Erstmals Master Lehramt Informatik für Haupt-, Real- und Oberschulen in Niedersachsen

Monday, 16. December 2019 um 09:10 Uhr

Das Team der Lehrenden in der Informatikdidaktik wächst: Dr. Bernadette Spieler forscht und lehrt seit November 2019 an der Universität Hildesheim. Im Interview gibt die Informatikerin Einblicke in ihre Arbeit. Die Universität Hildesheim bildet als eine der wenigen Hochschulen in Niedersachsen Informatiklehrerinnen und Informatiklehrer für Haupt-, Real- und Oberschulen aus.

Informatik durchdringt alle Lebensbereiche. Ein Forschungsteam der Universität Hildesheim weist darauf hin, dass es unsere Aufgabe als Gesellschaft ist, Schülerinnen und Schülern eine  informatische Grundkompetenz zu vermitteln. Sie können lernen, algorithmische Denkweisen zu verstehen und kritisch damit umzugehen. Nicht jedes Kind muss Programmierer oder Programmiererin werden, aber alle Heranwachsenden sollten ein Verständnis dafür entwickeln, wie Algorithmen funktionieren und welche Auswirkungen Technik haben kann. Ansonsten sind sie der Technik machtlos ausgeliefert.

Im Interview gibt Dr. Bernadette Spieler Einblicke in die Ausbildung von Informatiklehrerinnen und Informatiklehrern. Die Informatikerin forscht und lehrt seit November 2019 am Institut für Mathematik und Angewandte Informatik,  leitet dort die neu gegründete Abteilung für Didaktik der Informatik und erfüllt alle Aufgaben der Professur für Didaktik der Informatik an der Universität Hildesheim. Die Wissenschaftlerin hat zuvor an der Technischen Universität Graz am Institut für Softwaretechnologie in Österreich gearbeitet.

Interview mit Dr. Bernadette Spieler

„Wir können Kindern spielerisch und kreativ informatische Grundkonzepte, wie zum Beispiel Binärcodes oder Algorithmen, vermitteln“

Frau Dr. Spieler, Sie sind selbst Informatikerin, kommen aus der Softwareentwicklung. Was fasziniert Sie am Fach Informatik?

Die Informatik erlaubt es, eigene Ideen zu entwickeln, diese kreativ umzusetzen und sich dabei vielseitiger Technologien zu bedienen. Sie bietet laufend spannende  Herausforderungen, daher gibt es in diesem Bereich immer wieder Neues zu erforschen, auszuprobieren und zu lernen. In der Informatik verschwimmen die Grenzen verschiedener Fachbereiche miteinander und neben digitalen Kompetenzen sind Unternehmen auf diverse Teams angewiesen, welche kreative Ideen und die Innovationen der Zukunft steuern. Die Jobs von morgen werden nicht nur weitreichend digital und vernetzt sein, sondern erfordern das Entwickeln von Problemlösungskompetenzen und die Fähigkeit kritisch zu hinterfragen, zu deuten und bewerten zu können. Dies bildet die Basis des Informatikunterrichts und vor allem viele Anreize für Begeisterung.

Und wie bringt man diese Begeisterung Kindern bei?

In erster Linie möchte ich meine eigene Begeisterung weitergeben und vor allem aufzeigen, wie einfach es sein kann selbst etwas zu entwickeln und seine eigenen Ideen zu verwirklichen und dass Programmieren und die Informatik nicht schwierig sein müssen. Ich möchte Jugendliche bestärken, sich mehr mit der Digitalisierung auseinanderzusetzen und ihnen neue Wege durch die Informatik eröffnen, sowie einen spielerischen Ansatz in die Welt der Programmierung vermitteln. Jugendliche und vor allem Mädchen bekommen meist nicht die Chance für die Informatik interessiert oder motiviert zu werden. Vor allem der Informatikunterricht variiert sehr von Schule zu Schule und Programmieren nimmt im Vergleich zu anderen Inhalten oft wenig Platz ein. Junge Erwachsene wissen oft nicht, was eigentlich hinter der Technik, die sie tagtäglich wie selbstverständlich nutzen, steckt. Hier ist es mir wichtig, ein umfassendes Bild der Informatik zu vermitteln und diesen Weg als ein mögliches und vor allem zukunftsträchtiges Berufsbild zu präsentieren.

Sie haben zuvor an der Technischen Universität Graz gearbeitet, sind nun von Österreich nach Hildesheim gezogen, um hier zu forschen und zu lehren. Warum haben Sie diese Entscheidung getroffen – warum Hildesheim?

Mein Ziel ist es, meine Erfahrungen und Erkenntnisse im Bereich der Informatikdidaktik und Gender&Diversität sinnvoll einsetzen zu können, um allen Jugendlichen die Chance zu geben, ihre Fähigkeiten am Arbeitsmarkt zu nutzen und sich weiterbilden zu können. Durch die Erforschung neuer Konzepte und Standards im Bereich der Informatischen Bildung, möchte ich meinen Teil zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen beitragen. Die Universität Hildesheim bietet mir hier nicht nur ein spannendes Berufsfeld, sondern gibt mir auch die Möglichkeit, die Informatikdidaktik an Schulen zu stärken und zu Verbesserungen im Bildungswesen beizutragen. Die Universität Hildesheim hat frühzeitig erkannt, wie wichtig es ist die zukünftigen Informatikleherinnen und Informatiklehrer bestmöglich auszubilden.

Womit befassen Sie sich Ihrer Forschung und Lehre? Sie haben in Projekten zu den Themen „Computer Science for all“, „Girls Coding Week“ und „Women & Technology“ gearbeitet.

Ich sehe es als meine Aufgabe, Jugendliche und vor allem junge Mädchen für die Technik zu begeistern und vorzubereiten. Ich selbst hatte das Glück, dass ich nicht nur den Rückhalt aus meiner Familie erhalten, sondern auch eine motivierte Informatiklehrerin gehabt hatte. Ich glaube, dass vor allem junge Frauen oft sehr unsicher sind, ob sie in diesen, doch noch sehr männerdominierten, Bereich passen. Wenn Frauen aber in diesem Berufsfeld nicht einbezogen werden, haben sie keine Chance eine tragende Entscheidungsrolle in der Umsetzung von Innovationen, Projekten und Forschungen einzunehmen und daher werden diese Entwicklungen weitestgehend ohne ihre Beteiligung durchgeführt. Es geht darum, Angebote öffentlich sichtbarer zu machen und ihnen die Chance zu geben, einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Gesellschaft zu leisten. Aus diesem Grund möchte ich auch gerne neue Angebote und Anreize für Frauen und Mädchen an der Universität Hildesheim eröffnen. Im Sommersemester 2020 biete ich im Master für alle Informatik- und Informatik-Lehramtsstudierenden auch ein Seminar zum Thema „Gender und Diversity-Aspekte der Informatik und Informatik-Didaktik" an.

Lehrerinnen und Lehrer für das Schulfach Informatik fehlen. Die Universität Hildesheim bildet seit 2016 Informatiklehrerinnen und Informatiklehrer für Haupt- und Realschulen aus. Neben Programmieren und Datenbanken gehören zum Beispiel Algorithmen, Datenstrukturen und Medieninformatik zum Bachelorstudium. Nun starten im Wintersemester 2019/20 die ersten Masterstudierenden in das Lehramt Informatik in Hildesheim. Was steht im ersten Masterjahr zum Beispiel auf dem Stundenplan der Studierenden?

Ich unterrichte vor allem Fächer zur Vermittlung der Informatik – vertiefende Elemente der informatischen Bildung. Neben Vorlesungen stehen auch Seminare und Übungen auf dem Lehrplan. Auf der einen Seite ist es wichtig, selbst auszuprobieren und zu experimentieren, um unterschiedliche Fähigkeiten und Talente von Schülern und Schülerinnen zu aktivieren. Auf der anderen Seite sollen die fundamentalen Ideen der Informatik vermittelt sowie die oftmals genannten „Computational Thinking Skills” angeregt werden. Folglich möchte ich unterschiedliche Tools in meine Lehre integrieren, wie die am Institut für Softwaretechnologie der TU Graz entstandene Lernapp Pocket Code (https://catrob.at/pc), aber auch kleine leistungsfähige Microcontroller wie BBC Micro:Bit, Arduino oder Raspberry Pi. Diese bieten umfangreiche Funktionen und sorgen für Spaß und Unterstützung bei der Aneignung von Programmierkenntnissen. In erster Linie steht aber nicht das Tool selbst im Vordergrund, sondern wie und welche Konzepte damit vermittelt werden sollen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist es,  die Vielfalt zu präsentieren, damit die zukünftigen Lehrenden ein umfassendes Verständnis und Repertoire erhalten, aus dem sie wählen können. Daneben stehen auch „unplugged“-Aufgaben am Lehrplan – das sind Informatik-Aktivitäten, welche ohne die tatsächliche Verwendung eines Computers auskommen. Diese vermitteln spielerisch und kreativ informatische Grundkonzepte, wie zum Beispiel Binärcodes oder Algorithmen und stellen Konzepte so greifbarer für Kinder dar.

Eine Praxisphase gehört zum Studium. Wie kombinieren die Informatikstudierenden Theorie und Praxis, wie arbeitet die Universität im Lehramtsfach Informatik mit regionalen Schulen zusammen?

Die Praxisphase der Studierenden im Master wird sich über drei Semester erstrecken: ein Vorbereitungsseminar, ein Praxisblock an den Schulen mit einem Begleitseminar an der Universität und ein Nachbearbeitungsseminar. Im jetzigen Wintersemester starte ich das Vorbereitungsseminar gemeinsam mit Herrn Stephan Kreuzkam. Er ist Informatiklehrer  an der Oberschule Bockenem und begleitet die Studierenden in der Rolle des „Lehrerbeauftragten in der Praxisphase“ kurz LiP. Wir werden auch gemeinsam das Vorbereitungsseminar an der Universität Hildesheim leiten. Hier können die Studierenden Lehrpläne und Unterrichtseinheiten entwickeln und deren Umsetzung praktisch erproben.

Sie arbeiten im Arbeitskreis Informatik. Wer ist daran beteiligt, was ist das Ziel?

Der Arbeitskreis „Schulen im Digitalen Wandel“ umfasst die Projektgruppe Medienbildung des Centrum für Lehrerbildung und Bildungsforschung (CeLeB) an der Universität Hildesheim und setzt sich zusammen aus Nicole Ude, Prof. Dr. Barbara Schmidt-Thieme, Dr. Candy Walter und Dr. Hartmut Schröder. Ziel dieses Arbeitskreises ist es, Schulen in den Anforderungen, welche der digitale Wandel mit sich bringt, bestmöglich zu unterstützen. Dafür soll der Arbeitskreis ein Forum bieten, um gemeinsam über Bedarfe, Anforderungen, bildungspolitische Vorgaben, Kompetenzmodelle, Materialien, Medien und vieles mehr zu informieren, auszutauschen und zu diskutieren. Direkt an den Schulen oder an der Universität Hildesheim werden dafür monatlich Veranstaltungen durchgeführt, welche Good-practice Beispiele, Erfahrungen und auch Fortbildungen bereitstellen. Gerade habe ich Einblicke in „Spielerische Aktivitäten mit Smartphones im Schulkontext“ gegeben.

Woher kommen denn die gut ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrer für Informatik an Schulen? Wie wird das Thema an den Universitäten bearbeitet?

Ich habe speziell in Österreich die Erfahrungen gemacht, dass leider zu wenige gut ausgebildete Informatiklehrerinnen und Informatiklehrer an den Schulen vorhanden sind. Informatik wird zwar an vielen Neuen Mittelschulen (ehem. Hauptschulen) schulautonom unterrichtet, es fehlt aber an einer fundierten flächendeckenden Aus- oder Weiterbildung für Lehrerinnen und Lehrer. Was dies für die Qualität des Unterrichts bedeutet kann man sich leicht vorstellen. Viele Informatiklehrende haben in Österreich keine grundlegende Informatikausbildung durchlebt, sondern ihre Kenntnisse durch Weiterbildungsangeboten in ihrem eigenen Ermessen erworben. Leider sind viele Lehrkräfte mit der Thematik „Neue Medien“ und deren Auswirkungen überfordert. Es fehlt ihnen in diesem sich rasant entwickelnden Gebiet an allgemeinem, technischem und rechtlichtem Wissen. Daher müssen attraktive Fortbildungsmaßnahmen für bestehende Lehrerinnen und Lehrer entwickelt und angeboten, sowie zukünftige Informatiklehrende bestmöglich vorbereitet werden.

Die Digitalisierung dringt in alle Lebensbereiche ein, in Politik, Wirtschaft, Kultur. Gesellschaftlich wird viel über den Einsatz von Technologie, über soziale Netzwerke, die den Nährboden für Hasskommentare bilden, diskutiert. Wie gehen Informatiklehrerinnen und Informatiklehrer mit den Auswirkungen der Technologie auf die Gesellschaft um? Sind auch ethische Fragen Teil des Studiums?

Der kompetente und aufgeklärte Umgang mit Medien ist eine grundlegende Voraussetzung, um erfolgreich an der Wissensgesellschaft teilnehmen zu können. Die Digitalisierung ist ein nicht aufzuhaltender Prozess. Für Informatiklehrerinnen und Informatiklehrer ist es daher wichtig, junge Menschen mit dem Grundwerkzeug auszustatten, sich in einer immer vernetzen und digitale Welt zurecht zu finden. Im Masterstudium finden die angehenden Informatiklehrer und Informatiklehrerinnen daher auch das Fach „Informatik und Gesellschaft“, in welchem ethische, gesellschaftspolitische und rechtliche Implikationen verschiedener Bereiche und Anwendungen der Informatik analysiert werden, insbesondere im Hinblick auf ihre berufliche Verantwortung als zukünftige Lehrenden.

Die Fragen stellte Isa Lange.

Kurz erklärt:

Lehramtsfach Informatik in Hildesheim: Programmieren, Datenstrukturen und Robotik auf dem Stundenplan

Die Niedersächsische Landesregierung hat 2015 beschlossen, das Fach Informatik künftig auch an Hauptschulen und Realschulen einzuführen und seit dem Studienjahr 2016/17 die Universitäten Hildesheim und Oldenburg beauftragt, das Lehramt Informatik an Haupt- und Realschulen in Niedersachsen einzurichten. Die Universität Hildesheim bietet das Lehramtsfach Informatik seit 2016 nicht nur für Studienanfängerinnen und Studienanfänger an, sondern auch als vollwertiges Drittfach für ausgebildete Lehrkräfte. 

Die ersten Bachelorstudierenden haben ihr Studium im Sommersemester 2019 abgeschlossen, die ersten Masterstudierenden im Lehramt Informatik bildet die Universität Hildesheim seit dem Wintersemester 2019/20 aus.

Insgesamt 42 Lehramtsstudierende im Fach Informatik bildet die Universität Hildesheim im Bachelor und Masterstudium im Wintersemester 2019/20 aus. „Wir wünschen uns, dass sich noch mehre junge Menschen für das Lehramtsfach Informatik entscheiden“, sagt Professor Klaus-Jürgen Förster.

Neben Programmieren und Datenbanken gehören auch Algorithmen und Datenstrukturen, Medieninformatik und Systemadministration zum Studium in Hildesheim. Die Lehramtsstudierenden wählen Schwerpunkte wie Maschinelles Lernen, Softwareentwicklung, Robotik oder Wirtschaftsinformatik. Sie kombinieren die Theorie mit der Praxis und sind schon im ersten Studienjahr an Partnerschulen. Weitere fachdidaktische Praxisphasen folgen im Verlauf des Studiums.

Die Lehramtsstudierenden besuchen Vorlesungen und Seminare zum Teil gemeinsam mit den etwa 800 IT-Studierenden aus den IT-Studiengängen „Angewandten Informatik“, „Informationsmanagement und Informationstechnologie“, „Wirtschaftsinformatik“ und „Data Analytics“ und sind damit nah dran an den aktuellen fachwissenschaftlichen Themen. Hinzu kommen Lehrveranstaltungen in den Bereichen Didaktik, Erziehungswissenschaft und Psychologie sowie Schulpraktika.

Die Studierenden befassen sich im Studium mit Grundlagen der Informatik: Wie werden Informationen als Daten repräsentiert und verarbeitet, wie steuern Algorithmen Prozesse? Welche Programmierbefehle braucht ein Roboter, um sich im Raum zu bewegen? Wie funktionieren Programmiersprachen? Wie geht man verantwortungsvoll mit Daten um? Welche Auswirkungen haben Informations- und Kommunikationssysteme auf den Alltag und die Gesellschaft?


Informatikerin Bernadette Spieler. Barbara Schmidt-Thieme, Leiterin des Centrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung, Bernadette Spieler und Universitätspräsident Wolfgang-Uwe Friedrich. Fotos: Renate Trummer (Porträt), Isa Lange