Barrierefreie Kommunikation studieren - ein Interview mit zwei Absolventinnen

Tuesday, 06. September 2022 um 12:26 Uhr

Die Absolventinnen Anzhela Maßmeyer und Lena König erzählen im Interview von ihrem Studium an der Universität Hildesheim. Sie betonen, wie wichtig Barrierefreie Kommunikation für die Gesamtgesellschaft ist. Studieninteressierte können sich noch bis zum 9. September für das Wintersemester bewerben.

Was lernen Studierende im Masterstudiengang „Barrierefreie Kommunikation“?

Anzhela Maßmeyer: Studierende lernen, verschiedene Inhalte zugänglich zu machen. So können Menschen, die Informationen in Standardsprache nicht verstehen, auch teilhaben.

Was bedeutet barrierefreie Kommunikation? Warum ist sie so wichtig?

Lena König: Es heißt, Kommunikation für alle zu ermöglichen, ohne dabei Menschen mit besonderen kommunikativen Bedürfnissen zu exkludieren. Das ist wichtig, damit alle Menschen am sozialen und kulturellen Leben sowie an der Gemeinschaft teilhaben können.

Anzhela Maßmeyer: Eine Kommunikation ohne Hindernisse beschreibt Verständigung, die auf Empfänger- sowie Senderseite gelingt, sodass die Informationen, die gesendet werden, auch rezipiert werden. Sind die Informationen für Empfänger unzugänglich, misslingt die Kommunikation. Dies hat beispielsweise zur Folge, dass Menschen mit Behinderungen nicht am Leben in der Gesellschaft teilhaben können. Die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ist der zentrale Grundsatz der UN-Behindertenrechtskonvention und des neunten Sozialgesetzbuches. Vor diesem Hintergrund ist die Barrierefreie Kommunikation für Menschen mit Behinderungen unentbehrlich. Sie ist, auch im rechtlichen Sinne, ein Muss und kein Kann.

Welche Kommunikationsbarrieren gibt es und für wen?

Lena König: Es gibt verschiedene Barrieretypen, abhängig von den Beeinträchtigungen, die Menschen haben. Zum Beispiel gibt es eine Fachsprachenbarriere insbesondere bei juristischen oder medizinischen Texten. Diese sind oft so fachsprachlich gehalten, dass sie eine große Zielgruppe gar nicht erreichen.

Anzhela Maßmeyer: Kommunikationsbarrieren gibt es auch für Menschen mit kognitiven oder sensorischen Beeinträchtigungen oder für Menschen mit geringen Deutschkenntnissen. Für Menschen mit geringen Deutschkenntnissen stellt die deutsche Standardsprache eine Sprachbarriere dar. Für Menschen mit geistiger Behinderung können kognitive Barrieren bestehen. Beispielsweise können komplexe Inhalte auf der Ebene des Verstehens überfordern, sodass die gesendeten Informationen nicht verarbeitet werden können. Sinnesbarrieren können für Menschen mit Hör- oder Sehbeeinträchtigungen bestehen, zum Beispiel wenn Informationen nicht in deutscher Gebärdensprache oder Großschrift vorliegen.

Wie können solche Barrieren überwunden werden?

Anzhela Maßmeyer: Für Menschen mit geringen Deutschkenntnissen und Menschen mit einer geistigen Behinderung kann Leichte Sprache dabei helfen, die oben genannten Kommunikationsbarrieren zu überwinden. Für Menschen mit Sehbeeinträchtigungen können Inhalte durch Audiodeskription oder additive Technologien wie Screenreader und Vergrößerungssoftware zugänglich gemacht werden. Für Menschen mit Hörbeeinträchtigungen kann Untertitelung oder die Kommunikation in der deutschen Gebärdensprache eine Lösung sein. Für prälingual Hörgeschädigte ist ebenfalls die Leichte Sprache eine Möglichkeit der Teilhabe. Ihre Muttersprache ist die Deutsche Gebärdensprache, die ganz andere grammatikalische Strukturen aufweist als die deutsche Standardsprache, sodass der Zugriff auf Standardtexte für sie schwierig sein kann. Auch für Menschen mit geringen Deutschkenntnissen eignet sich die Leichte Sprache, insbesondere wenn sie in ihrer Heimat wenig Bildung erhalten haben oder beispielsweise an Alphabetisierungskursen teilnehmen.

Was ist der Unterschied zwischen Leichter und Einfacher Sprache?

Lena König: Auf einem Kontinuum von leicht zu schwer verständlich gibt es Leichte Sprache, Leichte Sprache Plus und Einfache Sprache. Kognitive Barrieren können häufig mittels Leichter Sprache überwunden werden. Für sie gibt es ein festes Regelwerk. Beispielsweise darf je Zeile nur ein Satz stehen und dieser darf immer nur eine Information enthalten. Auch werden zusammengesetzte Wörter mit sogenannten Medio-Punkten vereinfacht, der Genetiv wird nicht verwendet und Verneinungen werden vermieden oder gefettet. Das sind ein paar der Regeln, an denen wir uns bei der Übersetzung orientieren.

Anzhela Maßmeyer: Zur Kommunikation mit Menschen mit einer geistigen Behinderung eignet sich meistens die Leichte Sprache. Sie eignet sich zudem für die Kommunikation mit Menschen mit Lernschwierigkeiten, mit Demenz oder mit Aphasie. Viele Menschen nutzen die Leichte Sprache zur besseren Verständlichkeit, auch wenn sie nicht darauf angewiesen sind. Die Einfache Sprache ist oft zur Verständigung mit Migrant*innen geeignet, die in ihrem Spracherwerb fortgeschritten sind. Zum Einsatz kommt die Einfache Sprache häufig auch im rechtlichen Bereich, um Informationen für fachfremde Personen verständlicher zu machen.

Wie ist das Studium der Barrierefreien Kommunikation aufgebaut?

Anzhela Maßmeyer: Der Studiengang ist modular aufgebaut und hat zehn Module. Es gibt Module zur Leichten Sprache, zur Unterstützten Kommunikation, zu Techniken für Hör- und Sehgeschädigte, zur Rechtskommunikation und zum barrierefreien Web. Ein Praxismodul gegen Ende kann mit praktischen Erfahrungen oder Forschungstätigkeiten absolviert werden.

Lena König: In meinem Studium habe ich zum Beispiel Audioguides nach ihrer Eignung für blinde Personen beurteilt und überprüft, was sie beinhalten müssten, damit eine blinde Person eine Museums- oder Stadtführung erleben kann. 

Anzhela Maßmeyer: Studierende, die schon im Berufsleben stehen, können sich häufig ihre praktischen Erfahrungen anrechnen lassen. In Teilzeit studieren ist möglich, was auch viele tun. Die Veranstaltungen sind so auf die Woche verteilt, dass Teilzeitstudierende nur zwei Tage in der Woche zur Uni kommen müssen.

Welche inhaltlichen Schwerpunkte hat das Studium?

Anzhela Maßmeyer: Studierende lernen das Übersetzen in Leichte Sprache, Deutsche Gebärdensprache, die Unter- und Übertitelung, Audiodeskription sowie rechtliche Aspekte in Bezug auf barrierefreie Kommunikation.

Lena König: Studierende können ihre Schwerpunkte selbst setzen. Zudem gibt es Veranstaltungen für alle, wie beispielsweise zu rechtlichen Grundlagen.

Was gefiel dir besonders gut an deinem Studium?

Lena König: Die Hierarchien sind sehr flach und es gibt eine persönliche Betreuung. Die Inhalte sind interessant und werden von den Dozierenden sehr gut aufbereitet. Es macht Spaß.

Warum hast du dich für das Studium der barrierefreien Kommunikation entschieden?

Lena König: Ich habe an der Uni Internationale Kommunikation und Übersetzen studiert, war auf dem Masterinformationstag und fand, dass der Studiengang sehr interessant klang. Dann habe ich ein Praktikum in der Forschungsstelle Leichte Sprache gemacht, mich in ein paar Veranstaltungen gesetzt und war begeistert.

Anzhela Maßmeyer: Ich weiß aus praktischer Sicht, wie wichtig barrierefreie Kommunikation ist, weil ich in der Eingliederungshilfe arbeite, sprich mit Menschen mit Behinderungen. Früher war ich mehrere Jahre in der Altenpflege, in der Psychiatrie und als Dozentin für Deutsch als Fremdsprache tätig. Ende 2019 organisierte ich eine Fortbildung in Leichter Sprache für Mitarbeitende im Niedersächsischen Landesamt für Soziales, Jugend und Familie. Beim Recherchieren bin ich auf den Studiengang in Hildesheim gestoßen. Da ich bereits zwei Studienabschlüsse an der Universität Hildesheim erworben habe, unter anderem den Bachelor Internationale Kommunikation und Übersetzen, auf den das Studium der Barrierefreien Kommunikation aufsetzt, fiel die Entscheidung leicht und schnell. Ich möchte mit meinem Wissen noch mehr Menschen mit Behinderungen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen. Insofern passte das Studium in allen Aspekten für mich.

In welchem Arbeitsbereich bist du heute?

Lena König: Schon während meines Studiums habe ich angefangen bei der Forschungsstelle Leichte Sprache zu arbeiten und zum Beispiel Texte der Apothekenumschau in Leichte Sprache oder Leichte Sprache Plus zu übersetzen. Zurzeit sind wir dabei, die Module des Studiengangs barriereärmer zu gestalten und einen Leitfaden zu entwickeln, mit dem Lehre im Allgemeinen barriereärmer gestaltet werden kann. Beispielsweise gestalten wir PowerPoint-Präsentationen so, dass sie für blinde Studierende zugänglich sind und formulieren Alternativtexte für Bilder.

Anzhela Maßmeyer: Ich arbeite derzeit als Sozialpädagogin in der Eingliederungshilfe im Niedersächsischen Landesamt für Soziales, Jugend und Familie. In meiner pädagogischen Tätigkeit bin ich z.B. für die Fachberatung sowie die Schulungen der Niedersächsischen Kommunen in Fragen des Gesamt- und Teilhabeplanverfahrens zuständig. Dieses Verfahren ist sehr komplex und birgt einige Kommunikationsbarrieren für Menschen mit Behinderungen. Insofern wäre mein großer Wunsch, das Gesamt- und Teilhabeplanverfahren für Menschen mit Behinderungen zugänglich zu machen.

Im Niedersächsischen Landesamt für Soziales, Jugend und Familie hatte ich bisher keine Berührungspunkte mit Leichter Sprache. Allerdings durfte ich mein Wissen zum Thema Barrierefreie Kommunikation im Rahmen meiner Abordnung zum Niedersächsischen Sozialministerium im Sommer 2021 einsetzen. So habe ich die Impfkampagne in Leichte Sprache übersetzt und die Texte in Einfacher Sprache zur Impfkampagne für das Dolmetschen in die Deutsche Gebärdensprache verfasst. Beides ist auf der Seite des Niedersächsischen Sozialministeriums veröffentlicht. Inzwischen wurde meine Ursprungsversion aufgrund der dazu gekommenen aktuellen Verordnungen teilweise geändert bzw. ergänzt. Es ist eben ein laufender Prozess.

Für welche Bereiche qualifizieren sich Absolvent*innen des Studiengangs?

Anzhela Maßmeyer: Absolvent*innen stehen vielfältige Arbeitsmöglichkeiten offen, beispielsweise im rechtlichen oder medizinischen Kontext. Der komplette öffentliche Dienst ist auf Fachleute mit Kenntnissen zur barrierefreien Kommunikation angewiesen. Rechtlich müssen die Informationen für alle zugänglich sein, genauso im medizinischen Bereich. Nach dem Abschluss kann man mit Menschen mit Behinderungen zusammenarbeiten und natürlich ist bei diesem Abschluss auch der Grundstein in die Selbstständigkeit gelegt. Schriftdolmetschen oder die Übersetzung in die Deutsche Gebärdensprache wird zum Beispiel häufig für Konferenzen angefragt.

Lena König: Möglich ist es auch, als Berater*in für Barrierefreiheit zu arbeiten und Workshops für Behörden und die Verwaltung anzubieten. Einige Absolvent*innen arbeiten bei der Initiative „Barrierefrei Posten“ und zeigen, wie Posts verfasst werden sollten, um sie für alle zugänglich zu machen. Einige sind auch in Museen tätig. Es gibt viele Möglichkeiten.

Die Fragen stellte Mara Schrey

Informationen zur Coronapandemie in Leichter Sprache

Aus einem gemeinschaftlichen studentischen Projekt ging eine Internetseite in Leichter Sprache zum Corona-Virus hervor. Veröffentlicht wurde sie unter anderem von mehreren niedersächsischen Ministerien. An dem Projekt wirkten mit: Mihail Danilov, Julia Debelts, Anzhela Maßmeyer, Christiane Mühl und Anna-Lena Stein.


Anzhela Maßmeyer. Absolventin des Masters Barrierefreie Kommunikation. Foto: Cityfoto Hildesheim.