„Wir müssen einen weiten Weg gehen", sagt Prof. Dr. Beatrix Kreß. „Herkunftssprachen von Kindern spielen in der Schule, in Bildungseinrichtungen kaum eine Rolle, das setzt sich in der Hochschule fort. Sie werden zu wenig als Ressource genutzt und oft als Störfaktor verstanden."
Dabei erfolgt Bildung in erster Linie über das Medium Sprache, Lerngruppen sind zunehmend mehrsprachig. „Dies betrifft alle Stufen der Bildung vom Kindergarten bis zur Ausbildung und setzt sich in der beruflichen Praxis fort. Migrationsbewegungen und die gezielte Internationalisierung der Hochschulen durch verschiedene Austauschprogramme führen zu unterschiedlichen Formen des Sprachkontaktes“, sagt Beatrix Kreß. Sie untersucht derzeit etwa, welche Zusammenhänge zwischen Herkunftssprachen und Identitätsentwicklung bei Kindern mit Migrationshintergrund bestehen. Ein Team aus Sprachwissenschaftlern hat an der Universität Hildesheim den Studiengang Deutsch als Zweitsprache/Deutsch als Fremdsprache entwickelt, der zum Wintersemester gestartet ist und etwa Multiplikatoren für die Lehrerfortbildung und Sprachförderung ausbildet.
In Seminaren greift Beatrix Kreß auf die Sprachen der Studierenden zurück, etwa wenn Deutsch als Fremdsprache auf dem Programm steht. Was ist für jemanden, der Türkisch oder Russisch als erste Sprache gelernt hat, beim Erwerb der deutschen Sprache besonders schwierig, was sind gute Brücken? „Ich habe die sprachlichen Ressourcen quasi direkt vor Ort, kann meine mehrsprachigen Studierenden in das Seminar einbinden. Auch junge Leute, die nur Deutsch sprechen, profitieren von der Sprachenvielfalt auf dem Campus."
Die Sprachwissenschaftlerin bringt dabei nicht nur Studierende zusammen, die sich sowieso mit Sprache und interkultureller Kommunikation befassen. Kürzlich haben angehende Wirtschaftsinformatiker teilweise erstmals tiefergehend darüber nachgedacht, wie sie eigentlich zu ihrer russischen Muttersprache stehen. „Ein Student erzählte, dass er 'in der U-Bahn nie mit seiner Mutter Russisch sprechen würde, zu Hause aber schon'. Da wurde deutlich, wie Sprachen auch auf verschiedene Themen und Orte verteilt werden. Wenn man sich über Fussball unterhält, spricht man eher Türkisch, wenn die Tochter ihen Eltern von der BWL-Vorlesung erzählt – dann in deutscher Sprache", berichtet Kreß.
Wenn mehrere Sprachen in der Uni existieren – ist dann Englisch der Ausweg? Kreß, die sich auch mit der Sprachenvielfalt in Europa befasst (Interview fluter), sagt: „Die Sprachenpolitik der EU sieht die Vielfalt sehr positiv. In der Wissenschaftsrealität sieht das gelegentlich anders aus. Oft steht das Englische im Fokus. Sprachen können so ihr wissenschaftssprachliches Instrumentarium verlieren." Sie nennt ein Beispiel aus der Linguistik, ob Konversations-, Diskurs- oder Gesprächsanalyse – hinter diesen Termini stecken ganze Traditionen, die nicht mit einem Begriff übersetzt werden können. Ein nicht sachgemäßer Transfer kann da verkürzend oder gar verfälschend wirken.
Am 11. November um 18:15 Uhr spricht Doris Fetscher über Nähe und Distanz und „Unsicherheiten in der deutsch-spanischen interkulturellen Kommunikationen in der Hochschule". Der Vortrag am Bühler-Campus ist Teil der Vorlesungsreihe „Mehrsprachigkeit, Sprachkontakt und Bildungsbiografie". Wie im Dorf bei der Oma, darum dreht sich der Vortrag am 25. November von Marion Krause. Am 9. Dezember spricht Elke Montanari, Professorin für Deutsch als Zweitsprache an der Universität Hildesheim, über „Sprachbedarfe erwachsener Lerner".