Professor Julius Heinicke vom Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim befasst sich mit der Bedeutung von Kunst- und Kulturschaffen im Umgang mit Verlust und Trauer. Der Kulturwissenschaftler weist in der COVID-19-Pandemie darauf hin, dass „in der Kunst der Tod überlebt, verändert, reflektiert, erzählt und beschrieben und auch vielleicht erfahrbar werden kann, soweit es unsere Phantasie und unser künstlerisches Vermögen erlauben“.
Kulturelle und künstlerische Räume spielen „mit dem Wissen um den Tod“
„Ich glaube, dass Kunst- und Kulturschaffen in Krisenzeiten lebensnotwendig ist, da es ein Vermögen birgt, dem Angesicht des Todes begegnen zu können. Kulturelle und künstlerische Praktiken haben sich in allen Kulturen, die mir bekannt sind, immer schon von den alltäglichen Techniken des Lebens abgesetzt, indem sie über das notwendige Befriedigen von Bedürfnissen und Lüsten hinausgingen. Rituale, Zeremonien und künstlerische Produktionen – seien es literarische Texte, Performances, Musik, Jahreszeitenrituale, Filme oder Games – bearbeiten Themen und Phantasien, welche optional und nicht zwingend erscheinen und dennoch notwendig zum Leben sind wie der Tod“, beschreibt Julius Heinicke.
Kulturelle und künstlerische Räume spielen „mit dem Wissen um den Tod: Auf der Bühne und in der Literatur wird viel gestorben, die Malerei hat unzählige Bilder vom Sterben und einem möglichen Danach hervorgebracht und auch in der Musik spielt der Tod eine große Rolle“, so Professor Heinicke.
„Eine Krise solchen Ausmaßes benötigt auch Räume und Möglichkeiten, Kunst zu erleben und zu erschaffen“
„Der Staat und die Gesellschaft müssen nicht nur dafür Sorge tragen, dass die Bevölkerungsgruppen medizinisch versorgt sind, ernährt und ausgebildet werden und möglichst unversehrt bleiben. Eine Krise solchen Ausmaßes benötigt neben diesen systemrelevanten weitere lebensnotwendige Maßnahmen. Räume und Möglichkeiten, Kunst zu erleben und zu erschaffen, sollten jedem Menschen in diesen Zeiten offenstehen“, sagt der Hildesheimer Kulturwissenschaftler.
Gerade den vulnerablen und marginalisierten Gruppen, Menschen in Pflegeheimen, mit Handicaps, Kranken, Einsamen und sozial Abgehängten war der Zugang zu diesen Sphären verwehrt, so Heinicke. „Sie können ihre künstlerischen und kreativen Potenziale nicht ausschöpfen. Doch gerade das Vermögen mittels Musik, Literatur, künstlerischen Phantasiewelten, Performance und gestaltender Kunst mit der unmittelbaren Bedrohung durch den Tod umgehen zu können und die Unsicherheit, aber auch Abschottung verarbeiten zu können, erscheint lebensnotwendig“, so Julius Heinicke.
Einen ausführlichen Artikel hat Prof. Dr. Julius Heinicke veröffentlicht in: Heinicke, Julius: „Lebensnotwendig wie der Tod: Kulturpolitische Überlegungen zum Vermögen der Kunst in Krisenzeiten“, in: Kulturelemente. Zeitschrift für aktuelle Fragen, 154/2020.