Kulturentwicklung im Peiner Land: Kleinster Landkreis geht voran

Monday, 26. August 2013 um 15:10 Uhr

Edemissen, Hohenhameln, Ilsede, Lengede: Die Gemeinden sind bisher überregional nicht mit ihrem kulturellen Angebot aufgefallen. Ihre Kulturangebote wachsen im Windschatten von Hannover, Braunschweig, Wolfsburg. Im Kulturbericht Niedersachsen tauchen sie nicht auf. Stiftungs-, Landes- und Bundesmittel kommen im Peiner Land nicht an – mehr noch: Sie werden gar nicht beantragt. Kulturpolitikforscher der Hildesheimer Universität stellen kulturpolitische Handlungsempfehlungen vor, die seit 2011 gemeinsam mit über 300 Politikern und Kulturakteuren erarbeitet wurden.

Etwa 130.000 Einwohner leben im Landkreis Peine dem flächenmäßig kleinsten niedersächsischen Landkreis (535 km²). Die Stadt Peine und die Gemeinden Edemissen, Hohenhameln, Lahstedt, Ilsede, Lengede, Vechelde und Wendeburg – sind bisher überregional nicht für ihr kulturelles Angebot bekannt. Im „Kulturbericht Niedersachsen 2010“ (Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur) wird keine Kultureinrichtung aus dieser Region genannt. Und dennoch – zwischen den großen Kulturzentren Hannover, Braunschweig, Wolfsburg und Hildesheim stecken spannende kulturelle Angebote: ein Theater auf dem Dachboden, ein Rockfestival, viele große und kleine Büchereien, Lesungen in der Alten Stellmacherei, ein schottischer Kulturclub, interkulturelle Vereine und Hummers Kultursalon. Sie wachsen im Windschatten und finden in ihrer Gemeinde große Beachtung, aber nicht unbedingt darüber hinaus.

Es geht um mehr, als um Geld: Datenbank mit 200 Kulturakteuren

„Bürger aus der Gemeinde Vechelde wussten bisher wenig von Aktionen in Edemissen. Wir haben erstmals die kulturellen Angebote in den Bereichen Theater, Tanz, Musik, Bildende Kunst, Bibliotheken, Museen und Heimatpflege im ganzen Peiner Land erfasst“, sagt Dr. Tobias Fink vom Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim. Eine Datenbank mit über 200 Kulturakteuren mit Kurzbeschreibung ist entstanden. „Das Verzeichnis ist ab sofort gedruckt verfügbar. Ziel muss aber sein, dass dieses Verzeichnis auch online verfügbar ist. Ein sehr gutes Vorbild dafür ist kulturium.de, eine Internetseite, die über das Hildesheimer Kulturangebot informiert. Die Seite wird redaktionell betreut, bietet Bilder und Tonbeispiele und lädt ein, die regionalen Kulturangebote zu entdecken“, erklärt Fink.

Der Landkreis Peine und acht Gemeinden hatten 2011 das Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim mit der Kulturentwicklungsplanung für das „Peiner Land“ beauftragt. Wolfgang Schneider, bundesweit der erste Professor für Kulturpolitik, leitete das Projekt gemeinsam mit Doreen Götzky und Tobias Fink. Die Forscher befassen sich mit Breitenkultur in Niedersachsen (Ergebnisse einer weiteren Studie). Von 2011 bis 2013 haben die Wissenschaftler mit Kulturschaffenden und Politikern gemeinsam 40 Handlungsempfehlungen erarbeitet, unterteilt in fünf Felder „Kulturpolitik interkommunal gestalten, Kultur professionalisieren, Kultur finanzieren, Kultur vernetzen, Kultur bekannt machen“. Etwa 300 Personen wurden einbezogen.

„Wir schlagen eine Förderstruktur für den Kulturbereich vor, die weit über Kulturfinanzierung hinaus reicht – so wie es in der Wirtschaftsförderung schon lange üblich ist, Beratung, Vernetzung und Informationsweitergabe als Förderung zu verstehen. Es geht eben um mehr, als um Geld“, sagt Fink. „Die Zukunftsverträge in Niedersachsen erlauben kaum Ausgaben im Kulturbereich – wir sollten Kulturförderung dringend weiterdenken, als nur Finanzierung. Informationen und Vernetzung gehören dazu“, fordert Fink.

Stiftungs-, Landes- und Bundesmittel kommen im Peiner Land nicht an

Ein Ergebnis der Bestandsaufnahme war ernüchternd: Stiftungs-, Landes- und Bundesmittel kommen im Peiner Land nicht an – mehr noch: Sie werden gar nicht beantragt. Um dem abzuhelfen und Beratung, Vernetzung und Information zu gewährleisten, wollen die Gemeinden und der Landkreis eine gemeinsame „Servicestelle Kultur“ einrichten. „Hier erhalten Kulturschaffende Beratung und Information und Kontakte“, fasst Fink die Aufgabe zusammen. „So eine gemeinsame Kulturförderstelle ist niedersachsenweit ein Novum. Die Gemeinden sollten sich kulturpolitisch stärker verzahnen.“ Der Vorteil sei nun, dass Kulturakteure Informationen zu Fördermitteln, Anträgen, Urheberrecht gemeindeübergreifend abrufen und sich untereinander stärker vernetzen können.

Die Servicestelle Kultur ist ein Baustein einer neuen „Förderinfrastruktur“, die für das Peiner Land entwickelt wurde, es soll zudem spartenspezifische Kontaktstellen, Kulturbeauftragte der Kommunen und einen Kulturbeirat geben, die gemeinsam das Kulturentwicklungskonzept umsetzen und weiterentwickeln sollen. Um deutlich zu machen, wie diese Akteure zusammenarbeiten sollen, ist eine „Kulturförderkarte“ für das Peiner Land entstanden.

Was andere Gemeinden von der Kulturentwicklung im Peiner Land lernen können? Tobias Fink antwortet, ohne zu zögern: „Wir haben alle Akteure zusammengebracht. Das ist zwar zeitaufwendig, aber dadurch stieg die Akzeptanz und die Perspektive wurde von Partikularinteressen auf das gesamte Peiner Land gerichtet.“ Und: Auf der Grundlage eines Kulturleitbildes – das in den kommenden zwei Monaten in den Räten verabschiedet werden soll – können künftig kulturpolitische Entscheidungen gemeinsam diskutiert und getroffen werden. Eine Aussage im Leitbild: Wir haben trotz der Lage ein reichhaltiges Kulturangebot für Menschen vor Ort und wir entwickeln es gemeinsam weiter.

Zwei Beispiele:

teatr dach: Raum für Kultur ist in der kleinsten Hütte. Auf dem ehemaligen Heuboden eines alten Fachwerkhauses in Meerdorf, Wendeburg, wurde das „teatr dach" eingerichtet. Eine Kleinkunstbühne mit 60 Plätzen und einer kleinen Theaterbar, auf deren Brettern renommierte Ensembles und Solisten auftreten, etwa das Kleckstheater, die Kugelblitze, Dieter Hildebrandt und Stefan Krawczyk. Sie kommen gern aufs Land, weil dort die Atmosphäre stimmt und sie in unmittelbarem Publikumskontakt spielen können, sagen die Betreiber. In den 90ern musste das teatr Dach wegen behördlicher Auflagen geschlossen werden: Es fehlten getrennte Toiletten, eine brandsichere Treppe sowie feuerhemmende Anstriche für Fußböden und Decken. Spontan stellte der örtliche Kirchenvorstand vorübergehend Räume zur Verfügung. Dann gründeten 17 Theaterbegeisterte einen Verein – der mittlerweile 220 Mitglieder zählt – und verkauften symbolische Stufen für die Außentreppe. Eigentümer einer solchen Stufe wurden auch der damalige niedersächsische Innenminister und das Staatstheater Braunschweig.

Alte Stellmacherei: Die Zeiten, als riesige Ackerwagen über den Hof polterten und Sägespäne durch die Werkstatt wirbelten sind am Kattenhagen 1 in Gadenstedt, Lahstedt, längst vorbei. Stattdessen gehören heute Jazz, Blues, Rock und Pop, Ausstellungen, Lesungen und Kurse zum Alltag in der „Alten Stellmacherei". Eine ehemalige Angestellte einer Arztpraxis hat diesen Kulturbetrieb geschaffen. Das Gebäude stand nach dem Tod ihres Vaters mehrere Jahre lang verwaist auf dem Grundstück.

Hummers Kultursalon: Seit 20 Jahren betreibt Gerhard Hummer einen Kultursalon und holt international bekannte klassische Musiker nach Soßmar. Familie Hummer lädt beinahe jeden Monat zu Konzerten nach Hause ein, wo 50 bis 70 Gäste den Darbietungen der Gäste aus zum Beispiel Israel, der Mongolei oder den USA lauschen können. Dabei ist die Begegnung der Gäste untereinander wichtig, das Wohnzimmer wird in der Pause zum Treffpunkt. Hummers Kultursalon hat viele Stammgäste, aber immer wieder auch neue Zuhörer, so die Betreiber.

Ergebnisse

Vom kleinsten Landkreis Niedersachsens lernen: Die Ergebnisse werden erstmals am 27. August 2013 um 18:00 Uhr im Forum Peine (Winkel 30, 31224 Peine) von Kulturschaffenden, Landrat, Bürgermeistern und den beteiligten Wissenschaftlern vorgestellt. Es folgt im Sepember eine Expertenanhörung in Lüneburg. Interessierte Gemeinden können sich an die Wissenschaftler der Universität Hildesheim wenden (Dr. Tobias Fink, Institut für Kulturpolitik, tobias.fink[at]uni-hildesheim.de, 05121.927 79 41).

Das Kulturentwicklungskonzept als pdf online verfügbar.

Medienkontakt: Interessierte Redaktionen wenden sich bitte an die Pressestelle der Universität Hildesheim (Isa Lange, presse@uni-hildesheim.de, 05121.883-90100, 0177.8605905).


Vom kleinsten Landkreis Niedersachsens können andere Regionen lernen. Karte: Institut für Kulturpolitik/Uni Hildesheim

Vom kleinsten Landkreis Niedersachsens können andere Regionen lernen. Karte: Institut für Kulturpolitik/Uni Hildesheim

Vom kleinsten Landkreis Niedersachsens können andere Regionen lernen. Karte: Institut für Kulturpolitik/Uni Hildesheim