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Ein neuer Menschaffenfund aus dem Allgäu wirft Licht auf die Entstehung des aufrechten Ganges

Wednesday, 13. November 2019 um 17:36 Uhr

Zahlreiche Medien berichteten dieser Tage über den Fund eines fossilen Menschenaffen (Danuvius guggenmosi) aus dem Allgäu. Das Teilskelett sowie Einzelknochen von weiteren Individuen sind etwa 11,6 Millionen Jahre alt. Da die Entwicklung des aufrechten Ganges zu den ungelösten Problemen der Paläoanthropologie zählt, ist der neue Fund von erheblicher wissenschaftlicher Bedeutung. Eine differenzierte Betrachtung ist notwendig. Ein Gastbeitrag von Dr. Stefan Flohr.

Gastbeitrag von Dr. Stefan Flohr, Anthropologe, Institut für Biologie und Chemie, Universität Hildesheim. Seit 2007 forscht und lehrt Dr. Stefan Flohr an der Universität Hildesheim und gibt sein Wissen in der Anthropologie, Anatomie, Humanbiologie und Paläoanthropologie sowie Bioarchäologie an Studentinnen und Studenten weiter. Er war mehrere Jahre als Landesanthropologe in Thüringen tätig.

Zahlreiche Medien berichteten dieser Tage über den Fund eines fossilen Menschenaffen (Danuvius guggenmosi) aus dem Allgäu. Das Teilskelett sowie Einzelknochen von weiteren Individuen sind etwa 11,6 Millionen Jahre alt. Sie entstammen einer Epoche der Erdgeschichte, dem Miozän, in der Menschenaffen in einer viel größeren Vielfalt gelebt haben als heute. Das Brisante hierbei ist, dass sich aus einem bisher unbekannten Vertreter jener miozänen Menschenaffen die zum heutigen Menschen führende Stammeslinie entwickelt hat.

Die Diskussion über dieses Thema wird daher oft eher emotional als sachlich geführt. Der Mainzer Paläoanthropologe Winfried Henke schrieb das Phänomen der „Subjekt-Objekt-Identität“ zu, nach welchem der Mensch Beobachter und beobachtetes Objekt zugleich ist, was eine neutrale Bewertung der Befunde erschwert. Genau dieses Dilemma wird in der aktuellen medialen Berichterstattung zu den Funden aus dem Allgäu spürbar. Da ist reißerisch die Rede davon, dass aktuell geltende Vorstellungen zur Evolution auf den Kopf gestellt werden müssten und Ähnliches mehr.

Die Diskussion wird oft eher emotional als sachlich geführt

In der Tat ist der Fund eindrucksvoll und ohne Zweifel bedeutsam. Die Bewertung durch die Autoren Madelaine Böhme und Mitarbeiter im Fachjournal „Nature“ ist sehr viel differenzierter als in den Populärmedien. Nach den Autoren weist Danuvius ein einzigartiges Mosaik an Merkmalen auf, das sowohl Anpassungen an die zweibeinige als auch die kletternde Fortbewegungsweise widerspiegelt. Insbesondere sei bei Danuvius eine Streckung des Knie- und Hüftgelenkes nachweisbar, wie sie auch für die menschliche Bipedie typisch ist. Da die Entwicklung des aufrechten Ganges zu den ungelösten Problemen der Paläoanthropologie zählt, ist der neue Fund von erheblicher wissenschaftlicher Bedeutung und könnte nach Ansicht der Erstbeschreiber als Modell für die Entwicklung der Bidepie beim Menschen dienen.

Durch den Fund ergeben sich interessante Fragen und Diskussionsansätze. Schon früher wurde miozänen Menschenaffen aus dem europäischen Raum eine zweibeinige Fortbewegungsweise zugesprochen. Allerdings fand keine dieser Interpretationen bisher eine breite Zustimmung in der Fachwelt. Ob dies im Fall von Danuvius anders ist, wird sich erst in der Zukunft zeigen, wenn auch andere Experten die Funde analysiert haben.

Dieser Prozess wird sich sicher über viele Jahre, womöglich Jahrzehnte hinziehen. Sollte die Interpretation der Erstbeschreiber bestätigt werden, so wäre belegt, dass sich der aufrechte Gang bei Menschenaffen mehrmals und auf womöglich unterschiedliche Weise unabhängig voneinander entwickelt hat. Mehrmals deshalb, weil die Vorfahren des heutigen Menschen diesen Schritt vollzogen haben und Danuvius sicherlich nicht zu diesen Vorfahren zählt. Ansonsten müsste Danuvius aufgrund seines geologischen Alters auch der Urahn der heutigen Gorillas und Schimpansen sein. Erstere spalteten sich vor rund neun Millionen Jahren von der zum Menschen führenden Stammeslinie ab, letztere vor rund sechs Millionen Jahren. Beide hätten also wie auch die Menschen die Bipedie von Danuvius „geerbt“ und hätten beide unabhängig voneinander die zweibeinige Fortbewegungsweise wieder aufgegeben. Eine solche Entwicklung ist fossil nicht belegt und evolutionsbiologisch extrem unwahrscheinlich.

Was ist also die eigentliche Bedeutung des Fundes?

Was ist also die eigentliche Bedeutung des Fundes? Es ist die Erkenntnis, dass die Diversität der Menschenaffen im Miozän offenbar noch größer war als zuvor angenommen. Weiterhin – sollte sich die Interpretation der Erstbeschreiber bestätigen – die Erkenntnis, dass es mehrere „Anläufe“ zur Etablierung des aufrechten Ganges gegeben hat. Außerdem fanden diese offenbar schon sehr viel früher statt als bisher angenommen wurde und waren nicht auf Afrika beschränkt, wo sie durch ein paar jünger datierende Funde als gut belegt gelten.

Fakt ist, dass sich von diesen Anläufen nur einer über die Zeit gerettet hat, nämlich derjenige, der zum heutigen Menschen führte. Danuvius und seine Nachkommen haben es offenbar nicht geschafft. Aber die große Familie der rezenten und fossilen Menschenaffen ist um ein hochinteressantes Mitglied reicher.


Stefan Flohr forscht und lehrt als Anthropologe am Institut für Biologie und Chemie der Universität Hildesheim. Foto: Daniel Kunzfeld