Uni in neuen Dimensionen? Lernen und Lehren in der Social Virtual Reality (SVR)

VIRTUAL-le@rning beim Festival of Digital Connections

Am 06.10.2022 durfte das Team VIRTUAL-le@rning des Projektes Digital Campus Le@rning mit einer kleinen Delegation beim Festival of Digital Connections mitwirken und am Vormittag mit Studierenden aus ganz Niedersachen unsere VR-basierten Sprachtandem-Umgebungen erproben.

Zwei Wahrnehmungsräume, ein gemeinsames Ziel.

In unserer ersten Station durften die Teilnehmer*innen "Keep Talking and Nobody Explodes - Defuse a bomb with your friends" ausprobieren; ein Spiel, in dem eine Partei im virtuellen Raum eine Bombe vor sich sieht und fünf Minuten Zeit hat, diese mithilfe der Instruktionen der anderen Partei zu entschärfen. Der Haken: Nur eine Partei kann die Bombe sehen, die andere muss die gelieferten Beschreibungen mit dem eigenen Wissen abgleichen und entsprechende Anweisungen geben. Ein optimales Setting für die Fremdsprachenpraxis.

„Boah, das ist ja mega krass,“ urteilte ein Teilnehmer als er sich zum ersten Mal eine VR-Brille aufsetzte und plötzlich statt der physischen Realität lediglich ein blaues Buch vor sich schweben sah.

Ein Zaun, zwei Spieler*innen, drei Level

An unserer zweiten Station durften die VR-Interessierten unseren Hildesheimer Tandem Garden ausprobieren und gemeinsam drei kooperative Rätselspiele in idyllischer Atmosphäre lösen. Auch hier gilt es: Nur durch das gemeinsame, kommunikative Bearbeiten der gestellten Aufgaben können die Türen zum jeweils nächsten Level freigeschaltet werden. Beim Spielen in der Fremdsprache werden so unterschiedliche Orientierungssysteme, Lesarten und Fachtermini abgeglichen und gemeinsam ausgehandelt, bis die Teilnehmer*innen sich konzeptuell geeinigt haben.

„Oh nein, ich bin wieder hier,“ seufzte eine Teilnehmerin beim Absetzen ihrer VR-Brille.

Das Fazit der Spieler*innen: Man muss sofort zusammenarbeiten, obwohl man sich gar nicht kennt, man fühlt sich der anderen Person trotz eines gewissen Abstraktionsgrades gleich nah und ohne Kommunikation „geht wirklich gar nichts.“

In einem Workshop am Nachmittag haben wir mit fünfzehn Festivalteilnehmer*innen die Chancen innovativer Technologien wie der Social Virtual Reality für das universitäre Lehren und Lernen inmitten eines digitalen und gesellschaftlichen Wandels diskutieren, Veränderungen im Universitätsalltag und in unserem Kommunikationsverhalten reflektieren und gemeinsam Zukunftsentwürfe für gelungene Lehre entwerfen können.

Anwendungspotentiale und Chancen der SVR in verschiedenen Disziplinen.

Die Teilnehmer*innen aus verschiedensten Studiengängen haben ihre Ideen mit uns geteilt und folgende spannende Szenarien skizziert:

  • Studierende und Schüler*innen der Politikwissenschaften könnten den Bundestag, das Weiße Haus und andere Regierungsgebäude virtuell in 3D besichtigen, Regierungsoberhäupter vergangener Epochen als Avatare kennenlernen oder die Wege des Gesetzes selbst von Instanz zu Instanz selbst erfahren, in dem sie als Papier von Instanz zu Instanz reisen.
  • Man könnte die VR nutzen, um Funktionsgefüge in der Mathematik in 3D zu veranschaulichen, um sie greifbarer zu machen.
  • In der Biologie wird Studierenden derzeit bereits die Möglichkeit gegeben, virtuell eine Zelle zu betreten, um so einen Raum zu erkunden, der Lerner*innen in der realen Welt verschlossen bleibt. Gleiches gilt für die Abbildungen des menschlichen Körpers im Medizinstudium oder des Motors und anderer Maschinen in den Ingenieurswissenschaften.
  • Im Englischunterricht könnten Lerner*innen sich virtuell in eine U-Bahnstation in London und dann in einen Wagon begeben, um das Hörverstehen fremder Akzente in einer möglichst realistischen Umgebung unter realitätsnäheren Bedingungen zu üben.
  • Städte oder Bibliotheken könnten ein VR-Zentrum zu bauen, welches Schulklassen an unterschiedlichen Tagen besuchen könnten, um beispielsweise für den Biologie- oder Chemieunterricht virtuelle Welten zu betreten.

Aufenthaltsqualität virtueller Räume

In diesem Teil des Workshops haben wir gemeinsam den Begriff ‚Präsenz‘ und das Nähe-Distanz-Empfinden in verschiedenen digitalen Räumen reflektiert und Vor-und Nachteile avatarbasierter Interaktion diskutiert.

Mehrere Teilnehmer*innen argumentierten, dass der digitale Raum ‚Zoom-Meeting‘ während der Corona-Pandemie Hemmungen errichtet habe, sich Mitlernenden gegenüber zu öffnen, da das Präsenzgefühl trotz eingeschalteter Kameras gefehlt habe, und dass diese Distanz nicht nur durch SVR überbrückt werden könne, sondern die Präsenz der eigenen Person in Form eines Avatars in einem virtuellen Raum möglicherweise die Aufmerksamkeit und Motivation stärker fördere.

Vor allem Lehramtsstudent*innen und Studierende mit Lehrerfahrung positionierten sich im Spannungsfeld zwischen Potential und Kritik: VR ist teuer, (noch) nicht für jede*n zugänglich und eine systematische Integration in den Lehr-Lern-Alltag in Schule und Universität erfordert Personal, welches technische Hürden überwinden und effektiv schulen kann.

Das Endergebnis: SVR kann, soll und will den physisch kopräsenten Lehr-Lern-Alltag nicht ersetzen, sondern ist dort nützlich, wo sie Zugang zum Unmöglichen wie etwa historischen Stätten oder mikroskopisch kleinen Räumen verschafft, soziale Distanzen wie die durch die Corona-Pandemie ausgelösten Isolationsvorschriften überbrückt, Barrieren abbaut, eingeschränkten Individuen Zugang zum Lernumfeld ermöglicht und das Curriculum bereichert.

Kurz: SVR ist dort sinnvoll, wo sie ergänzt und nicht ersetzt.

Mein Dank für diesen Tag gilt unseren studentischen Hilfskräfte Salla-Noora Kokkonen, Olivia Herrmann und Mathis Göcht für ihre tatkräftige Unterstützung vor Ort, dem gesamten Team des Projektes CO3 LEARN für die Organisation und unseren motivierten, aufgeschlossenen Teilnehmer*innen.

Foto Credits: Nicola Hoppe, Salla-Noora Kokkonen