musikalischer Ausdrucksformen wirklich in den Unterricht zu holen, das macht die Wirklichkeit der Kinder und Jugendlichen aus. Wenn wir da etwas ausklammern, tabuisieren oder für minderwertig erklären, was für andere Menschen wesentlich identitätsbildend ist, dann begehen wir einen schweren kulturpolitischen und bildungspolitischen Fehler“, sagt Professor Vogels. Die Universität Hildesheim hat einen Schwerpunkt in der Lehrerbildung und bildet mit etwa 2600 Studierenden rund ein Drittel der niedersächsischen Grund-, Haupt- und Realschullehrer aus, darunter Musik- und Kunstlehrer.

 

Weitere Informationen

Wissenschaftlerin und Geigenvirtuosin aus Indien derzeit in Hildesheim

Das Center for World Music ermöglicht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem Ausland Gastaufenthalte in Hildesheim. Für sechs Monate ist die indische Geigenvirtuosin Lalitha Muthuswammy derzeit in Niedersachsen. Während ihres Aufenthalts am Center for World Music arbeitet Muthuswammy mit Schulen und Studierenden in der Lehre zusammen. Schulklassen erhalten Einblicke in die südindische Klassik, darunter Kompositionen, die in Indien entstanden, als in Deutschland Bach seine Kantaten, Choräle und Sonaten schrieb. Die Dozentin der Musikakademie Chennai spielt südindische Geige. Sie wurde mehrfach von der indischen Regierung für ihre herausragende künstlerische Leistung ausgezeichnet.

DAAD-Graduate School startet: Welche Rolle spielt Musik beim Wiederaufbau von Gemeinschaften?

Im Nordosten Nigerias leben über zwei Millionen Binnenflüchtlinge. Studierende und Doktoranden der Universitäten Maiduguri/Nigeria, Cape Coast/Ghana und Hildesheim/Deutschland erarbeiten derzeit lokale Strategien, um Konflikte und traumatische Erlebnisse zu bewältigen. „Aufgabe der Zukunft wird es sein, Gemeinschaften wieder entstehen zu lassen. Eine der Identifikationslinien kann Musik sein“, sagt Professor Raimund Vogels. In der vom Deutschen Akademischen Austauschdienst von 2016 bis 2020 geförderten „Graduate School“ forschen junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Sicherheit und wirken beim Wiederaufbau der Gesellschaft mit, etwa durch lokale, gemeinschaftsbildende Kultur- und Bildungsprojekte. Teil des Programms sind mehrmonatige Forschungs- und Lehraufenthalte am Center for World Music der Universität Hildesheim.

Zum Start der Graduiertenschule reisen Mitte Dezember Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Nigeria und Ghana nach Hildesheim an. Die Hildesheimer Graduiertenschule ist die einzige kulturwissenschaftliche Graduiertenschule und die einzige aus Niedersachsen, die vom DAAD im Rahmen einer Fördermaßnahme des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zur Förderung der Nachhaltigen Entwicklungsziele der UN bewilligt wurde.

Kurz erklärt: Das Center for World Music

Wie leben wir mit Musik? Das Center for World Music der Universität Hildesheim bewahrt seit 2006 bedeutende Spuren und Vermächtnisse weltweiten Musik-schaffens: über 4.500 Musikinstrumente, 45.000 Schallplatten, eine der größten Sammlungen Europas. Das Center widmet sich der Vielfalt musikalischer Traditionen und ist ein Archiv und Labor, ein Ort der Forschung und des Studiums, ein Treffpunkt für Musikerinnen und Musiker und eine Basis für internationale Begegnungen und Verständigung.

Das Center for World Music sichert mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes und Partnern vor Ort Musikarchive im Ausland, derzeit in Iran und Nigeria. In Ägypten und Ghana konnten physisch in ihrem Fort-bestand gefährdete Tondokumente gesichert werden. Darunter sind liturgische Gesänge der koptischen Kirche aus Kairo und frühe Highlife-Aufnahmen aus den Archiven der Ghana Broadcasting Corporation in Accra. Das Center for World Music der Universität Hildesheim bildet seit 2011 Berufstätige fort, die die musikalische Vielfalt in Kitas, Schulen, Stadtteilen und Jugendzentren aufgreifen. Der Studiengang „musik.welt“ ist bundesweit einzigartig und reagiert auf aktuelle Herausforderungen in der Gesellschaft. Musik kann vermitteln und als internationale Sprache Menschen verbinden.

Medienkontakt: Pressestelle der Universität Hildesheim (Isa Lange, 05121.883-90100, presse@uni-hildesheim.de)

Center for World Music: Aktuelle Informationen

Broschüre über Forschung, Lehre und internationale Kooperationen


Musikethnologe Raimund Vogels, Lalitha Muthuswammy, Gastwissenschaftlerin aus Chennai/Indien, Bundestagsabgeordnete Ute Bertram und Universitätspräsident Wolfgang-Uwe Friedrich im Center for World Music in Hildesheim. Stadtdenkmalpflegerin Maike Kozok mit einer Luftaufnahme des Kulturcampus Domäne Marienburg in Hildesheim. Fotos: Isa Lange/Uni Hildesheim