Mit Händen und Füßen

Friday, 25. July 2014 um 10:24 Uhr

Mimik, Gestik und das Mundbild zu kombinieren, ist sehr kompliziert und kann einen gerade am Anfang überfordern. Man kann sich nicht alles merken, sagt die Studentin Maria Wünsche. Wie man die Gebärdensprache lernt und was Studierende antreibt – Antonia Schreiner, Praktikantin in der Pressestelle, hat sich ein Seminar am Sprachencampus angeschaut.

Wer ist die Dolmetscherin, wer die gehörlose Lehrerin?, frage ich mich, als ich den Raum betrete. Seit drei Monaten lernen etwa zwei Dutzend Studentinnen und Studenten in Hildesheim die Gebärdensprache – heute bin ich dabei. Alle Studierenden sitzen in einem Halbkreis, Dana Apel auf dem Pult, die Dolmetscherin ihr gegenüber. Es ist still und jeder konzentriert sich auf die Mimik, die Gestik und die Mundbewegungen, die Dana Apel zeigt. Sie ist die Leiterin des Kurses und selbst gehörlos. „Am Anfang war es ein bisschen schwieriger mit der Kommunikation, aber jetzt ist es fast eine gleichwertige Kommunikation. Der Kurs läuft super und wir können uns locker unterhalten“, erzählt sie mir durch die Dolmetscherin. Über die Weltmeisterschaft unterhalte man sich, zum Beispiel, wo man das Finale geschaut hat. Dann geht es in die Praxisübung, warmmachen – eine Studentin erklärt, wie sie zum Campus kommt, ein anderer wie viele Schlüssel er in der Tasche hat. Am Schlüssel-Beispiel erklärt Dana Apel, wie man ausdrückt, wofür man etwas braucht.

Ob sie denn schon mal schmunzeln müsse, wenn sie die Studierenden beobachtet. Dana Apel lacht und fragt in die Runde: „Ja, stimmt‘s? Ich musste oftmals schmunzeln. Zum Beispiel, wenn jemand zum Zeige-  statt zum Mittelfinger greift, um ‚Stadtmitte‘ zu gebärden. Oder bei den Zahlen: Die Studierenden wollten ‚acht‘ sagen, aber ihre Finger haben nur sieben gezeigt: Der Mund sagte ‚acht‘ und da dachte ich Was, das sind doch nur ‚sieben‘?. Das war wirklich sehr witzig.“ Die Studentin Maria Wünsche beschreibt die Herausforderung so: „Mimik, Gestik und das Mundbild zu kombinieren, ist sehr kompliziert und kann einen gerade am Anfang überfordern. Man kann sich nicht alles merken, aber man muss das Finger-ABC üben wie normale Vokabeln. So viele Sachen, die man alle gleichzeitig beachten muss. Da kommt man schnell durcheinander und die Gesten, die dann entstehen, haben eine ganz andere Bedeutung.“

Und dennoch, Dana Apel ist sehr erstaunt von den Fortschritten der Studierenden und „wie weit sie gekommen sind und wie viel sie in einem Semester gelernt haben“. Auch die Studierenden sind begeistert von dem Kurs: „Es ist super interessant eine andere Kultur kennenzulernen, in die man sonst kaum Einblicke hat und es macht sehr viel Spaß. Wir können jetzt alle schon untereinander im Small-talk reden“.

Maria Wünsche erzählt, warum sie die neue Sprache erlernt: „Der Gebärdensprachkurs wird angeboten und wir haben Seminare zu Barrierefreiheit an der Universität. Es gibt verschiedene Möglichkeiten mit Gehörlosen zusammenzuarbeiten.“ Eigentlich sei es ähnlich wie in jedem anderen Sprachkurs, wo man eine neue Sprache lernt. Nur muss man „ein bisschen mehr umdenken, besonders bei der Grammatik und beim Satzbau“.

Ob es anstrengend ist, die volle Unterrichtszeit still zu sein – die Studentin Maria Wünsche erklärt, dass es eine Bedingung ist, im Unterricht nicht zu sprechen, auch nicht untereinander. „Man kommt aber schnell rein und ich merke immer erst hinterher, wenn wir die Stühle und Tische gerade rücken, wie laut es auf einmal ist, da wir ja zweieinhalb Stunden nichts gesagt haben. Es ist eigentlich so, als würde man eine neue Fremdsprache lernen, nur dass man stetig den Blickkontakt halten muss, da dir sonst wichtige Informationen fehlen“, sagt die angehende Medienübersetzerin. Dana Apel stimmt zu: „Gehörlose brauchen den Blickkontakt, das ist bei Hörenden anders, da diese auch von hinten angesprochen werden können. Allerdings können Gebärdende sitzen bleiben und sich auch von weitem, ganz weitem unterhalten.“ Maria möchte später mit Gehörlosen zusammenarbeiten, zum Beispiel Theater übertiteln und „da ist es natürlich praktisch, wenn man Einblick in deren Kultur  und  Sprache hat. Das erleichtert die Kommunikation, denn sonst hätte man nur die Schriftsprache und das ist beim direkten Austausch frustrierend.“

Gebärdensprache in Hildesheim

Die Universität Hildesheim bietet den Gebärdensprachkurs erstmals an – das ist verlockend. So lernen Studierende aus den Studiengängen „Medientext und Medienübersetzung", „Internationales Informationsmanagement", „Internationale Kommunikation und Übersetzen" sowie „Sozial- und Organisationspädagogik" in zwei Semestern wöchentlich Grundlagen der Gebärdensprache. Für die angehenden Medienübersetzer ist der Kurs Teil des Schwerpunkts „Barrierefreie Kommunikation“.

„Die Gebärdensprache ist ein zusätzliches Angebot, das die Studierenden wählen können, um die Sprache und die Besonderheiten der Gehörlosenkultur kennenzulernen. Sie ist grundlegend für die Zusammenarbeit mit unseren Partnern. In der Forschungsstelle Leichte Sprache arbeiten wir mit Gehörlosen zusammen, sie lesen unsere Übersetzungen in Leichte Sprache Korrektur", sagt Isabel Rink vom Institut für Übersetzungswissenschaft und Fachkommunikation der Hildesheimer Uni. Zu wissen, wo die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Gebärdensprache und der Deutschen Laut- und Schriftsprache liegen und die Anforderungen von Gehörlosen an leicht verständliche Texte zu kennen, sei ein großer Vorteil. Die angehenden Medienübersetzerinnen und Medienübersetzer können von den erworbenen Kenntnissen auch profitieren, wenn es um die barrierefreie Gestaltung einer Homepage geht. Sie seien für verschiedene „Beeinträchtigungen" sensibilisiert und wissen, welche Aspekte sie beachten müssen. Seit Beginn der inklusiven Schule in Niedersachsen zum Schuljahresbeginn 2013/14, also vor einem Jahr, haben Schüler mit Beeinträchtigungen einen Anspruch auf den Besuch einer Regelschule. So können auch Lehramtstudierende am Gebärdensprachkurs teilnehmen, um sich gezielt auf den späteren Beruf und den möglichen Umgang mit hörgeschädigten Schülerinnen und Schülern vorzubereiten, sagt Rink.


Eigentlich sei es ähnlich wie in jedem anderen Sprachkurs. Nur muss man „ein bisschen mehr umdenken, besonders bei der Grammatik und beim Satzbau“, sagen die Studierenden über das Erlernen der Gebärdensprache an der Hildesheimer Uni. Foto: Antonia Schreiner

Eigentlich sei es ähnlich wie in jedem anderen Sprachkurs. Nur muss man „ein bisschen mehr umdenken, besonders bei der Grammatik und beim Satzbau“, sagen die Studierenden über das Erlernen der Gebärdensprache an der Hildesheimer Uni. Foto: Antonia Schreiner

Eigentlich sei es ähnlich wie in jedem anderen Sprachkurs. Nur muss man „ein bisschen mehr umdenken, besonders bei der Grammatik und beim Satzbau“, sagen die Studierenden über das Erlernen der Gebärdensprache an der Hildesheimer Uni. Foto: Antonia Schreiner