Bildung in Europa

Saturday, 27. March 2004 um 09:04 Uhr

Thesen aus dem Festvortrag "Die deutschen Hochschulen und die Globalisierung" von Professor Dr. Klaus Landfried

"Bildung in Europa" - Theorie-Praxis-Modelle in Hil­desheim - unter diesem Motto fand am 26.11.2003 an der Universität Hildesheim ein Dies academicus statt. Auftakt der ganztätigen Wissenschaftsveranstaltung war der Festvortrag vom ehemaligen Präsidenten der Hoch­­schulrektorenkonferenz, Prof. Dr. Klaus Landfried.

"Aber sind die deutschen Hochschulen gerüstet für den Weg nach Europa? Sind sie stark genug für den Wettbewerb in Europa und in der Welt?

"Aber sind die deutschen Hochschulen gerüstet für den Weg nach Europa? Sind sie stark genug für den Wettbewerb in Europa und in der Welt?

Meine Antwort ist zunächst ermutigend! ja, im Vergleich zu ähnlichen Hochschulen in den Niederlanden und in Polen oder in Spanien oder auch zu vielen amerikanischen "Normal"- Colleges müssen sich die deutschen Hochschulen nicht verstecken. Dass wir in der Spitze besser werden müssen, wissen wir schon länger. (...)

In 10 Thesen will ich begründen, was ich meine.

  • Klar spreche ich mich für die Rückkehr zu den in 90 % aller Hochschulen der Erde üblichen gestuften Studienstrukturen aus, die bereits in der "alten" Universität (in Deutschland bis 1836) praktiziert wurden. Dies bedeutet einen Bakkalaureus-Grad nach drei oder vier Jahren und, wenn man dafür seine Eignung nachweist, einen Magister nach weiteren ein bis zwei Jahren, wobei die Programme vor allem auf das Arbeitsleben ausgerichtet sein sollten und vor allem auch auf unternehmerisches Denken. Im europäischen Hochschulraum wie in der Welt außerhalb werden die deutschen Hochschulen vor allem mit diesen Abschlussgraden wettbewerbsfähig sein. (...)
  • Zur Eigenver­ant­wor­tung der Hochschulen gehört Qualitätssiche­rung. Dies bedeutet zu­nächst ein überdenken der eigenen Stärken und Schwächen unter Beteiligung der Studierenden und zwei­tens eine externe Begutachtung durch Kollegen und, längerfristig, durch Alumni. Auf der Evaluation baut die Akkre­di­tierung auf. Da­bei handelt es sich um ein Zertifikat, mit dem die Er­füllung bestimmter Qua­li­täts­standards über einen z.B. fünfjährigen Zeitraum hinweg bestätigt wird. Akkreditierung kann sich auf Studienprogramme und Abschlüsse beziehen - wie derzeit in Deutschland praktiziert - oder auch auf Institutionen, wie es in manchen anderen Ländern der Fall ist. Zusätzlich werden Benchmarking und Fächer-Rankings im internationalen Vergleich erforderlich sein. Längerfristig werden die Resultate all dieser Bemühungen finanzielle Konsequenzen positiver oder negativer Art nach sich ziehen müssen, wenn der betriebene Aufwand zu rechtfertigen sein soll.
  • Wir brauchen ein diversifiziertes Hoch­schulsystem als Antwort auf diversifizierte soziale Nachfrage: nämlich unterschiedliche, aber - im Hinblick auf persönliche und berufliche Kompetenzen (mit Ausnahme der Forschung) - gleichwertige Institutionen, die ihre eigenen Profile im Dialog mit ihrer Region und internationalen Partnern entwickeln. Und innerhalb dieser Hauptgruppen und zwischen ihnen wird es weitere Differenzierung geben, z. B. auch For­schungsuni­versitäten, die in einigen Fächern - nicht in allen - zur Weltspitze gehören. Aber wie in der Fußball-Bundesliga müssen die Chancen für alle offen bleiben, nach oben oder nach unten. (...)
  • Mehr Eigenverantwortung für Hochschulen erfordert ein professionelles Management durch Wis­senschaftlerinnen und Wissenschaftler, die speziell auf diese Aufgabe vorbereitet wurden und persönliche Verantwortung tragen. Die Mitwirkung der Statusgruppen lässt sich über deren Einbindung in die Vorbereitung von Leistungsverträgen besser organisieren als in den traditionellen Gremien. Die Zahl der detailversessenen Ministerialbeamten kann und muss endlich reduziert werden. (...)
  • Der nötigen größeren Eigenverantwortung der Hochschulen entspricht eine verschärfte Rechen­schaftspflicht. Das Berichtswesen wissenschaftsadäquat zu organisieren, ist zwar nicht leicht, aber möglich, wie Beispiele aus Großbritannien, den Niederlanden, Finnland oder den USA zeigen. Freiheit des Geistes und wirtschaftliches Verhalten mit Augenmaß sind keine Gegensätze, bei Museen und Theatern nicht, bei Hochschulen auch nicht. Die bisherige Form der kameralistischen Rechnungslegung des Staates in Deutschland ist allerdings eine unpro­fes­sionelle Form von Betrug am Steuerzahler.
  • Die institutionelle Internationalisierung gelingt vor allem mit viel mehr ausländischen Professorinnen und Professoren, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, deren Anteil in Deutschland im Vergleich zu Frankreich, den Niederlanden oder Großbritannien beschämend niedrig ist. Dass wir den Anteil der ausländischen Studierenden erhöhen sollten, darüber sollte kein Dissens bestehen. Aber um sie kümmern müssen und können wir uns viel mehr als bisher. Aber, dass wir in den nächsten Jahren so viele Frauen in wissenschaftlichen Leitungspositionen brauchen wie in der Türkei, nämlich mindestens doppelt so viele wie jetzt, ist überfällig.
  • Hochschulbildung, Ausbildung, F und E und zweckfreie Erkenntnis-Forschung sind öffentliche Aufgaben und sollten dies auch bleiben. Dies bedeutet nicht, dass die eigentliche Ausführung dieser Aufgaben notwendigerweise immer eine staatliche Dienstellenstruktur erfordert, wenn andere Lösungen vielversprechender erscheinen. Diese ergeben aber nur dann einen Sinn, wenn das zurzeit in Deutschland noch sehr unflexible und leistungsfremde Dienst-, Tarif- und Haushaltsrecht endlich reformiert sind. - Ich bin froh, dass die europäischen Hochschulen bei GATS eine entsprechende Position, gemeinsam mit den meisten Regierungen, entwickelt haben.
  • Hochschulen im Wettbewerb stellen sich stärker als bisher der Nachfrage und orientieren ihre Dienstleistungen (Lehre, Verwaltung, Bibliothek/Informationszentrum, Werkstätten) an "Kunden"-Einschätzungen (Studenten, Professoren, Mitarbeiter, Externpartner). Dazu gehören regelmäßige Kundenbefragungen ebenso wie die spürbare Ausweitung von Angeboten im Berufsbegleitenden Studium quer durch die Fächer, mit z.T. neuen und kreativen Kombinationen, z.B. Technik und Kulturwissenschaften inklusive Psychologie. Dass hierzu die Ausweitung von "öffnungszeiten" in Abendstunden und Wochenende gehört, will ich nur erwähnen. Auch die Ausweitung des Netzbasierten Lernens und Kommunizierens dient solchen Zwecken. Ebenso der regelmäßige institutionelle Dialog der Hochschule mit den Unternehmen der Wirtschaft und mit den Medien. Kontakte einzelner Professoren reichen nicht aus. In einer Datenbank mit Themen-Schlagwortregister sollten die wirtschaftlichen Dienstleistungen der Fachgebiete mit Ansprechpartnern für Nachfragen von außen leicht zugänglich sein. Die bisherigen, nach Hochschul-Fächern und Professoren geordneten Kataloge taugen hierzu nicht. Die Wirklichkeit ist nicht nach Fächern organisiert.
  • Zukunftsträchtig für die Finanzierung der Hochschule sind künftig nicht mehr nur die staatlichen Zuweisungen, sondern vor allem Eigeneinnahmen aus Weiterbildung, F + E, Liegenschaften, Sponsoring und Projektbezogenen Stiftungen und Spenden. über konkrete Schritte dazu diskutiere ich gerne mit Ihnen. Das gilt auch für Beiträge der Studenten. Diese müssen als erwachsene und unabhängige Persönlichkeiten respektiert werden. Das fällt leichter, wenn sie nach dem Studieren aus dem erzielten Einkommen (wie in Schottland oder an der Universität Witten-Herdecke) einen Beitrag von ca. 4000-6000 Euro für ein vierjähriges Studium (in Raten) zurückzahlen an die Hochschulen, an denen sie studiert haben, nicht an den Staat. Einkommens-Freigrenzen können vor unzumutbarer Belastung schützen. Vor allem aber sollten die Höhe, die Art der Einziehung und die Verwendung der Mittel maßgeblich von Absolventinnen und Absolventen zusammen mit den Studierenden beeinflusst sein, was auch zur Identifikation mit der eigenen Hochschule beiträgt.
  • Ein Existenzgründertraining durch hierfür kompetente Personen, nur im Ausnahmefall Professoren, nutzt selbst denen, die später als Angestellte arbeiten. Neue Arbeitsplätze entstehen vor allem in neuen Unternehmen, leider fast nicht mehr in traditionellen Großbetrieben mit ihren Produkten des 19. und 20. Jahrhunderts.

Insgesamt meine ich, dass die europäischen, also auch die deutschen Hochschulen ihren Weg zwischen Wandel und Bewahrung in der globalisierten Welt finden werden. Dabei hilft ihnen die Erkenntnis, dass sie in ihren Anstrengungen nicht allein sind. Das Projekt des europäischen Hochschulraums dient als Kristal­li­sationspunkt und Referenzrahmen für nationale Reformprojekte in ganz Europa.(...)"