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Vorlagengeber für europäische Entscheidungen: Deutsche Kommissare in Brüssel von 1958 bis zur Gegenwart

I. Vorbemerkung

 

Von der Montanunion bis zu den Krisen der EU waren Europas Einigungsschritte wiederholt Produkte von Entscheidungsdruck und Krisen. „Gründervater“ Monnet nannte sie „die großen Einiger“. Waren die externen Krisen förderlicher als die innergemeinschaftlichen, die Gemeinschaft und später die Union konnten diese häufig als Chancen nutzen: Schulterschluss mit dem Westen im Kalten Krieg mit der Sowjetunion, Konzentration auf die Formierung der Kräfte am Kontinent im Zeichen der Entkolonisierung, Fortschreiten der ökonomischen anstatt der politisch-militärischen Integration im Zeichen der Römischen Verträge (1957), Einführung von Mehrheitsentscheidungen im Rat nach der Politik des „leeren Stuhls“ durch de Gaulle (1966), Konvergenz-Zunahme von Gemeinschaftsrecht unabhängig von der sogenannten „Eurosklerose“ der 1970er Jahre, Etablierung des Binnenmarkts im Zeichen der verstärkten Globalisierung (1993) und Einführung einer gemeinsamen Währung zur Einhegung der vereinigten D-Mark-Macht Deutschland (1999-2002). Von der Banken- und Finanzmarkt (2008-2012) über die Migrationskrise (ab 2015) bis zur Pandemie COVID-19 (2020-2022) war die Kommission in Brüssel wiederholt gezwungen, Initiativen zu ergreifen, Impulse zu geben und Hüterin der Unionsverträge zu sein. Notwendigkeiten zu ihren Problemlösungen beförderten wiederholt europäische Integrationsfortschritte durch die Kommission.

II. Methodik und Zugänge

Integrationspolitische Entscheidungsfindungen fanden auf der Ebene der nationalen Regierungen, der Staats- und Regierungschefs, sowie der europäischen Gemeinschaftsinstitutionen statt. In diesem Projekt geht es um Entscheidungsvorlagen, -formen und -prozesse auf der Ebene der kommissarischen Verwaltung von der EWG (seit 1958), der EG (seit 1967) und der EU (seit 1993) und zwar von Kommissaren unter den Präsidentschaften von Walter Hallstein bis Ursula von der Leyen (1958-2024). Ziel ist es, ausgewählte Beispiele deutscher Kommissare hinsichtlich ihrer Entscheidungsbefugnis, -findung, -trägerschaft und -vorlagen im Spannungsfeld von staatlichen Realverfassungen und Gemeinschaftsrecht diachron-vergleichend zu untersuchen.

Der Grad ihres Europabewussteins, die jeweilige nationalstaatlich-regierungspolitische Rückendeckung und gemeinschaftliche Vernetzungen ermöglichten Handlungsspielräume für die Kommissare. Entscheidungsressourcen bedingten ihre Gestaltungsmöglichkeiten. Im Unterschied zu der jeweils fünfjährigen Legislatur der Kommissare bildeten die über Jahrzehnte tätigen Generaldirektionen der Kommissionen ein ständiges Element der Kontinuität, die so als verlässliche Anker und Bezugspunkte der Kommissare dienen konnten. Routine entstand durch die Herausbildung dieser europäischen Bürokratie. Pragmatismus, Realpolitik und Technokratie standen Idealismus, Plänen und Visionen gegenüber. Konkurrenz, Wettbewerb und Ringen um Einfluss zwischen den EU-Organen bzw. europäischen Institutionen (Rat, Kommission, Parlament, EUGH, EZB) sind ebenfalls zu berücksichtigen. Diese Aspekte galt und gilt es im Wege der Oral-History durch Expertengespräche lebender Kommissare und nachträglich rekonstruierte Zeitzeugeninterviews verstorbener Kommissare durch ihre hinterlassene Werke und ihr Schrifttum zu dokumentieren.

III. Inhalte Zielsetzungen

Vorschlags-, Verhandlungs- und Umsetzungsstrategien der jeweiligen Kommissare werden mit Blick auf

a) die Kontexte und Rahmenbedingungen der jeweiligen Kommissionen, Kommissare und Kommissionpräsidenten,

b) das Arbeitsverhältnis und Zusammenwirken der europäischen Institutionen (EuGH, EP, Rat etc.),

c) das Spannungsfeld bezüglich der Interessen nationaler Regierungspolitiken,

d) die Kommunikation (Medien und nationale Öffentlichkeiten) sowie

e) ihr Erbe und ihre Hinterlassenschaft untersucht.

Die Rolle der EWG-, EG- und EU-Kommissare ist bisher hinsichtlich ihrer Entscheidungsbefugnis, -findung, -trägerschaft und -vorlagengeberschaft kaum systematisch und vergleichend untersucht worden. Dies kann an ausgewählten Beispielen deutscher Kommissare, insbesondere im diachronen Vergleich, unternommen werden. Hierzu gibt es bereits eine Reihe von Vorarbeiten in Form von Zeitzeugen-Dokumentationen (in chronologischer Reihenfolge): Für die Kommission Hallstein zu Hans von der Groeben, für die Hohe Behörde der EGKS zu Fritz Hellwig, für die Kommissionen Malfatti zu Ralf Dahrendorf, Gaston Thorn und Jacques Delors I zu Karl-Heinz Narjes, für die Kommissionen Delors I, II und III zu Peter M. Schmidhuber, für die Kommission Romano Prodi zu Michaele Schreyer und für die Kommission Prodi und Barroso I zu Günter Verheugen sowie für Barroso II zu Günther Oettinger in der Kommission Juncker und nicht zuletzt die Kommissionspräsidentschaft von Ursula von der Leyen.

IV. Literaturverweise (Auswahl)

Éric Bussière et al. (Eds.), La Commission Européenne 1973-1986. Histoire et Mémoires d'une Institution, Brussels 2014.

Vincent Dujardin et al. (Eds.), The European Commission 1986-2000 – History and memories of an institution, Publications Office of the European Union, Luxembourg, 2019

Michel Dumoulin et al. (Eds.), La Commission européenne, 1958-1972. Histoire et mémoires d'une institution, Luxembourg 2007.

Jan van der Harst/Gerrit Voerman (eds.), An Impossible Job? The presidents of the European Commission 1958–2014, London 2015.

Andreas Hofmann: Europäische Kommission, in: Werner Weidenfeld/Wolfgang Wessels (Hrsg.), Jahrbuch der Europäischen Kommission 2021, Baden-Baden 2021, S. 99-106.

Sonja Puntscher-Riekmann, Die kommissarische Neuordnung Europas, Wien – New York 1998.

Albrecht Rothacher, Die Kommissare. Vom Aufstieg und Fall der Brüsseler Karrieren. Eine Sammelbiographie der deutschen und österreichischen Kommissare seit 1958, Baden-Baden 2012 (sehr selektiv und unzureichend).

V. Quellen

Hans von der Groeben, Europäische Integration aus historischer Erfahrung. Ein Zeit-zeugengespräch mit Michael Gehler (ZEI Discussion Paper C 108), Bonn 2002 (78 S.).

https://www.zei.uni-bonn.de/de/publikationen/medien/zei-dp/zei-dp-108-2002.pdf

Fritz Hellwig, Europäische Integration aus historischer Erfahrung. Ein Zeitzeugengespräch mit Michael Gehler (ZEI Discussion Paper C 129), Bonn 2004 (56 S.).

https://www.zei.uni-bonn.de/de/publikationen/medien/zei-dp/zei-dp-129-2004.pdf

Klaus Hänsch, Europäische Integration aus historischer Erfahrung. Ein Zeitzeugengespräch mit Michael Gehler (ZEI Discussion Paper C 197), Bonn 2010 (46 S.)

https://www.zei.uni-bonn.de/de/publikationen/medien/zei-dp/zei-dp-197-2010.pdf

Karl-Heinz Narjes, Europäische Integration aus historischer Erfahrung. Ein Zeitzeugengespräch mit Michael Gehler (ZEI Discussion Paper C 135), Bonn 2004 (83 S.).

https://www.zei.uni-bonn.de/de/publikationen/medien/zei-dp/zei-dp-135-2004.pdf

Peter M. Schmidhuber, Europäische Integration aus historischer Erfahrung. Ein Zeitzeugengespräch mit Michael Gehler (ZEI Discussion Paper C 210), Bonn 2012 (44 S.)

https://www.zei.uni-bonn.de/de/publikationen/medien/zei-dp/zei-dp-210-2012.pdf

Michaele Schreyer, Europäische Integration aus historischer Erfahrung. Ein Zeitzeugengespräch mit Michael Gehler (ZEI Discussion Paper C 220), Bonn 2013 (55 S.).

https://www.zei.uni-bonn.de/de/publikationen/medien/zei-dp/zei-dp-220-2013.pdf

Günter Verheugen, Europäische Integration aus historischer Erfahrung. Ein Zeitzeugengespräch mit Michael Gehler (ZEI Discussion Paper C 221), Bonn 2014 (44 S.).

https://www.zei.uni-bonn.de/de/publikationen/medien/zei-dp/zei-dp-221-2014.pdf

Monika Wulf-Mathies, Europäische Integration aus historischer Erfahrung. Ein Zeitzeugengespräch mit Michael Gehler (ZEI Discussion Paper C 227), Bonn 2015 (33 S.).

https://www.zei.uni-bonn.de/de/publikationen/medien/zei-dp/zei-dp-227-2015.pdf

Günther H. Oettinger, Europäische Integration aus historischer Erfahrung. Ein Zeitzeugengespräch mit Michael Gehler (ZEI Discussion Paper C 251), Bonn 2019 (33 S.).

https://www.zei.uni-bonn.de/de/publikationen/medien/zei-dp/zei-dp-251-2019.pdf

Ralf Dahrendorf, Europäische Integration aus historischer Erfahrung. Ein Zeitzeugengespräch mit Michael Gehler (ZEI Discussion Paper C 278), Bonn 2023 (74 S.)

https://www.zei.uni-bonn.de/de/publikationen/medien/zei-dp/zei-dp-278-2023.pdf

Wilhelm Haferkamp, Europäische Integration aus historischer Erfahrung. Ein Zeitzeugengespräch mit Michael Gehler (ZEI Discussion Paper C 283), Bonn 2023 (58 S.)

https://www.zei.uni-bonn.de/en/publications/zei-dp/zei-dp

Exposé.

Transnationale Parteienkooperation christlich-demokratischer und konservativer Parteien Europas 1979 bis 1991 (Editionsprojekt)

I. Projektleiter:

Univ.-Prof. Dr. Michael Gehler, Stiftung Universität Hildesheim, Jean-Monnet-Chair

II. Beteiligte:

Prof. Dr. Michael Gehler (Jean Monnet-Chair, Institut für Geschichte Stiftung Universität Hildesheim)

Dr. Deborah Cuccia (Mitarbeiterin am Institut für Geschichte Stiftung Universität Hildesheim)

Dr. Marcus Gonschor (hauptbeschäftigt am Studienseminar Hameln)

Dr. Hinnerk Meyer (hauptbeschäftigt am Studienseminar Hameln)

Dr. Philipp Strobl, Pollingberg 72, A-6404 Polling (Mitarbeiter am Institut für Geschichte, Stiftung Universität Hildesheim)

III. Die internationalen Kooperationspartner:

Karl-von-Vogelsang Institut, Wien (Österreich)

Katholieke Documentatie- en Onderzoekscentrum voor Religie, Cultuur en Samenleving (KADOC) KU Leuven (Belgien),

Konrad Adenauer-Stiftung (KAS), Archiv für Christlich-Demokratische Politik (ACDP) St. Augustin (BR Deutschland),

Archiv für Christlich-Soziale Politik der Hanns-Seidl-Stiftung (HSS) München (BR Deutschland)

Istituto Don Luigi Sturzo, Rom

IV. Aspekte und Fragen zum Vorhaben

Das Editionsprojekt knüpft an zwei bereits abgeschlossene Editionsprojekte für die Zeiträume 1945-1965 sowie 1965-1979 an (siehe unten) und will im Rahmen von drei Teilbänden (1. 1979-1985, verantwortlich: Cuccia/Gehler; 2. 1985-1989, verantwortlich: Gonschor/Meyer; 3. 1989-1991, verantwortlich: Gehler/Strobl) bislang unveröffentlichte relevante Quellen zusammenführen und in einer umfassenden Einleitung anhand folgender Fragestellungen analysieren:

1. Welchen Beitrag leisteten Europas Christdemokraten und Konservative unter der Führung der ÖVP zum „agenda setting“, d.h. zur thematischen Schwerpunktsetzung von Europa- und Integrationspolitik in den Jahren 1979-1991?

2. Wie weit wurde dabei gezielt Öffentlichkeitsarbeit über den engeren Kreis von Parteienvertretern und Mitgliedern hinausgehend auch mit Blick auf die Wählerschaft geleistet?

3. Welchen Stellenwert genossen im „agenda setting“ globale Fragestellungen und inwieweit bestand hier zur Europa- und Integrationspolitik ein Zusammenhang bzw. Spannungsverhältnis?

4. Die 1980er sind Jahre des europa- und integrationspolitischen Aufbruchs, aber auch der Bewältigung der Folgen der Krisen und Konflikte der 1970er Jahre: Welche Beobachtungen, Einschätzungen und Beurteilungen erfuhren diese Krisen in christlich-demokratischen und konservativen Parteiführungskreisen im Europa der 1980er Jahre und wie initiierten die Parteiformationen einen Aufbruch zu neuen Ufern?

5. Welches Problembewusstsein entwickelten und welche Konfliktlösungen boten dabei Europas Christdemokraten und Konservative?

6. Welche Beobachtungen, Einschätzungen und Beurteilungen erfuhr die Politik des weltanschaulichen Gegners (der Kommunisten) bzw. der Konkurrenten (der Sozialisten und Sozialdemokraten)? Welchen realen Stellenwert genoss dabei die Politik der Sozialistischen Internationale (SI) an der Spitze mit Willy Brandt, Felipe Gonzales, Bruno Kreisky, Olof Palme, François Mitterrand und Franz Vranitzky?

7. Wieweit nutzte die christlich-demokratisch-konservative transnationale Parteienkooperation europäische Institutionen, Gremien und Organe zur Lobbyarbeit und Netzwerkbildung (Europarat, Europäische Kommission, Europäisches Parlament, Europäische Räte)?

Im Zusammenhang mit diesen Fragestellungen sind die Archive der Parteien, das Archiv der European Democrat Union (EDU) im Karl-von-Vogelsang-Institut (KvVI) in Wien, das Archiv der Christlichen Demokratie (ACDP) in St. Augustin/Bonn, das Archiv der Hanns-Seidel-Stiftung (AHSSt) in München, das Documentatie- en Onderzoekscentrum voor Religie, Cultuur en Samenleving in Leuven (KADOC), das Instituto Sturzo in Rom, das Archiv des Europarates (Straßburg) und der Europäischen Volkspartei (EVP) in Brüssel sowie die zugänglichen und relevanten Archive von Interessenvertretungen, die direkte internationale Kooperationen anstrebten, mit in das Projekt einzubeziehen. Weitere Fragen lauten:

8. Inwieweit spielte das epochenmachende Umsturzjahr 1989 in Mittel- und Osteuropa eine Rolle in der Wahrnehmung und der Reaktion der Parteien und hierbei besonders in der Wahrnehmung der ÖVP mit dem Sitz des EDU-Büros in Wien?

9. Inwiefern spielte das Knowhow der österreichischen Führung der EDU in Hinblick auf Zentral- und Osteuropa eine Rolle bei der Vermittlung zwischen traditionellen konservativen Parteien West-, Nord-, und Südeuropas und den sich formierenden Parteien in Zentral- und Osteuropa nach 1989?

10. Wie gestaltete sich das Konkurrenzverhältnis zwischen der EDU und der EVP? Welche Rolle konnte dabei überhaupt noch die Europäische Union Christlicher Demokraten (EUCD) spielen?

Ein Grundlagenforschungs-Projekt zur Geschichte der transnationalen christlich-demokratischen Parteienkooperation der Jahre von 1945 bis 1965 wurde bereits durch den Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) seit 1997/98 gefördert (FWF - Projektnummer P 12 089/OEK/SOZ „Europäische Christdemokraten“) und 2001 abgeschlossen und in dem für Editionen bekannten SAUR-Verlag 2004 in München publiziert sowie zwei weitere Teilbände im Jahre 2018 bei De Gruyter:

 - Michael Gehler/Wolfram Kaiser (Hrsg.), Transnationale Parteienkooperation der europäischen Christdemokraten: Dokumente 1945-1965/Coopération transnationale des partis démocrates-chrétiens en Europe: Documents 1945-1965 (Transnational Party Cooperation of European Christian Democrats: Documents 1945-1965), München 2004 (728 S.).

 - Michael Gehler/ Marcus Gonschor/Hinnerk Meyer/Hannes Schönner, T ransnationale Parteienkooperation der europäischen Christdemokraten und Konservativen 1965-1979. Coopération transnationale des partis démocrates-chrétiens et conservateurs en Europe. Documents 1965-1979, 2 Teilbände, Berlin – Boston 2018 (1717 S.).

Exposé.

Editionsprojekt (Michael Gehler/Nadine Steinmetz)

Edgeworth Murray Leslie:
Kriegserfahrungen 1939-1945 und Einsatz für die Einheit Tirols 1945/46

Karl der Große, Napoleon, Bismarck, Mussolini, Hitler, Stalin - sind Namen, die aufgrund ihres Agierens und Bekanntheitsgrades in Geschichtsbücher Eingang gefunden haben, Namen, die jedem bekannt und zuzuordnen sind. Doch wer waren die Menschen, die im Verborgenen gewirkt haben, Menschen, deren Namen in keinem gedruckten Werk Platz fanden, weil sie gänzlich oder weitgehend unbekannt geblieben sind?

Edgeworth Murray Leslie ist einer jener Namen, der bisher kaum eine Nennung fand, obwohl er  Beachtung verdient. Wer war Leslie? Als Sohn eines Arztes und einer strenggläubigen Mutter 1907 in England geboren, studierte er nach dem Verlassen des Cheltenham College Rechtswissenschaften in London, doch es hielt ihn nicht lange in England, hatte er doch von der beeindruckenden Schönheit Tirols gelesen. Im Jahr 1932 verließ er sein Heimatland und begab sich zunächst nach Innsbruck. Von dort aus reiste er viel und war in der Tat überwältigt von der Pracht des Landes im Gebirge. Zwei Jahre nach seiner Ankunft lernte er seine zukünftige Frau Nancy kennen. Sie heirateten kurz darauf in London und beschlossen auf ihrer Hochzeitsreise, die sie nach Österreich führte, sich dauerhaft in Tirol niederzulassen. Bis hier hin, ist diese Biografie unspektakulär, aber letzlich maßgeblich für alles, was nachher geschah.

Die Leslies liebten ihr Leben im zauberhaften Tirol, bauten sich 1937 eine Villa in Igls, südlich von Innsbruck im Mittelgebirge am Fuße des Patscherkofel. Lange lebten sie dort jedoch nicht, bis der „Anschluss“ Tirols an Hitler-Deutschland 1938 folgte und der bevorstehende Krieg sie ihres geliebten Tirols berauben sollte. Zwar verwarfen sie die Idee des Verkaufs ihres Anwesens nach der Annexion Österreichs durch die Nationalsozialisten, sahen sich aber 1939 dazu gezwungen, ihr Haus mit allem Hab und Gut zurückzulassen und sich auf den Weg in ihr Heimatland zu machen. Bis dorthin kamen sie jedoch nicht. Es begann ein Odyssee, welche sie zunächst in die Schweiz führte. Ohne finanzielle Mittel waren sie in einem kleinen Örtchen namens Schuls Tarasp gestrandet, für beinahe einen ganzen Monat. In dieser Zeit wurde Leslie klar, dass er während zukünftiger kriegerischer Handlungen nicht untätig sein wollte, jedoch war er auch nicht dazu bereit, blind Befehlen zu folgen und möglicherweise Menschen töten zu müssen. In ihm wuchs die Idee, einen Bündnisvertrag zu entwickeln, welcher es unmöglich machen würde, dass jemals wieder ein Krieg geführt werden könnte. Zunächst war dies, wie er selbst schrieb, nur ein flüchtiger Gedanke, dem es an Konkretisierung fehlte, doch dies sollte sich ändern als er auf einen jungen Briten traf, der ähnliche Vorstellungen hatte - und seine Unterstützung fand. Gemeinsam arbeiten sie an einem Plan, wie ein solcher Vertrag auszuarbeiten und populär zu machen wäre, insbesondere um hierdurch möglicherweise den nahenden Krieg noch verhindern zu können. Ihre Idee war durchdacht und sorgfältig ausgearbeitet. Mit ihr tasteten sie sich in viele Richtungen vor, kamen jedoch letztendlich zu dem Schluss, dass Benito Mussolini möglicherweise für die Verwirklichung am besten geeignet sei. Auch wenn zunächst alles erfolgsvorsprechend schien, sollten sie damit letztlich scheitern.

Nach diesen hochtrabenden Ambitionen boten sich Leslie während der Kriegsjahre weitere Gelegenheiten, im Hintergrund zu wirken. Er arbeitete als Journalist, Publizist, Redner und „Schreiberling“ für den britischen Presseattaché in Bern, als Nachrichtenoffizier für den Leiter des Office of War Information (OWI) und später als Agent für das Office of Strategic Services (OSS) unter Allen Welsh Dulles. Nach Kriegsende sollte er für den britischen Geheimdienst MI6 und zuletzt als Konsul in Zürich und Wien tätig sein. Bis zum Ende seines Lebens lebte Leslie gemeinsam mit Nancy in der zuvor erwähnten Villa in Igls, in welcher die beiden nach bei Kriegsende zurückkehren konnten.

Unmittelbar nach Ende des Krieges arbeitete Leslie Seite an Seite mit Tirols Landeshauptmann und Österreichs Außenminister Karl Gruber, um sein wichtigstes Ziel, Südtirol wieder mit Österreichs zu vereinigen, zu erreichen, was ihm letztlich trotz intensiver Bemühungen nicht gelingen sollte. Auf dem Weg zum Gruber-De Gasperi-Abkommen, dem Pariser Vertrag vom 5. September 1946, sollte Leslie eine Schlüsselrolle für wertvolle Einblicke und Erkenntnisse der weiteren Entwicklungen gewinnen. Alles, was er während und nach dem Krieg erlebte, in den Jahren 1945/46 für die Einheit Tirols tat und was er anschließend als britischer Konsul in Zürich und Wien erlebte, wird anhand seiner privaten Aufzeichnungen detailreich rekonstruiert, d.h. in deutscher Rückübersetzung und der englischen Originalfassung für eine Edition aufbereitet, die im Rahmen der Schriftenreihe des Südtiroler Landesarchivs erscheinen soll.

Gedenkbuch für die in der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft als Juden verfolgten Hildesheimerinnen und Hildesheimer

Zusammen mit dem Stadtarchiv Hildesheim wird am Institut für Geschichte ein „Gedenkbuch für die in der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft als Juden verfolgten Hildesheimerinnen und Hildesheimer“ erarbeitet.

Leiter dieses Forschungsvorhabens ist Dr. Hartmut Häger. Projektbeteiligte auf Seiten des Instituts für Geschichte ist Dr. Andrea Germer.

Das Gedenkbuch soll die Kurzbiografien

- von allen als Juden verfolgten Hildesheimerinnen und Hildesheimer enthalten,

- wenn sie zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 in Hildesheim wohnten,

- unabhängig davon, ob sie innerhalb oder außerhalb der jüdischen Gemeinschaft gelebt haben oder nicht-jüdische Familienangehörige waren.

1933 lebten der Statistik zufolge 515 Jüdinnen und Juden in Hildesheim. Sie wurden über die Religionsangabe ermittelt. Als Juden verfolgt wurden auch Dissidenten, Konvertiten sowie nicht-jüdische Familienangehörige. Der Verfolgungsdruck veranlasste oder zwang darüber hinaus Jüdinnen und Juden zu ihren Angehörigen nach Hildesheim zurückzukehren oder in Hildesheim Sammelunterkünfte („Judenhäuser“) zu beziehen. Demzufolge ist ein Umfang von etwa 650 Biografien zu erwarten.

Ein Gedenkbuch für die in der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft als Juden verfolgten Hildesheimerinnen und Hildesheimer ist ein seit fünfzig Jahren unerfülltes Desiderat. Der frühere Hildesheimer Rechtsanwalt Dr. Hugo Goldberg schickte dem Hildesheimer Stadtarchivar Dr. Helmut von Jan aus seinem Zufluchtsort Washington D. C. am 29. November 1971 eine 37-seitige Liste mit rund 120 Namen und Angaben zur Person zu, die er 24 Jahre nach seiner Flucht aus dem Gedächtnis erstellt und mit Recherchehinweisen versehen hatte. Siebzehn Jahre später veröffentlichte von Jan die Liste fast unverändert. Goldbergs Wunsch, sie zu einer „Geschichte der jüdischen Gemeinde Hildesheim“ zu erweitern, wartet noch auf seine Erfüllung. Viele andere Kommunen haben indessen längst die Biografien ihrer jüdischen Bürgerinnen und Bürger erforscht und publiziert. In Hildesheim gibt es bislang nur die Liste im Buch Hartmut Häger, Zum Wohl der Menschen und zur Ehre Gottes. Die Amtsträger der jüdischen Gemeinde in Hildesheim (1933–1942), Hildesheim, 2019, S. 294–355.

Die Zielsetzung besteht darin, das Gedenkbuch 2022 – achtzig Jahre nach den beiden umfangreichsten Deportationen – abzuschließen. Geplant ist auch, es gedruckt zu veröffentlichen. Es ist darüberhinaus auch daran gedacht, die Biografien im Internetportal http://vernetztes-erinnern-hildesheim.de zugänglich zu machen sowie in der universitären Lehre zu verwenden und weitere Recherchen anzuregen.

Vom Tauwetter zum Volksaufstand in Ungarn: Verlauf – Ursachen – Folgen

Michael Gehler / Ibolya Murber

Vom Tauwetter zum Volksaufstand in Ungarn: Verlauf – Ursachen – Folgen.
Dokumente der Ballhausplatz-Diplomatie 1949-1956. Eine Quellenedition

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Über Geschichte berichten: Die Europagespräche im Radio

Im Seminar „Über Geschichte berichten – Die Europagespräche im Radio“ erproben Studentinnen und Studenten das Berichten über Geschichte. Entstanden ist eine Radiosendung, die am Mittwoch, 13. Dezember 2017 bei Radio Tonkuhle ausgestrahlt wird. Die Zusammenarbeit mit dem lokalen Radiosender soll fortgesetzt werden.

Studentinnen und Studenten des Fachs Geschichte haben am Beispiel des Vortrags „US-Präsident Donald Trump, die USA und Europa  – ein Jahr nach der Wahl“ im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Europagespräche“ das Berichten über Geschichte erprobt. In Zusammenarbeit mit Radio Tonkuhle haben sie einen Radiobeitrag produziert. Die Studierenden führten ein Interview mit dem Historiker Professor Hans-Jürgen Schröder, dessen Forschungsschwerpunkt im Bereich der US-amerikanischen und deutschen Außen- und Außenwirtschaftspolitik im 20. Jahrhundert liegt. Im Interview geht der Professor auf die Wahl Donald Trumps zum 45. Präsidenten der USA ein. Die Wahl markiere einen tiefen Einschnitt in der Geschichte der USA, der Weltpolitik und in den amerikanisch-europäischen Beziehungen.

Das Institut für Geschichte der Universität Hildesheim arbeitet mit dem Lokalsender Radio Tonkuhle zusammen. „Ziel des Pilotprojekts ist es, dass die Studentinnen und Studenten komplexe historische Zusammenhänge auf das Wesentliche zusammenfassen und sich Gedanken darüber machen, wie diese einem Radiozuhörer vermittelt werden können“, sagt die Dozentin Sanne Ziethen. Im Seminar zum Thema Medienkompetenz erfahren die Studierenden in Theorie und Praxis, wie Journalismus funktioniert, wie ein Radiobeitrag mit Einspielern produziert wird und mit welchen Mitteln und Maßnahmen Hörfunkbeiträge entstehen. Ziel des Seminars ist auch, die Veranstaltungsreihe „Europagespräche“ in Hildesheim weiter bekannt zu machen. Sämtliche Vorträge sind öffentlich und kostenfrei. Die Zusammenarbeit mit Radio Tonkuhle soll fortgesetzt werden, so Sanne Ziethen.

Eine Kurzzusammenfassung des Vortrags und des Interviews mit dem Historiker Professor Dr. Hans-Jürgen Schröder (Universität Gießen) ist in Kürze online auf der <link fb1/institute/geschichte/jean-monnet-europagespraeche/europa-gespraeche/wintersemester-201718/#c65295 _blank>Webseite des Instituts für Geschichte abrufbar</link>. In der Sendereihe „Campusradio“ sendet Radio Tonkuhle ein ausführliches Interview am Mittwoch, 13. Dezember 2017, zwischen 16:00 und 17:00 Uhr.

 

Link zum Podcast

Link zum Facebook-Beitrag

Was wusste die militärische Aufklärung der DDR über die elektronische Aufklärung (ELOKA) der Bundeswehr?

Projektleitung

Prof. Dr. Michael Gehler (Institut für Geschichte)

Projektbearbeitung von Jörg Beining

Den Entwurf zum Projekt finden Sie hier.