Bildungswege von Flüchtlingen: Was können Unis tun?

Tuesday, 28. April 2015 um 17:00 Uhr

Um Flüchtlinge auf ihren Bildungswegen zu unterstützen, könnten Studierende „von Mensch zu Mensch" helfen, sagt die Niedersächsische Landesbeauftragte für Migration und Teilhabe, Doris Schröder-Köpf. Eine besondere Rolle komme dabei dem Spracherwerb und den Künsten zu. Am Rande einer Konferenz über das Recht auf Bildung an der Universität Hildesheim sprach Isa Lange mit der Migrationsbeauftragten.

Wenn wir über Bildungswege von Flüchtlingen sprechen, was erhoffen Sie sich von Universitäten? Welche Rolle spielen die Hochschulen, was beobachten Sie in Niedersachsen?

Doris Schröder-Köpf: Es gibt einige sehr schöne Initiativen, wie Universitäten sich öffnen für Flüchtlinge, um ihnen aus der Perspektiv- und Betätigungslosigkeit rauszuhelfen, etwa in Lüneburg. Das ist ein erster Weg, dass sich die Studierenden selber bemühen, um junge Leute, die in Herkunftsländern schon ein Studium aufgenommen haben, und die das aufgrund ihrer Lage erstmal nicht weitermachen können.

Was können Studierende tun?

Durchaus auch von Mensch zu Mensch helfen, einzelne ansprechen. Wo sind Menschen mit Fluchterfahrung, die weitermachen möchten, wie können wir ihnen Teilnahme an Kursen an der Uni ermöglichen? Sie können zum Beispiel beim Deutschlernen helfen.

An der Hildesheimer Universität begleiten seit Sommersemester im „Schnupperstudium" einige Lehrende und Studierende junge Erwachsene mit Fluchterfahrung, zeigen den Campus, beraten bei der Suche nach Seminaren. Einige Studenten haben Tandems gebildet, um mit den Flüchtlingen auch an der Alltagssprache zu arbeiten, was man in üblichen Sprachkursen nicht lernt. In Seminaren hat man es dann aber mit Fachsprache zu tun...

Natürlich ist die fachspezifische Frage eine große Herausforderung. Ich habe das selber kennengelernt, habe in den Vereinigten Staaten gelebt. Als ich dort schwanger wurde und ein Kind bekommen habe und Kinderarztbesuche machen musste, hat mir das Vokabular für Kinderkrankheiten völlig gefehlt. Wie viel schwieriger muss es sein, wenn man Physik, Chemie oder vergleichende Literaturwissenschaft studiert und es fehlt einem das Vokabular für genau diesen Bereich? Da reicht nicht mehr der Wortschatz, um Brötchen einzukaufen und sich mit Nachbarn unterhalten zu können. Das ist eine große Herausforderung – vor der stehen wir in Niedersachsen auch in den Gymnasien. Es gibt jetzt einige Gymnasien, an denen Sprachlernklassen eingerichtet wurden. Früher war das mehr an Hauptschulen, Gesamtschulen. Die Lehrer an den gymnasialen Sprachlernklassen sagen, es ist wahnsinnig schwierig, dass Fachvokabular für Kunstunterricht genau so drauf zu haben wie für Mathematik. Das ist eine große, große Herausforderung. Wenn es gelingt, profitieren wir alle davon.

Wer sollte dabei mitwirken?

Wir haben viel zu tun, alle. Das schafft die Politik alleine nicht. Da können alle Studierenden mithelfen.

Sie sprechen die Studierenden an – an der Universität Hildesheim arbeiten einige im Theater und in den szenischen Künsten mit Flüchtlingen zusammen (etwa die Gruppe Voll:milch oder das Türkisch-Deutsche Theater). Im musikalischen Bereich befassen sich Forscher und angehende Lehrerinnen und Lehrer am Center for World Music mit kultureller Vielfalt. Ist das auch ein Weg, sich künstlerisch zu begegnen?

Ich glaube sogar, dass künstlerische Ausdrucksformen ganz besonders geeignet sind, um Menschen, die Flucht, Vertreibung und viele Gräuel erlebt haben, sozusagen das Leben zu erleichtern und einen Zugang zu einer neuen Gemeinschaft zu finden. Das geht von Ausdruckstanz bis zur Malerei. Es gibt inzwischen auch einige fotografische Projekte mit Flüchtlingen. Diese künstlerischen Ausdrucksformen sind glaube ich besonders gut, weil sie an die Seele gehen und man nicht viele Worte braucht.

Vielen Dank für das Gespräch.

Über die Konferenz: Recht auf Bildung

An der Universität Hildesheim diskutierten am 23. und 24. April 2015 Fachleute über das Menschenrecht auf Bildung und seine Umsetzung in Deutschland sowie über den Bildungserfolg von Kindern in der Migrationsgesellschaft, der auch vom Rechtsstatus abhängt. Etwa 160 Fachleute aus Wissenschaft und Praxis nahmen teil, darunter Studierende, Flüchtlinge und zivilgesellschaftlich Aktive aus Bremen, Hildesheim, Hannover und Berlin sowie die Landesbeauftragte für Migration und Teilhabe des Landes Niedersachsen. Es sei dringend notwendig, „konsequent weiter an der Herstellung von Chancengleichheit in der deutschen Migrationsgesellschaft zu arbeiten", sagt die Erziehungswissenschaftlerin Prof. Viola Georgi (mehr im Interview, Mediendienst Integration). Organisiert wurde die Konferenz vom „Zentrum für Bildungsintegration – Diversity und Demokratie in Migrationsgesellschaften" und dem Institut für Sozial- und Organisationspädagogik der Universität Hildesheim in Kooperation mit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und dem Deutschen Institut für Menschenrechte. Am Zentrum für Bildungsintegration arbeiten mehrere Wissenschaftler im Schwerpunkt „Bildungsteilhabe von Flüchtlingen" zusammen. Wie Kinder und Erwachsene die deutsche Sprache als zweite Sprache erlernen, etwa in Sprachlernklassen und Integrationskursen, untersucht ein Team um Elke Montanari, Professorin für Deutsch als Zweitsprache an der Universität Hildesheim. Gerade haben sich junge Menschen, die erst seit etwa zwei Jahren in Deutschland leben, zusammen mit Lehramtsstudierenden und Studierenden des Masterstudiengangs DaZ/DaF auf das Deutsche Sprachdiplom vorbereitet. Dabei arbeitet die Uni mit der berufsbildenden Walter-Gropius-Schule und dem Niedersächsischen Landesinstitut für Qualitätsentwicklung zusammen. Als Ergebnis für die mündlichen Prüfungen haben alle Lerner in den mündlichen Prüfungen ein „bestanden“ erreicht, und zwar auf den Niveaustufen B1 und A2.

Einen Nachbericht zur Konferenz lesen Sie auf der Internetseite www.uni-hildesheim.de zum Wochenende.

Medienkontakt: Pressestelle der Universität Hildesheim (Isa Lange, presse@uni-hildesheim.de, 05121.883-90100)


An der Universität Hildesheim können Flüchtlinge seit dem Sommersemester an Seminaren und Vorlesungen teilnehmen, dabei werden sie von Lehrenden und Studierenden begleitet. Moussa besucht nun Umwelt- und Politikseminare, er hat zuvor in Sudan Politik studiert. „Jeden Tag ein bisschen Deutsch", sagt der junge Mann und zeigt auf seine Lernmaterialien. Am Vormittag geht er zum Sprachkurs, am Nachmittag zur Uni. Universitäten können Perspektiven eröffnen, sagt die Niedersächsische Migrationsbeauftragte Doris Schröder-Köpf. Darüber sprach sie Ende April auf einer Konferenz am Zentrum für Bildungsintegration der Uni Hildesheim. Fotos: Isa Lange (2), Chris Gossmann (1)

An der Universität Hildesheim können Flüchtlinge seit dem Sommersemester an Seminaren teilnehmen. Moussa besucht nun Umwelt- und Politikseminare, er hat zuvor in Sudan Politik studiert. „Jeden Tag ein bisschen Deutsch", sagt der junge Mann und zeigt auf seine Lernmaterialien. Am Vormittag geht er zum Sprachkurs, dann zur Uni. Universitäten können Perspektiven eröffnen, sagt die Niedersächsische Migrationsbeauftragte Doris Schröder-Köpf. Darüber sprach sie auf einer Konferenz in Hildesheim. Fotos: Isa Lange (2), Chris Gossmann (1)