Europagespräche des Instituts für Geschichte, Stiftung Universität Hildesheim

 

22.01.2013 – Josef Foschepoth: Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik (Freiburg)

Prof. Dr. Josef Foschepoth ist Zeithistoriker an der Universität Freiburg. Er war langjähriger Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Leiter des Forschungsbereichs Post-War-History am Deutschen Historischen Institut London. Es folgten leitende Tätig-keiten  im Weiterbildungs- und Hochschulbereich, als Direktor der Ostakademie Königstein bei Frankfurt/Main,  Generalsekretär der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in der Bundesrepublik und Leitender Städtischer Direktor im Kulturdezernat der Stadt Münster/Westfalen. 1997 wurde er Geschäftsführer der AKAD Privat-Hochschulen Stuttgart. Er war Gründungsvorstand des Verbandes der Privaten Hochschulen in Deutschland und Rektor der Wissenschaftlichen Hochschule der AKAD in Lahr. 2005 kehrte er in die Geschichtswissenschaft zurück und ist seitdem in Lehre und Forschung am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der Universität Freiburg tätig.

 

Im folgenden Vortrag präsentiert Foschepoth sein jüngst erschienenes Buch zur Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik.[1]

Postzensur und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik? Post- und Telefongeheimnis sind laut Grundgesetz unverletzlich. Auch ein Blick in die zeitgeschichtliche Literatur lässt vermuten, dass es im Westen Deutschlands, zumindest bis zum Fall der Mauer, keine Post- und Telefonüberwachung gegeben hat. Hinweise auf eine mögliche Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs in der alten Bundesrepublik tauchen in der wissenschaftlichen Literatur jedenfalls nirgendwo auf. Hat es also diese Form der Überwachung der Bevölkerung im Westen Deutschlands überhaupt gegeben?

Ja, sogar in großem Umfang, wie die erste wissenschaftliche Studie zu diesem Thema nun eindrücklich belegt. Danach wurden jährlich mehrere Millionen Postsendungen geöffnet, ausgewertet und vernichtet. Nahezu alle eingehende Post aus der DDR und anderen osteuropäischen und kommunistischen Staaten, aber auch Inlandspost sowie Post nach West-, Süd- und Nordeuropa wurden kontrolliert. Auch Telefonate wurden regelmäßig überwacht und abgehört. Die historischen Wurzeln heutiger Überwachung reichen bis in die Anfangsjahre der Bundesrepublik zurück.

Wie ist das zu erklären? Welche Rolle spielten die westlichen Besatzungsmächte, welche die Westdeutschen selbst? Was bedeutete die extensive Überwachung für die Entwicklung der Bundesrepublik, für Rechtstaatlichkeit und Souveränität, aber auch für eine vergleichende Betrachtung der Überwachung in beiden deutschen Staaten? Die Forschungen von Josef Foschepoth basieren auf einer erstmaligen Auswertung von bislang unerforschten, vielfach geheim gehaltenen Akten der Bundesregierung und der ehemaligen Besatzungsmächte. Im Rahmen seiner Forschungen stieß der Autor auf mehrere Millionen Geheimdokumente, die bis heute nicht erforscht sind. Der Vortrag wird deutlich machen: Die Geschichte der Bundesrepublik ist noch nicht geschrieben.

1. Staunen und Erkennen

„Der Beginn aller Wissenschaften ist das Erstaunen, dass die Dinge sind, wie sie sind.“ Dieser Aristoteles zugeschriebene Satz bildet, so Foschepoth, zusammen mit dem geschichtswissenschaftlichen Grundaxiom, wonach  Quellen Grundlage und Mittel historischer Erkenntnis sind,  Ausgangspunkt  und Grundlage seines wissenschaftlichen Bemühens. So sei es auch im vorliegenden Fall gewesen, an dessen Beginn ein Zufallsfund gestanden habe: ein Archivordner mit der Aufschrift „Postzensur“ von 1951. Darin stieß Foschepoth auf das Protokoll einer Sitzung höchster Ministerien, in der beschlossen wurde, dass in Briefen verschickte DDR-Propaganda aus dem Verkehr gezogen und vernichtet werden sollte. Wie war das mit dem Grundgesetz zu vereinbaren?

2. Post- und Fernmeldegeheimnis

Das Post -und Fernmeldegeheimnis gehört zu den Grundrechten, die als unantastbar gelten. Sie können nur durch ein allgemeines Gesetz (und auch dann nicht in ihrem Wesensgehalt) geändert werden und nur vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben werden. Offiziell behauptete die bundesdeutsche Regierung auch stets, das Post- und Fernmeldegeheimnis zu wahren. Intern hieß es jedoch, wie die Akten der Bundesregierung aus der damaligen Zeit immer wieder deutlich machen, dass der Schutz des Staates ein höherwertiges Rechtsgut als die Bewahrung der Grundrechte sei.  Das lief geradezu auf eine Perversion des Grundgesetzes hinaus. Danach steht nicht der Staat über der Verfassung, sondern die Verfassung über dem Staat. Dies gilt natürlich auch für den Schutz des Post- und Fernmeldegeheimnisses.

3. Art und Umfang der Überwachung

Die Überwachung in der alten Bundesrepublik, die weit weniger souverän war als nach außen dargestellt, erfolgte durch die Besatzungsmächte in Zusammenarbeit mit den westdeutschen Behörden. Zuständig waren die alliierten Geheimdienste und die westdeutschen Post- und Zollbeamten. Es gab Einzelüberwachungen und strategische Überwachungen ganzer Regionen und Länder etwa Osteuropas. Die USA verfügten hierbei über das dichteste Überwachungsnetz. Doch auch die Briten und Franzosen beteiligten sich, allerdings im Laufe der Zeit in abnehmendem Umfang. Die Forschungen ergaben, dass jährlich Millionen Telefonate abgehört werden konnten. Auf diese Weise war es z.B. möglich, die Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit der Bevölkerung zu ermitteln und geheimdienstlich auszuwerten und zu nutzen.

4. Etappen und Zäsuren

Im Folgenden beschreibt der Redner einige Etappen und Zäsuren der Geschichte der Überwachung, die er in seiner Untersuchung ausmachen konnte:

1951-1968: Während dieser Zeit seien ca. 100 Mio. Postsendungen aus der DDR einbehalten worden. Briefe seien z.T. kopiert und dann zur weiteren Analyse in die USA geschickt worden. Insgesamt sei 80% der Post, die aus der DDR in die Bundesrepublik geschickt wurde, aussortiert worden. Westlich der Mauer, die die DDR von der Bundesrepublik trennte,  habe es eine zweite westliche  „Mauer“ gegeben, über die keine verdächtigen Postsendungen aus der DDR in den Westen gelangen sollten. Entlang der Linie Hamburg, Hannover, Bad Hersfeld und Hof gab es sog. Aussonderungsstellen, an denen die eingehende Post aus der DDR kontrolliert und zum größten Teil aus dem Verkehr gezogen und vernichtet wurde. Das Verfahren habe „mit Rechtspflege nichts mehr zu tun“ gehabt, wie es in einem Schreiben des Präsidenten des Oberlandesgerichts Celle an den Bundesjustizminister hieß. Geändert hat sich jedoch bis 1968 an dieser rechtswidrigen Praxis nichts.

Ein wichtiges Jahr für die Post- und Telefonüberwachung war das Jahr 1955, als die Bundesrepublik mit Inkrafttreten des Deutschlandvertrags eine beschränkte Souveränität erhielt. „Beschränkt“ insofern, als alliiertes Besatzungsrecht auch nach dem „Tag der Souveränität“ (Adenauer) in Form sog. „Vorbehaltsrechte“ weiter galt. Dies betraf zum einen den Status von Berlin, Deutschland als Ganzes und das Recht der Siegermächte Truppen in Deutschland zu stationieren.  Zum andern - und das ist völlig neu – schlug Bundeskanzler Adenauer höchstpersönlich den Besatzungsmächten bei den Verhandlungen über die Westverträge im Oktober 1954 in Paris vor, die alliierten Vorbehaltsrechte durch „Sicherheitsvorbehalte“ zu erweitern, wozu auch das Recht auf Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs in der Bundesrepublik gehörte, bis ein deutsches Gesetz alliiertes Recht ablösen würde. 

Die Erweiterung der alliierten Vorbehaltsrechte wurde natürlich nicht in die offiziellen Verträge aufgenommen, sondern in geheimen Zusatzvereinbarungen geregelt, die erst jetzt durch die Forschungen von Foschepoth allgemein bekannt geworden sind. Mit seiner Taktik hatte Adenauer nicht nur den Deutschen Bundestag umgangen, sondern auch das Grundgesetz schwer beschädigt. Die beschränkte Souveränität war somit durch einen schweren Verfassungsbruch erkauft worden. Mehr noch: Der Verfassungsbruch von 1954 wurde, da mit der Ratifizierung der Verträge auch sämtliche Zusatzvereinbarungen - geheim oder nicht geheim - völkerrechtlich verbindlich wurden, die Geburtsstunde des westdeutschen Überwachungsstaates. Die Besatzungsmächte ließen nämlich keinen Zweifel daran, dass sie auf ihren Überwachungsvorbehalt nur verzichten würden, wenn ihnen ein deutsches Gesetz die Beibehaltung ihrer bisherigen Befugnisse erlaubte. So geschah es1968.

1968-1990:  Mit dem „G 10 Gesetz“ zur Einschränkung des Post- und Telefongeheimnisses erhielt die Bundesrepublik 1968 ihr erstes Überwachungsgesetz. Zum einen wurde in der Tat die bisherige gesetzlose und verfassungswidrige Praxis auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Zum andern stand das G 10-Gesetz jedoch unter dem Diktum der Alliierten, die bisherige Überwachungspraxis in vollem Umfang beizubehalten. Alliiertes Recht musste mit anderen Worten in deutsches Recht überführt werden, das den drei Westmächten auch in Zukunft alle Formen und Möglichkeiten der Überwachung offen hielt. 

Eine solche Regelung, die alliiertes Recht nur formell ablöste, faktisch jedoch bestätigte,   stand natürlich wiederum unter striktem Geheimhaltungsgebot. Um das für alle Zukunft zu sichern, musste das Grundgesetz geändert werden. Deshalb steht bis heute in Artikel 10, das derjenige, der aus nachrichtendienstlichen Gründen überwacht wird, keinen Anspruch hat, darüber informiert zu werden. Gleichzeitig wurde - ein Unding für einen Rechtsstaat – die Beschreitung des Rechtsweges ausgeschlossen. Mit dieser Regelung war die Gewaltenteilung faktisch aufgehoben, wie renommierte Staatsrechtler  kritisierten. Diese massive Einschränkung des Rechtsstaates ist bis heute nicht aufgehoben, sondern sukzessive weiter entwickelt und verschärft worden. Sie geht im Kern auf alliiertes Recht zurück.

1990 bis heute: Auch der Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990 hat an diesem Umstand nichts geändert. Sämtliche Verträge und Vereinbarungen, Gesetze und Verfassungsänderungen, die Grundlage für die Fortführung der alliierten Kontrollen waren und sind, wurden weder geändert, noch gekündigt, sondern gelten bis heute unverändert fort. Hierzu zählt auch die bislang geheim gehaltene deutsch-alliierte Verwaltungsvereinbarung zum G 10 Gesetz von 1968, die im Detail die künftige deutsch-alliierte Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Überwachung regelte. Diese Vereinbarung wurde ebenfalls von Foschepoth entdeckt und in seinem Buch zum ersten Mal veröffentlicht.

Diskussion

Dem spannenden Vortrag schloss sich eine angeregte Diskussion an. Auf die Frage, wer denn konkret an diesen Vorgängen Schaden genommen habe, entgegnet Foschepoth, dass der ganze Staat Schaden genommen habe. Das Grundgesetz sei die beste Verfassung, die es in Deutschland je gab, und sie sei schützenswert. Was aber sei sie wert, wenn die mächtigsten Politiker sie missachteten und sie untergruben? Wenn die Staatsraison über der Verfassungsraison stehe, dann sei ein Dammbruch unvermeidlich. Staatsraison und Verfassungsraison sollten in unserem Staat identisch sein. Zu vielen Quellen habe er keinen Zugang erhalten, z.B. zu Verfassungsschutz- und BND-Akten, aber er habe auch Belege dafür, dass durchaus auch Einzelpersonen Schaden genommen hätten, z.B. wenn sie bestimmte Pakete angenommen haben, obwohl sie zuvor darauf hingewiesen worden waren, dass es „staatsgefährdendes Material“ enthalte. Auf die Frage, was die Öffentlichkeit gewusst habe, weist Foschepoth auf wiederholte Skandale hin, die durch die Medien gegangen seien. Doch die Bevölkerung zeigte sich damals erstaunlich desinteressiert.

Foschepoths nachdenklich stimmendes Fazit lautete: Es ging bei Gründung der Bundesrepublik weniger um den Aufbau einer Demokratie, als vielmehr um denjenigen eines Staates. Die Bundesrepublik war vom Staat her gedacht worden. Es war eine „Staatsdemokratie“.


[1]
                        [1] Josef Foschepoth, Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik, Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen, 1. Auflage 2012, 2. Auflage 2013.

 

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