„Das Denken macht weder vor nationalen noch sprachlichen Grenzen Halt“

Friday, 02. August 2019 um 15:32 Uhr

Wie das Unendliche im Endlichen erscheinen kann, untersuchen Philosophen und Theologen in einem internationalen Forschungsnetzwerk. Die Zusammenarbeit über Sprach- und Ländergrenzen hinweg ist von essentieller Notwendigkeit. Eine Begegnung mit den Professoren René Dausner und Jakub Sirovátka in Hildesheim.

„Philosophie und Theologie sind eine Reflexion des Lebens. Sie kommen auf das Leben zurück“, sagt Professor Jakub Sirovátka, Associate Professor für Philosophie an der Südböhmischen Universität in Budweis, im Süden Tschechiens.

Der tschechische Philosoph war als Gastwissenschaftler im Rahmen eines ERASMUS+-Austauschs am Institut für Katholische Theologie der Universität Hildesheim, um die gemeinsamen Forschungsbeziehungen zu pflegen. Mit dem Hildesheimer Theologen Professor René Dausner verbindet den Philosophen zum Beispiel die Forschung über den französisch-litauischen Philosophen Emmanuel Levinas, der sich auch zu religionsphilosophischen Fragen geäußert hat.

„Man man liest die Tradition anders mit Hilfe des zeitgenössischen Denkens“

Beide wirken in einem internationalen theologisch-philosophischen Forschungsnetzwerk mit, befassen sich etwa mit der Grundfrage, wie das Unendliche im Endlichen erscheinen kann, „ohne dass das Unendliche mit dem Endlichen einfach identisch wird und ohne dass das Unendliche keine Bedeutung mehr für das Endliche hätte“, so René Dausner.

Ein philosophisch-theologisches Gespräch zu führen, das auf der Höhe der Zeit und denkerisch anschlussfähig ist, sei eine der großen Herausforderungen. Hier könne die Phänomenologie sehr viel beitragen.

„Was uns verbindet, ist, dass wir beide im Grenzbereich zwischen Philosophie und Theologie arbeiten. Man kann sich gegenseitig bereichern, weil man an einer gemeinsamen Sache arbeitet und trotzdem aus einem etwas anderen Blickwinkel“, so Jakub Sirovátka. „Wir möchten das Gespräch über das Göttliche, das Heilige, das Metaphysische mit dem heutigen Denken führen. Das bedeutet nicht, dass man die alte Lektüre zur Seite schiebt, aber man liest die Tradition neu oder anders mit Hilfe des zeitgenössischen Denkens.“ So kommen neue Perspektiven auf, sagt der Philosoph.

„Jeder von uns hat Erfahrungen, die einen über sich hinaustragen, etwa Liebe oder Freundschaft“

Was meinen die beiden Forscher mit dem Gedanken, dass das Unendliche im Endlichen erscheinen kann? Es sei alltäglich und banal zu sehen, dass „jeder von uns Sachen hat, die für einen heilig sind. Da muss man nicht gläubig sein, das kann alles mögliche sein. Jeder von uns – so würde ich behaupten – hat auch Erfahrungen, die einen über sich hinaustragen, ob das Liebe ist, oder Freundschaft. Es sind Erfahrungen des Selbstüberschreitens“, so Jakub Sirovátka. Diese Erfahrungen, die jeder Mensch hat, seien besondere Erfahrungen. Sirovátka spricht von „Erfahrungen der Selbsttranszendenz“.

„Unsere Alltagserfahrungen, mögen sie noch so säkular sein, zeigen Spuren des Transzendenten oder Heiligen“, sagt René Dausner. Ein Beispiel sei die Bewegung „Fridays for Future“, wo Greta Thunberg, eine Sechszehnjährige, auftritt, und sagt: Wir müssen etwas tun für unsere Zukunft. „Sie elektrisiert im Grunde eine ganze Jugendbewegung, die ja lange als unpolitisch galt, und hat es mit anderen zusammen geschafft, die Jugend dazu zu bringen, sich die Frage zu stellen: Was für Zukunftsmöglichkeiten haben wir denn? Und – dass es überhaupt Zukunft geben soll, dass wir nicht nur jetzt leben und uns auf unser Leben beschränken, sondern dass wir vielleicht auch uns einschränken müssen, um der Zukunft willen. Es sind ethische und theologische Grundsatzfragen, die in die unmittelbare Erfahrungswelt von uns Menschen hineingehören“, so Dausner.

Ein weiteres Beispiel für praktische Konsequenzen eines theoretischen Denkens führt Sirovátka an: „Mit Hans Joas könnte man sagen, eine jede Person ist heilig, aber nicht im religiösen Sinne. Deshalb empören wir uns, wenn Menschen gequält werden, wenn gegen Menschenrechte gehandelt wird.“

Internationale Zusammenarbeit ist für Forschung von essentieller Notwendigkeit

„Die internationale Zusammenarbeit ist für unsere Fragestellungen von essentieller Notwendigkeit“, sagt René Dausner. „Es geht nicht um eine nationale Idee oder nationales Denken, das Denken ist länderübergreifend. Und die Sprache spielt insofern eine große Rolle, als das Denken sich nicht auf eine Sprache begrenzen lässt, in unserem Forschungsnetzwerk lesen wir gemeinsam französische Philosophen, sind permannet mit anderen Sprachen konfrontiert. Das Denken macht weder vor nationalen noch sprachlichen Grenzen Halt.“

„Unsere Stärke ist die Pluralität der Sprachen und Kulturen – nicht, in dem Sinne, dass man eine andere Kultur schlecht macht, sondern, indem man sich von ihr bereichern lässt“, sagt Jakub Sirovátka.


„Wir arbeiten beide im Grenzbereich zwischen Philosophie und Theologie. Man kann sich gegenseitig bereichern, weil man an einer gemeinsamen Sache arbeitet und trotzdem aus einem etwas anderen Blickwinkel“, so Jakub Sirovátka über die Zusammenarbeit mit René Dausner. Foto: Isa Lange/Uni Hildesheim