Prof. Dr. Ekaterina Lapshinova-Koltunski ist neue Professorin für mehrsprachige technische Fachkommunikation

Monday, 21. November 2022 um 10:35 Uhr

Prof. Dr. Ekaterina Lapshinova-Koltunski untersucht in ihren Forschungsprojekten den Einfluss verschiedener Faktoren auf kommunikative und translatorische Prozesse. So bedingen etwa der Situationskontext, die Art der Informationsübermittlung und die verwendete Sprache die Wahl der jeweiligen Übersetzung. In der Computerlinguistik werden solche Bedingungen modelliert und geben Auskunft darüber, ob Übersetzungen angemessen sind oder nicht.

Die englische Phrase „for a change“ kann im Deutschen mit „für Veränderung“, „zur Veränderung“, „auf den Wandel“ oder auch „zur Abwechslung“ übersetzt werden. „Die Wahl des richtigen Äquivalenten hängt von dem Kontext ab, in welchem die Phrase stattgefunden hat. Nur wenn wir den Kontext und die Voraussetzungen kennen, können wir auch eine angemessene Übersetzung wählen“, sagt Professorin Ekaterina Lapshinova-Koltunski. „Solche Kontexte können beispielsweise eine Situation zuhause oder beim Arzt sein. Es kommt auch darauf an, ob die Kommunikation schriftlich oder mündlich erfolgt. Die verwendeten Sprachen spielen ebenfalls eine Rolle, beispielsweise wenn zwischen Sprachen vermittelt wird, die nicht eng miteinander verwandt sind.“

Aus Sammlungen von Translationen können Sprachmodelle gebaut werden, die bestimmte Verhältnisse modellieren. „Wenn wir viele Übersetzungen aus einem Bereich haben, können wir versuchen, ein Sprachmodell zu diesem Kontext zu bauen. Man kann dieses mit Modellen vergleichen, die anhand von anderen kontextuellen Bedingungen kreiert wurden.“ Ob eine Phrase dann in einem spezifischen Zusammenhang angemessen ist, kann mithilfe verschiedener Methoden überprüft werden. Eine davon ist die Analyse des aus der Informationstheorie stammenden Überraschungswertes. Dieser Wert zeigt an, wie wahrscheinlich ein Wort oder Ausdruck in einem Kontext ist. „Kommunikatoren tendieren dazu, Worte mit nicht so hohen Überraschungswerten zu verwenden. Die Phrasen, die höhere Werte haben, können sowohl bei den Produzentinnen und Produzenten als auch bei den Empfängerinnen und Empfängern eine hohe kognitive Belastung verursachen.“ Mit dem Sprachmodell kann überprüft werden, ob die Wortwahl innerhalb eines Kontextes - also beispielsweise in einer Situation am Küchentisch mit Familienmitgliedern - überraschend oder nicht überraschend und damit passend oder weniger passend ist.

In ihrem aktuellen Forschungsprojekt „Projekt B7 Übersetzung als rationale Kommunikation“ in Kooperation mit Prof. Dr. Elke Teich von der Universität des Saarlandes untersucht die Professorin Unterschiede zwischen mündlicher und schriftlicher Übersetzung anhand von Reden aus dem europäischen Parlament. Die Reden von Abgeordneten werden zum einen von Dolmetscherinnen und Dolmetschern vor Ort zeitgleich gedolmetscht sowie zum anderen schriftlich dokumentiert und übersetzt. „Zwischen Dolmetschen und Übersetzen gibt es große Unterschiede, weil der Übertragungsprozess ganz anders ist. Beim Dolmetschen besteht eine sehr hohe kognitive Belastung: Es geht ins Ohr rein und man muss sofort etwas produzieren. Einerseits hat man Zeitdruck und andererseits ist es eine kognitiv sehr anspruchsvolle Tätigkeit. Deshalb verwenden Dolmetscher*innen andere Wortausdrücke“, sagt sie. „Sie tendieren dazu kürzere Sätze, kürzere Phrasen und auch kürzere Wörter zu verwenden. Man sieht es deutlich: Wenn man die Verdolmetschung und die Übersetzung von derselben Rede vergleicht, ist die Wortwahl tatsächlich ganz anders“, fasst die Professorin zusammen.

Stationen in Wissenschaft und Praxis

Ekaterina Lapshinova-Koltunski hat von 1997-2002 an der staatlichen Universität Wolgograd in Russland „Übersetzen und interkulturelle Kommunikation“ studiert. Daraufhin folgte ein dreijähriges Aufbaustudium in Göttingen, Deutschland in dem Bereich „linguistische Datenverarbeitung“. „Ich war nicht unbedingt daran interessiert, Anwendungen zu entwickeln, sondern eher daran informatische Methoden zu verwenden, um Auskünfte über die Sprache zu erlangen und sie zu erforschen. Durch die Computerlinguistik kam ich an die Schnittstelle von Sprachwissenschaft, Übersetzungswissenschaft und Informatik.“ So promovierte sie schließlich im Jahr 2011 an der Universität Stuttgart zu dem Thema „Deutsche satzeinbettende Prädikate: ein Extraktions- und Klassifikationsansatz“. Nach ihrer Promotion war sie von 2011-2017 als Post-Doktorandin an der Universität des Saarlandes tätig. 2016 habilitierte sie im Bereich Linguistik, Übersetzungswissenschaft und Korpuslinguistik und war anschließend als akademische Oberrätin von 2017-2022 am Institut für Sprachwissenschaft und Technologie beschäftigt. Dort begann auch die Arbeit an dem Forschungsprojekt „Projekt B7 Übersetzung als rationale Kommunikation“. Erste Kontaktpunkte mit der Universität Hildesheim hatte Lapshinova-Koltunski bereits 2020-2021 im Rahmen einer Vertretungs- sowie anschließenden Gastprofessur. Seit Oktober 2022 forscht und lehrt sie als Professorin für mehrsprachige technische Fachkommunikation der Sprachen Englisch und Deutsch in Hildesheim.


Prof. Dr. Lapshinova-Koltunski ist mit Wirkung vom 01.10.2022 zur Professorin für mehrsprachige technische Fachkommunikation (Englisch-Deutsch) an der Universität Hildesheim ernannt worden. Foto: privat