„Doch das hehre Ziel, Nachrichten verständlich zu machen, hat auch immer mit dem Verdacht zu kämpfen, diese zu infantilisieren und Leser für dumm zu verkaufen.“
Da man in der breiten Öffentlichkeit leicht verständliche Texte vor allem über Angebote für Kinder wahrnimmt und verständlichkeitsoptimierte Angebote für andere Personenkreise eher weniger präsent sind, liegt der Vergleich zu “Kindersprache” nahe. Die Unterschiede zwischen Texten für Kinder und „guten“ Leichte-Sprache-Texten sind jedoch enorm. Aspekte wie Textsorten, Informationsauswahl und Leseransprache stellen beispielsweise markante Unterschiede dar. Ein verwandtes Problem ist die Kritik der Stigmatisierung oder der Herablassung. Dies ist aber kein prinzipielles, der Leichten Sprache innewohnendes Problem, sondern liegt in der Hand des Übersetzers bzw. der Übersetzerin. Deshalb ist es wichtig, seine Zielgruppe präsent zu haben, bei der Erstellung der Texte auf korrekte Anredeformen zu achten und stigmatisierende Formulierungen wie „das schwere Wort dafür ist…“ zu vermeiden. Es gibt eine Reihe von Negativbeispielen, die immer wieder gerne im Diskurs aufgegriffen werden. Aber die Existenz von missglückten Leichte-Sprache-Texten kann nicht als Argument gegen das Konzept als Ganzes herangezogen werden. Andernfalls ließe sich so logischerweise auch gegen alle anderen “Varietäten” der deutschen Sprache argumentieren.
„Wäre es nicht besser, die Lesekompetenz zu stärken, statt komplexe Texte zu demontieren?“
Das ist ein nobles und unterstützenswertes Ziel. Es verfehlt leider einen großen Teil unserer Zielgruppe(n). Wir sprechen zum Beispiel von PatientInnen mit dauerhafter Aphasie, prälingual gehörlosen Menschen, Autisten oder demenzkranken Menschen, um nur einen kleinen Teil der relevanten Diagnosen zu nennen. Nicht alle Menschen können eine Leseschwäche überwinden. Gerade sie haben ein Recht auf für sie verständliche Texte. Anders ist es zum Beispiel bei Deutschlernern, Legasthenikern oder funktionalen Analphabeten. Bei angemessener Förderung werden diese Zielgruppen zwangsläufig der Leichten Sprache „entwachsen“.
Trotzdem können auch sie zeitweise von ihr profitieren. Leichte Sprache kann eine Brückenfunktion einnehmen, ungeübte LeserInnen an schriftliche Texte heranführen und eine Leseroutine stärken. Sie unterstützt damit viel wahrscheinlicher einen Lernprozess, anstatt diesen zu bremsen.
„Gibt es eine Grenze für Komplexitätsreduktion? Ist dem Zielpublikum gedient, wenn man Inhalte über Gebühr simplifiziert?“
Diese Befürchtung ist eine ernstzunehmende Kritik: Leichte-Sprache-Texte sind reduziert, sowohl in Bezug auf die sprachliche Komplexität als auch hinsichtlich ihres Informationsgehalts. Leichte-Sprache-ÜbersetzerInnen wissen, dass die Selektion von Informationen unumgänglich ist. Sie stehen vor der Frage, welche Informationen relevant sind und wie diese sprachlich vereinfacht werden können, um einen für die Zielgruppe funktionierenden Text zu schaffen. Aus der Perspektive geübter LeserInnen sind Leichte-Sprache-Texte befremdlich. Sie sind nicht eloquent, nicht ästhetisch und in vielen Fällen auch weniger präzise im Vergleich zum standardsprachlichen Ausgangstext. Und dennoch: Durch Leichte Sprache können wesentliche Informationen vermittelt werden. Was wesentlich und relevant, irreführend oder vielleicht auch verzerrend ist, liegt dabei immer in der subjektiven Beurteilung des Übersetzers. Dieser muss sich seiner Verantwortung bewusst sein. Im Übrigen ist dies ein ganz klassisches Übersetzungsproblem, mit dem auch FremdsprachenübersetzerInnen konfrontiert sind. Und auch journalistische Texte sind trotz Objektivitätsanspruch doch immer das Ergebnis der subjektiven Informationsselektion und Darstellungsweise des Journalisten.
„Traut man der Leserschaft nichts mehr zu?”
Diese Frage ist – kurz gesagt – irrelevant. Es ist ein nachweislicher Fakt, dass ein nicht geringer Teil der Bevölkerung aus unterschiedlichen Gründen an standard- und fachsprachlichen Texten scheitert. Diese Tatsache hat nichts mit subjektiven Vermutungen zu tun. Es gibt Menschen, die permanent auf die Hilfe Dritter angewiesen sind, wenn es um schriftsprachliche Kommunikation geht. Die Forderung nach einer verständlichen Informationsaufbereitung für diese Menschen ist ebenso berechtigt und angebracht, wie die nach der Erhaltung gesellschaftlicher Standards und angemessenen Förderungsmaßnahmen zur Überwindung von Leseschwächen. Diese unterschiedlichen Forderungen konkurrieren auch gar nicht miteinander. Leichte Sprache richtet sich weder an den durchschnittlichen FAZ-Leser noch ist es ihre Intention, “Lesefaulen” das Leben bequemer zu machen. Vielmehr bietet sie vielen Menschen den einzigen Zugang zur Textwelt und damit die Chance, eigenständig und selbstbestimmt Informationen aus Texten zu ziehen. Jeder, der sich von Leichter Sprache unterfordert fühlt, kann, soll und wird ein für sich angemessenes, standardsprachliches Angebot nutzen. Ein Aspekt scheint leider immer wieder missverstanden zu werden: Leichte Sprache ist kein Ersatz, sondern ein zusätzliches Angebot für spezifische Zielgruppen.
Den ganzen FAZ-Artikel zum Nachlesen finden Sie hier.
Sie möchten mehr darüber erfahren, welche typischen Kritikpunkte es zum Thema Leichte Sprache gibt und wie die Forschungsstelle Leichte Sprache dazu steht? In den <link leichtesprache/leichte-sprache/faqs/>FAQs</link> auf unserer Website geben wir Antworten auf die häufigsten Fragen und Vorurteile.