Interview mit Universitätspräsident Wolfgang-Uwe Friedrich

Monday, 19. December 2016 um 17:14 Uhr

Die Hildesheimer Allgemeine Zeitung im Gespräch mit Universitätspräsident Professor Wolfgang-Uwe Friedrich über Studierendenzahlen, Digitalisierung und die bauliche Entwicklung der Stiftungsuniversität Hildesheim.

Herr Friedrich, von Jahr zu Jahr werden an der Universität immer mehr Studenten aufgenommen. Mittlerweile gibt es Klagen darüber, dass der Studienbetrieb deswegen nicht mehr reibungslos läuft, Seminare überfüllt sind und Studierende Schwierigkeiten haben, ihren Seminarplan einzuhalten. Hat die Uni ihre Aufnahmekapazität überschritten?

Rein rechnerisch ist die Aufnahmekapazität nicht überschritten. Die Aufnahmezahl wird durch die Kapazitätsverordnung des Landes geregelt und durch eine entsprechende Formel berechnet. Mit  7930 Studierenden sind wir heute voll ausgelastet. Hinzu kommen 270 beurlaubte Studierende. Aber die Aussage, rechnerisch "voll ausgelastet", spiegelt nicht die ganze Wirklichkeit wider. Tatsächlich sind Studierende und Lehrende heute deutlich mehr belastet als vor zehn oder fünfzehn Jahren. Wartelisten für Seminare gehören heute ebenso zum Hochschulalltag wie eine riesige Zahl von Bachelor- und Masterarbeiten, die korrigiert werden müssen. Hinzu kommen für die Dozenten Akkreditierungen, Evaluationen, Gutachten, Drittmittelanträge u.v.m. Für alle Hochschulmitglieder ist die Arbeitsbelastung deutlich gestiegen. Klartext: 8000 sind zu viele.

Welche Prognose haben Sie zur Entwicklung der Studierendenzahlen in Hildesheim für die Zukunft angesichts der Prognose eines starken Rückgangs der Geburtenzahlen?

Vor zehn Jahren strömten 360.000 junge Menschen in die deutschen Hochschulen. Heute sind es über 500.000. Hildesheim ist kein Einzelfall. Wir sind Teil dieser Entwicklung und wir können uns natürlich nicht abkoppeln. Bund und Länder unterstützen die Hochschulen. Insgesamt stehen den Hochschulen von 2007 bis 2023 fast 40 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung, das ist der sogenannte "Hochschulpakt 2020". Wir brauchen dringend eine Verlängerung bis mindestens 2025, denn erst dann ist mit einem demographisch bedingten Rückgang zu rechnen. Dann allerdings wird es für sehr kleine Hochschulen eng werden. Für die wird sich dann wohl die Existenzfrage stellen. Unsere Stiftungsuniversität wird sicher nicht dazu zählen.

Reichen die Gebäudekapazitäten aus, oder muss die Hochschule aus Ihrer Sicht baulich weiter wachsen? Wenn ja, wie?

Das Land hat uns beim Hochschulbau großzügig unterstützt. Dafür sage ich ausdrücklich Ministerin Heinen-Kljajic Dank. Ohne diese Unterstützung hätten wir nicht das Forum am Universitätsplatz 1, würden wir nicht heute den Samelson Campus ausbauen, vom Kulturcampus und dem Bühler Campus ganz zu schweigen.  Und 14 Millionen Euro hat das Land für den Mensaneubau bewilligt. Wir haben allerdings auch den Nachweis erbracht, dass wir unter Einhaltung den Kostenrahmens und des Zeitplans bauen können. Das findet in Hannover Beachtung, und deshalb finden wir für unsere Projekte auch offene Ohren.

Welche Rolle spielen die einzelnen Fachbereiche in der Bildungslandschaft, ist der Schwerpunkt Erziehungs- und Kulturwissenschaften eine zukunftsfähige Entscheidung?

Lehrerbildung und Kulturwissenschaften einschließlich MINT sind traditionell unsere Schwerpunkte. Dabei wird es bleiben. Aber die Sprach- und Informationswissenschaften sowie die Informatik sind Profilelemente von besonderer Bedeutung. Gerade neue Studienangebote wie Data Analytics, übrigens in Englisch gelehrt, sind für die Universität und die regionale Wirtschaft von herausragender Bedeutung. Hier dürfen wir nicht reduzieren, sondern müssen innovativ vorangehen. Big Data ist für die Zukunft unseres Landes von existenzieller Bedeutung. Unser Stiftungsratsvorsitzender Dr. Thomas hat das voll im Blick. Wir müssen mit Studienangeboten dabei sein, im Interesse der Wissenschaft und der Wirtschaft. Es geht auch um Facharbeitsplätze in der Region. Oberbürgermeister Dr. Meyer und Landrat Levonen unterstützen deshalb unsere Initiativen. Drei Themen bestimmen die Zukunft unseres Landes: Demografischer Wandel, Migration und Digitalisierung. Diese Themen bestimmen auch unsere Zukunft.

Die Rolle der Digitalisierung wird derzeit breit diskutiert, sei es unter dem Stichwort Arbeit 4.0 oder auch Modernisierung der Lehramtsausbildung. Wie sieht die Rolle der Universität Hildesheim hierbei aus?

Wir zählen zu den Treibern dieser Entwicklung. Wirtschaft 4.0 klappt nicht ohne Forschung und Lehre im IT- Bereich. Keine Hochschule kann das ignorieren. Mit 660 Studierenden in zwei IT-Studiengängen können wir eine sehr erfolgreiche Entwicklung vorweisen. Arwed Löseke und Gerald Frank sei Dank! Und wir dürfen diesen Weg nicht verlassen, nur weil andere Hochschulen auch entsprechende Angebote vorhalten. Für die Region und die Stiftungsuniversität wäre es ein geradezu katastrophaler strategischer Fehler, hier nachzulassen. Ich bitte die Wirtschaft, die Stiftungsuniversität noch stärker zu unterstützen, z.B. durch eine weitere Stiftungsprofessur. Auch andere Partner wie das Helios Klinikum sind von großer Bedeutung. Hier wollen wir mehr tun, mit Helios und weiteren Partnern.

Welche Rolle spielt die Uni als Wirtschaftsfaktor hierbei auch für die Region Hildesheim?

Das eben diskutierte Beispiel IT zeigt es deutlich. Wir können es auch anders diskutieren. Unser Haushalt beläuft sich auf gut 60 Millionen Euro. Als Wirtschaftsfaktor kalkuliert man eine Hochschule "Haushalt mal drei". Wir entsprechen also von einem Unternehmen mit 180 Millionen Euro Umsatz und über 700 Arbeitsplätzen.

Sie sehen die Universität also als „unternehmerische Hochschule"?

Nein, ausdrücklich nein. Eine Hochschulleitung muss in erster Linie wissenschaftszentriert denken und handeln. Sie muss darüber hinaus auch strategisch und unternehmerisch denken und handeln. Zwei Beispiele: Wir haben über unsere Bauprojekte gesprochen. Diese benötigen wir für Forschung, Lehre und Studium. Und wir planen und führen sie unternehmerisch durch. Universitätsverlag und Olms Verlag haben zum Nutzen beider einen gemeinsamen Publikationsrahmen geschaffen. Unsere Wirtschaftskraft entspricht der eines bedeutenden mittelständischen Unternehmens, aber wir sind kein Unternehmen. Als Universität sind wir in besonderer Weise Träger der Kultur. Die City Kirche, das Theater für Niedersachsen, das Dommuseum sind unsere Partner und jüngst gelang die Einwerbung einer halben Million Euro für ein gemeinsames Projekt unseres Center for World Music mit dem Roemer-Pelizaeus-Museum. Universitäten, auch die jungen, stehen in einer mehr als 800 jährigen europäischen Tradition. Wir sind gleichsam konstitutiver Teil unserer europäischen Kultur.

Wie sehen Sie die Entwicklungschancen der Hildesheimer Hochschullandschaft – auch im Hinblick auf Kooperationen mit der HAWK?

Mit Präsidentin Dienel habe ich eine engagierte und ideenreiche Kollegin verloren. Ich setzte auf Kontinuität. Wir kooperieren z.B. in der Frühpädagogik und in der Psychologie. Das kann ausgebaut werden.

Nach der Diskussion um den Antisemitismus-Vorwurf gegen eine Dozentin der HAWK hat das Wissenschaftsministerium angekündigt, die Qualität der Lehre an den niedersächsischen Hochschulen stärker zu kontrollieren. Ist das überhaupt nötig? Wenn ja, wie kann das in der Praxis aussehen?

Zum Vorwurf: Es wäre schön gewesen, wenn der israelische Gesandte sich im August geäußert hätte und nicht erst jetzt. Mehr als schade! Im Übrigen obliegt die Qualitätssicherung der Lehre einer Fakultät und einem Dekanat. Die Freiheit von Forschung und Lehre ist nach Artikel 5 unseres Grundgesetzes geschützt. Das schließt Fehlverfahren einzelner nicht aus. Man muss nicht wegen eines Einzelfalls das System in Frage stellen. Man sollte die Kirche im Dorf lassen.

Wie ist die Finanzierung der Universität aufgestellt? Können Sie mit Ihrer Sockelfinanzierung die Entwicklung vollständig steuern oder sind Sie von der Drittmittelfinanzierung abhängig?

Die Universität wird auskömmlich finanziert. Sie trägt selbst dazu bei, z.B. durch die Einwerbung von sieben Millionen Euro Drittmittel im Jahr. Aber auf der Tagesordnung bleibt das Missverhältnis zwischen dauerhafter Grundfinanzierung, dem sogenannten Sockel, und befristeten Projektmitteln. Unsere Grundfinanzierung ist jetzt unter die Marke von 50 Prozent gerutscht. Das belastet unsere Personalpolitik erheblich. Je mehr Projektmittel, desto mehr zeitlich befristete Arbeitsverträge. Man kann nur dann von "guter Arbeit" reden, wenn diese mit "gutem Geld" unterlegt wird. Das Missverhältnis sollte spätestens im Rahmen der neuen Zielvereinbarung 2019-2023 korrigiert werden.

Sie sind seit 2002 Präsident der Universität und haben diese zur Stiftungs-Hochschule umgewandelt. Wie lange wollen Sie noch im Amt bleiben und was sind Ihre Pläne für diese Zeit?

Meine dritte Amtszeit läuft bis zum 31.12. 2020. Der Stiftungsrat hat mich beauftragt, unsere Entwicklungsplanung mit den Gremien bis 2025 fortzuschreiben. Die Arbeit bereitet mir Freude. Ich möchte den Mensaneubau eröffnen, mit unserem Team das Center for World Music auf der Domäne errichten, weitere Studienvarianten und -gänge entwickeln, die Bildungsintegration ausbauen, die neue Leitlinie zur Förderung des Mittelbaus und die Internationalisierungstrategie umsetzen, IT mit den Professoren und Partnern aus der Wirtschaft weiter entwickeln, die Zielvereinbarung 2019 ff. verhandeln, an der Neuordnung des Lehramtsstudiums im Land mitwirken - wie viele Druckzeilen habe ich noch ?  Es ist ein wunderbares Amt mit Raum für Kreativität.

Die Fragen stellte Norbert Mierzowsky.

Das Interview von Norbert Mierzowsky erschien in gekürzter Form am 12.12.2016 in der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung.

Zur Person: Professor Wolfgang-Uwe Friedrich

Prof. Dr. Wolfgang-Uwe Friedrich, 64 Jahre. Studium der Geschichte, Slawistik und Politikwissenschaft. Auslandssemester und Forschungsaufenthalte führten ihn nach Sofia, Istanbul, Wien, London und Paris. Unter anderem forschte er als J.F. Kennedy Fellow an der Harvard Universität über die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Seit 2002 ist er Präsident der Stiftung Universität Hildesheim, seit 2015 Vorsitzender der Landeshochschulkonferenz Niedersachsen, 2008 bis 2016 Mitglied des ZDF-Fernsehrats, jetzt arte-Programmbeirat.


Seit 2002 ist Professor Wolfgang-Uwe Friedrich Präsident der Stiftung Universität Hildesheim. Im Interview spricht er auch über Digitalisierung. Ein Blick in den Hörsaal – ein Freitagmorgen in der Universität Hildesheim: Studierende in der Vorlesung „Maschinelles Lernen". Die Universität Hildesheim bildet Informatikerinnen und Informatiker etwa im neuen Studienangebot „Data Analytics“ (Master of Science) aus. Das weltweite Interesse am Studium in Hildesheim ist enorm: Über 170 Bewerbungen erreichten die Universität für das Wintersemester, über 300 Bewerbungen für den Sommer. Die erste Generation der Studierenden kommt aus Nepal, Indien, Pakistan, Simbabwe, Nigeria, Brasilien und Deutschland. Fotos: Isa Lange/Uni Hildesheim

Seit 2002 ist Professor Wolfgang-Uwe Friedrich Präsident der Stiftung Universität Hildesheim. Im Interview spricht er auch über Digitalisierung. Ein Blick in den Hörsaal – ein Freitagmorgen in der Universität Hildesheim: Studierende in der Vorlesung „Maschinelles Lernen". Die Universität Hildesheim bildet Informatikerinnen und Informatiker etwa im neuen Studienangebot „Data Analytics“ (Master of Science) aus. Das weltweite Interesse am Studium in Hildesheim ist enorm: Über 170 Bewerbungen erreichten die Universität für das Wintersemester, über 300 Bewerbungen für den Sommer. Die erste Generation der Studierenden kommt aus Nepal, Indien, Pakistan, Simbabwe, Nigeria, Brasilien und Deutschland. Fotos: Isa Lange/Uni Hildesheim