„Wir tauschen unsere verschiedenen digitalen Wege aus und jeder kann von dem anderen lernen“

Monday, 17. August 2020 um 11:20 Uhr

Die Lotsinnen und Lotsen der digitalen Lehre stehen für Fragen und Austausch zur Verfügung und können bei der Konzeption von digitalen Lehrveranstaltungen während der Coronavirus-Pandemie unterstützen. Ihre Expertisen liegen unter anderem im Bereich „Digitale Klausuren“, „Laborpraktische Arbeiten“ und „Social Reading“. Professorin Julia Rieck gehört zum Vorstand des Instituts für Betriebswirtschaft und Wirtschaftsinformatik und lehrt in der Abteilung „Operations Research“. Sie ist als Lotsin der digitalen Lehre für den Bereich „Online Seminare“ zuständig und weiß, welche Potentiale und Hindernisse dieses Format bietet und welche „goldenen Regeln“ für die Verständigung im virtuellen Seminar hilfreich sind.

E-Learning 2020: Digitale Lehre
https://www.uni-hildesheim.de/e-learning2020/digitale-lehre/

 

Interview mit Prof. Dr. Julia Rieck über Online-Seminare

Frau Professorin Rieck, haben Sie bereits viel mit Online-Seminaren gearbeitet, bevor es als Maßnahme in der aktuellen Lage gängige Praxis wurde?

Tatsächlich haben wir in der Abteilung Betriebswirtschaftslehre und Operations Research vor der Corona-Pandemie noch nicht mit Online-Seminaren gearbeitet. Davor haben wir aber generell schon kleine Projekte in den Bereichen der digitalen Lehre und des digitalen Lernens gemacht. Insbesondere dürfen beispielsweise seit dem letzten Jahr die IT-Studierenden ihren Bericht zum Wirtschaftspraktikum in Form eines Screencasts abgeben. Aufgrund erster Erfahrungen war der Schritt zur Realität für uns dann nicht mehr ganz so groß. Wir haben uns sehr schnell in die neue Situation eingefunden und intensiv unsere Online-Seminare geplant.

Sehen Sie neben der Kontaktreduzierung als Schutzmaßnahme weitere Vorteile, welche Online-Seminare bieten?

Online-Seminare haben Vor- und Nachteile gegenüber der klassischen Präsenzlehre. Ein Vorteil ist sicherlich, dass Online-Seminare unabhängig von einem bestimmten Standort sind. Somit müssen Dozent/-in und Studenten/-innen nicht anreisen. Eine Teilnahme ist sogar aus dem Ausland denkbar. Zudem ist eine anonyme Teilnahme möglich. Dies führt in vielen Fällen dazu, dass die Studierenden deutlich mehr Fragen anonym im Chat stellen, als dies bei einer Präsenzveranstaltung der Fall wäre. Außerdem ist die Durchführung von Umfragen einfach einzubauen, was den Vorlesungsstoff auflockern und bereichern kann.

Mit welchen Fragen und Anliegen wenden sich Dozierende an Sie? Wo benötigen sie Beratung, wo gibt es Verunsicherungen?

Es gibt sehr wenig Beratungsbedarf von Dozierenden. Wir tauschen unsere verschiedenen digitalen Wege aus und jeder kann von dem anderen lernen. Insgesamt gehe ich davon aus, dass sich alle mittlerweile gut mit Online-Seminaren zurechtfinden.


Auf der Webseite der Universität Hildesheim ist ein „Knigge“ für Online-Seminare zu finden – gibt es noch weitere „goldene Regeln“, um Komplikationen in der digitalen Kommunikation entgegen zu wirken?

Die Regeln im „Knigge“ für Online-Seminare sind sehr sinnvoll. Insbesondere sollten alle Teilnehmer/-innen von Online-Seminaren Störgeräusche (z.B. ein klingelndes Telefon) vermeiden, auf eine strikte Sprechdisziplin achten und die Anzahl der übertragenen Videos gering halten. Möchte man im Online-Seminar seinen Desktop teilen, sollte sichergestellt sein, dass der „virtuelle Schreibtisch“ aufgeräumt ist. Zudem sollte auch bei Online-Seminaren eine maximale Zeitvorgabe (von z.B. 90 Minuten) nicht überschritten werden.

Was muss alles möglicherweise angepasst werden, um ein Seminar in die digitale Lehre zu transferieren – müsste sich die Vortragsweise verändern? Ist Inhalt grundsätzlich zu reduzieren?

Natürlich ist es sehr stark davon abhängig, in welcher Disziplin ein Seminar stattfindet. Müssen Versuche z.B. in der Chemie oder Biologie zur Anschauung durchgeführt werden oder Kunstwerke erschaffen werden, ist die Umstellung auf die digitale Lehre nicht ohne weiteres möglich. In der Betriebswirtschaftslehre kann fast alles transferiert werden. Es kann ein virtueller Raum verwendet werden, in dem die Kommunikation über einen Chat oder über Audio und Video verläuft. Außerdem können auch mehrere virtuelle Räume gleichzeitig geöffnet werden, um Lern- und Diskussionsgruppen zu bilden. Bei allen Online-Gesprächen oder Online-Seminaren sollte man sich aber immer bewusst machen, dass Körpersprache und Mimik nur sehr eingeschränkt einsetzbar sind. Es ist daher wichtig, auf Formulierungen zu achten, um nicht missverstanden zu werden.
Der inhaltliche Umfang ist nicht per se aufgrund der digitalen Lehre zu reduzieren. Es ist jedoch wichtig, den Lernstoff möglichst anschaulich aufzubereiten, damit er in einem Online-Seminar gut nachvollzogen werden kann. Durch diese Aufbereitung kann es dazu kommen, dass der Inhalt einer regulären Präsenzveranstaltung während eines Online-Semesters nicht vollständig abgebildet werden kann. Dann ist eine sinnvolle Anpassung des Umfangs natürlich einer Überladung der Online-Seminare vorzuziehen.

Wie ist damit umzugehen, wenn Studierende nicht über die notwendige technische Ausstattung verfügen, um an Online Seminaren zu partizipieren?

Bei einer fehlenden technischen Ausstattung muss auf jeden Fall geholfen werden. Am Fachbereich 4 gibt es ein paar Leih-Laptops, die bei fehlender Hardware-Ausstattung ausgeliehen werden können. Falls die Internet-Verbindung abbricht, dann sollten die Studierende zusätzliche Sprechstunden erhalten, um Fragen zum Stoff stellen zu können. Bei der Auswahl der Seminar-Plattform sollte außerdem darauf geachtet werden, dass es möglichst wenig technische Voraussetzungen (z.B. bezüglich des Betriebssystems) gibt, um keine Studierenden unbewusst auszuschließen.

Glauben Sie, dass der derzeitige Fokus auf digitale Lehre längerfristig die Art des Lehrens und Lernens verändern wird?

Ich denke, dass die Potentiale der digitalen Lehre dazu führen, dass Dozenten/-innen und Studierende auch längerfristig verschiedene Technologien sinnvoll nutzen werden. Beispielsweise können in Online-Seminaren unkompliziert Umfragen durchgeführt werden. Der zusätzliche Einsatz von Online-Tests zur Selbstkontrolle ermöglicht es den Studierenden, ihren Lernerfolg bereits im Laufe des Semesters zu überprüfen. Werden Lernmaterialien in Form von Videos bereitgestellt, dann ist ein zeitlich und örtlich flexibler Zugriff möglich, was insbesondere Studierenden mit pflegebedürftigen Angehörigen und Kindern zugutekommen kann.
In unserer Abteilung haben wir über die Online-Seminare hinaus neue digitale Lernformate erprobt und sehr erfolgreich eingesetzt. Diese werden wir auch in den kommenden Semestern nutzen. Auf der anderen Seite fehlt insbesondere bei asynchronen Veranstaltungen vielen Beteiligten die sonst übliche Möglichkeit zum direkten Austausch. Daher sollten nicht alle Veranstaltungen ungeprüft online stattfinden.

Das Interview führte Jorinde Markert, studentisches Mitglied im Redaktionsteam der Pressestelle.

 


Professorin Julia Rieck forscht und lehrt in der Abteilung „Operations Research“ am Institut für Betriebswirtschaft und Wirtschaftsinformatik und gehört zum Vorstand des Instituts