Kein Neuland mehr? Warum immer mehr deutsche Politiker twittern

Monday, 08. December 2014 um 09:28 Uhr

Wie nutzen Politkerinnen und Politiker das Internet? Fast der ganze Bundestag ist sozial vernetzt, nur 29 der 631 Bundestagsabgeordneten sind weder auf Facebook oder Twitter unterwegs, beobachtet Martin Fuchs. In der Vorlesungsreihe „Digitale Lebenswelten" gibt der Blogger einen Einblick, warum Politiker twittern. Manchen fehlt schlicht die Zeit, um die Netzwerke authentisch und persönlich zu nutzen.

Vor einer Woche hat sich Niedersachsen wieder zu Wort gemeldet: „Wir sind zurück – die Niedersächsische #Landesregierung wird nun wieder von hier Neuigkeiten in alle Welt vertwittern", verkündete die Landesregierung. Zuvor war der Account seit Mai 2013 verwaist. Einen Tag später meldet sich auch der Niedersächsische Ministerpräsident: Seit einer Woche twittert „Stephan Weil und die Pressestelle der Staatskanzlei". Im Tweet Nr. 16 heißt es zum Beispiel: „Viele #Flüchtlinge bringen viele Talente mit - auch deswegen mehr Engagement für Integration!"

Wie nutzen Politker das Internet? Der Blogger und Politikberater Martin Fuchs geht an der Universität Hildesheim der Frage nach, was deutsche Politiker auf Twitter machen. Der öffentliche Vortrag „Politik im Netz: Warum immer mehr deutsche Politiker twittern“ beginnt am Dienstag, 9. Dezember 2014, um 19:15 Uhr am Bühler-Campus der Uni. Fast der ganze Bundestag ist sozial vernetzt, nur 29 der 631 Bundestagsabgeordneten sind weder auf Facebook oder Twitter noch auf Google+ oder Youtube aktiv, beobachtet Fuchs. Warum sie offline sind? Ihnen fehlt schlicht die Zeit, um die Netzwerke authentisch und persönlich zu nutzen. Außerdem begründeten die Abgeordneten die Nichtnutzung mit dem Datenschutz oder sie lehnten diese Form der online-Dialogkultur ab.

Martin Fuchs berät mittlerweile Spitzenpolitiker in Berlin und den Bundesländern in Sachen Nutzung von Social Media, steht im Austausch mit den Social-Media-Verantwortlichen des Auswärtigen Amtes und war zuletzt im Auftrag des Auswärtigen Amtes und einiger Botschaften international unterwegs. Als „Hamburger Wahlbeobachter" bloggt er über die Nutzung von Social Media wie Twitter, Facebook und Co in der Politik. So hat er zum Beispiel untersucht, wie die 142 Landesministerien und Staatskanzleien im Web unterwegs sind. Ein Ergebnis: 29 haben einen Twitter-Account (Stichtag 5. Oktober 2014). Die Landesregierung Baden-Württemberg hat in drei Jahren über 5000 Tweets gesendet, äußert sich auch zu kritischen Themen, baut Infografiken und visuelle Elemente ein, so Fuchs. Allerdings seien die Tweets nicht personalisiert, man weiß nicht, wer aus der Regierung zwitschert. Kein Bürger kommuniziert gerne mit einer Blackbox, so der Blogger. Anders das Sächsische Staatsministerium des Inneren, das einzige Landesministerium mit einem personalisiertem Twitter-Account. „Als Profilfoto grüßt weder ein Bild vom Ministerium noch das Logo der Behörde, sondern der Sprecher des Hauses Martin Strunden. Diese direkte Ansprache macht den Account persönlicher und schafft ein gewisses Maß an Vertrautheit", so Fuchs.

Fuchs spricht im Rahmen der öffentlichen Vorlesungsreihe „Digitale Lebenswelten", die sich an Bürger aus der Region, an Studierende und Lehrende richtet. Dabei geht es an der Universität Hildesheim in insgesamt sechs Vorträgen mit Diskussion um digitale Selbstdarstellungen in der Politik und um Selbstdarstellung von Spitzenpolitikern auf deren persönlichen Internetseiten in mehreren Ländern. Am 6. Januar 2015 spricht Frederic Kastner über Informationstechnologie für Entwicklungsländer, am 20. Januar 2015 geht es in dem Beitrag von Nicola Döring um psychologische Folgen durch Internetnutzung. Die Reihe endet am 3. Februar 2015 mit einem Vortrag von Carola Richter (FU Berlin) über soziale Medien in Umbrüchen in Ägypten, China und anderen Autokratien. Organisiert wird die Vorlesungsreihe von dem Politikwissenschaftler Professor Thomas Demmelhuber, dem Informationswissenschaftler Professor Joachim Griesbaum und Beatrix Kreß, Professorin für Interkulturelle Kommunikation. Die Reihe findet in Kooperation mit der Universitätsgesellschaft Hildesheim e.V. und dem Herderkolleg statt.

Twittern mit Pausen: Niedersächsische Landregierung, Ministerpräsident. Screenshots: Isa Lange/Uni Hildesheim

Internet und Politik

Die Forschergruppe „Internet und Politik" an der Universität Hildesheim untersucht, welche Rolle das Internet in politischen Prozessen spielt, etwa im Nahen Osten und beim Regimewandel in Ägypten oder im Wahlkampf vor der Haustür. Die Politikwissenschaftler gehen der Frage nach, wie im Internet Meinungsbildungsprozesse angestoßen und Entscheidungen getroffen werden können und beobachten, wie Politiker soziale Online-Medien nutzen. Dabei untersuchen die Professoren Marianne Kneuer und Thomas Demmelhuber auch die Rolle Neuer Medien in Transformations- und Demokratisierungsprozessen. Über das Internet können Bürger Proteste schneller und breiter organisieren, wie die politischen Umbrüche in Tunesien und Ägypten zeigen. Allerdings warnen die Forscher davor, das Internet als „Befreiungstechnologie“ zu bezeichnen, wie es im Zuge der jüngsten arabischen Umbrüche geschah. Soziale Medien können keine Revolutionen auslösen und auch keine Demokratisierung erzeugen. Das Internet ist ein neutrales Medium und kann „von den Guten und den Bösen genutzt werden“.


Wie die Politik das Internet nutzt: Blog des Hamburger Wahlbeobachters, personalisierter Twitter-Account des sächsischen Innenministeriums, Twitter-Neuzugang: Niedersächsischer Ministerpräsident, Hashtag mit 32 Zeichen des Innovationsministeriums Nordrhein-Westfalen, Rückkehr nach 1 1/2 Jahren Pause: Niedersächsische Landesregierung, Infografik der Landesregierung Baden-Württemberg (im Uhrzeigersinn). Screenshots: Isa Lange/Uni Hildesheim

Wie die Politik das Internet nutzt: Blog des Hamburger Wahlbeobachters, personalisierter Twitter-Account des sächsischen Innenministeriums, Twitter-Neuzugang: Niedersächsischer Ministerpräsident, Hashtag mit 32 Zeichen des Innovationsministeriums Nordrhein-Westfalen, Rückkehr nach 1 1/2 Jahren Pause: Niedersächsische Landesregierung, Infografik der Landesregierung Baden-Württemberg (im Uhrzeigersinn). Screenshots: Isa Lange/Uni Hildesheim