Historische und aktuelle Erfahrungen mit dem europäischen Parlamentarismus

Historische und aktuelle Erfahrungen mit dem europäischen Parlamentarismus

Kurzzusammenfassung des Vortrags vom 26.11.2007

Erika Mann (MEP)(Hannover)

 

Erfahrungen der Europaparlamentarierin Erika Mann (SPE)

Erika Mann, gebürtige Leipzigerin, Diplom-Pädagogin, mit Forschungstätigkeiten an der Universität Hannover und Unternehmensberaterin im IT-Bereich, seit 1972 Mitglied der SPD sowie seit 1994 bis heute Mandatarin im Europäischen Parlament im Rahmen der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) ist Mitglied im Ausschuss für Internationalen Handel sowie stellvertretendes Mitglied im Ausschuss Industrie, Außenhandel, Forschung und Energie sowie im Haushaltskontrollausschuss. Darüber hinaus gehört Frau Mann zahlreichen europäischen und transnationalen Netzwerken an und ist Senatorin der Max-Planck-Gesellschaft.

Im Rahmen der „Europagespräche“ des Instituts für Geschichte der Universität Hildesheim hielt sie einen Vortrag über ihre Erfahrungen im Europäischen Parlament und hierbei insbesondere über die EU-Außenhandelspolitik. Mann betonte zunächst die vielfach unbeachtete Doppelfunktion der EU: Der Binnenmarkt stehe für die starke Innenwirkung, während die Außenhandels- und Außenwirtschaftspolitik die starke Involvierung der EU in das Weltgeschehen von heute verdeutliche. Die diesbezüglichen Wahrnehmungen seien jedoch völlig unterschiedlich: Die europäische Bevölkerung nehme die EU vor allem von innen wahr und sei mitunter über Gebühr auf die Mängel und Probleme fixiert. Dabei werde die starke Außendimension unterschätzt oder gänzlich übersehen. Die EU sei inzwischen „eine erwachsene politische Gemeinschaft“ geworden. Das tendenziell perfektionistische deutsche Verständnis fokussiere vor allem auf das noch nicht Erreichte, während generell die Erfolge für gegeben und als ohnedies selbstverständlich betrachtet würden. In der Kosovo-Problematik sei zwar mitunter ein „Chor der Differenzen“ zu hören, doch kanalisiere der Mechanismus einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik die verschiedenen Positionen mehr und mehr.

Mann rekurrierte sodann auf die Außenwirtschaftspolitik und zog einen Vergleich zwischen der Zeit um 1994 und der gegenwärtigen Situation. Gab es Mitte der 1990er Jahre noch drei Weltwirtschaftsmächte mit den USA, der EU und Japan, so seien heute mehrere starke (ehemalige) Entwicklungsländer als neue Akteure auf dem Feld des Welthandels hinzugekommen: Brasilien, Indien und China (das inzwischen der WTO angehört), an sich keine klassischen und traditionell starken Handelsmächte, die aber mit ihrer gestiegenen Wirtschaftsleistung nicht nur eine handelspolitische Vorrangstellung im Bereich ihres regionalen Nahraums erreicht hätten, sondern auch damit auf internationaler Ebene mehr politische Mitsprache erzwingen wollten. Es handle sich inzwischen um große Weltwirtschaftsmächte, die nicht nur im engeren regionalen Rahmen aktiv seien. Somit habe sich in den letzten zehn bis zwölf Jahren eine weitgehende Veränderung der internationalen Handelspolitik ergeben.

Die entscheidende Frage, die viele aufmerksame und kritische Beobachter stellen würden, laute: In welche Richtung solle und werde die weitere Entwicklung gehen? Das Zustandekommen einer neuen Welthandelsrunde sei mehr als fraglich. Die Verhandlungen lägen auf Eis. Ein Rückgang des Multilateralismus und eine Tendenz zum Bilateralismus seien feststellbar. Dabei verwies Mann auf mitunter egozentrische Tendenzen wie auch auf den Umstand, dass die Russländische Föderation nicht der WTO angehört. Eine Reorientierung in die regionalen Handelsräume und eine Tendenz zu bilateralen Freihandelsabkommen seien im Welthandel erkennbar. So ist ein regionales Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Afrikanisch-Karibisch-Pazifischen (AKP)-Staaten in Vorbereitung. Eine strategische Partnerschaft der EU mit Russland war bekanntlich zuletzt nicht zustande gekommen, jene mit China sei „nicht gut gelungen“. Mann ortet generell einen Stimmungswechsel, der darauf hindeutet, dass Kategorien wie Kontinuität und Verlässlichkeit nicht mehr als selbstverständlich angesehen werden könnten. Die Referentin nannte in diesem Zusammenhang die Verschiebung von Politikfeldern und verwies auf die schrittweise Einschränkung und deutliche Reduktion der EU-Agrarsubventionspolitik – die Debatte über Agrarüberschüsse werde heute nicht mehr geführt, indes ist neuerdings von Mangelerscheinungen die Rede – und die dramatischen Veränderungen der Weltbevölkerung. Nach den Ölschocks der 1970er Jahre gebe es einen neuen Energieschock mit gestiegenen Öl- und Gaspreisen.

All die erwähnten Veränderungen hätten die Binnenstruktur der EU kräftig ins Wanken gebracht. Mann machte auf die komplizierten und zeitaufwändigen Entscheidungsverfahren der EU aufmerksam: mehrfache Abstimmungsprozesse, Konsensfindungen und schließlich die schwierige Aufgabe für den mitunter kritisierten und auch heftig angegriffenen EU-Handelskommissar Peter Mandelson, der 27 EU-Staaten nach außen vertreten und mit seiner Politik abstimmen müsse, während er gleichzeitig mit 140 Staaten der Welt verhandle.

Als Fazit des sehr engagierten und zahlreiche Impulse gebenden freien Vortrags hielt Mann fest, dass die EU längst nicht mehr nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine politische Macht geworden sei. Das Bild vom wirtschaftlichen Giganten und politischen Zwerg ist demnach nicht mehr haltbar. Dieses Bedeutungswandels sei sich die EU aber nicht bewusst, es mangle an Selbstreflexion, wie auch die Erfolge mehr von außen als von innen wahrgenommen und gewürdigt würden. Mit dem EURO als drittstärkster Weltwährung, der gestärkten Rolle des Europäischen Parlaments sowie dem neuen Reformvertrag, der dies auch institutionell zum Ausdruck bringe, zeige sich dieser Profilwandel deutlich.

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