Zehn Jahre Center for World Music: „Wir bewahren musikalisches Kulturerbe”

Sonntag, 23. Juni 2019 um 19:59 Uhr

Als einziges musikethnologisches Forschungszentrum Deutschlands, das an eine Universität angegliedert ist, leistet das Center for World Music seit 2009 einen wichtigen Beitrag für Integration und Bildung und fördert die kulturelle und musikalische Vielfalt in der Region.

Rede des Präsidenten Prof. Dr. Wolfgang-Uwe Friedrich
anlässlich des Festaktes zum
zehnjährigen Bestehen des Center for World Music (PDF)

Als einziges musikethnologisches Forschungszentrum Deutschlands, das an eine Universität angegliedert ist, leistet das Center for World Music seit 2009 einen wichtigen Beitrag für Integration und Bildung und fördert die kulturelle und musikalische Vielfalt in der Region. Das Forschungszentrum bewahrt mit seinen über 4.500 Musikinstrumenten, 45.000 Schallplatten, Tondokumenten und Schriften bedeutende Spuren und Vermächtnisse weltweiten Musikschaffens. Es gibt in Europa keine weitere Institution, die in dieser globalen Breite sammelt.

„In den vergangenen zehn Jahren hat sich das Center for World Music einen festen Platz in der Kulturregion Hildesheim und weit darüber hinaus erarbeitet. Es ist ein international anerkanntes Lehr- und Forschungszentrum und gleichzeitig ein inspirierender kultureller Akteur. Wissenschaft und Kultur werden hier auf ganz besondere Weise miteinander verknüpft und so gemeinsam erfahrbar. Hierzu gratuliere ich ganz herzlich und blicke gespannt auf die zukünftigen Entwicklungen“, so der Niedersächsische Minister für Wissenschaft und Kultur, Björn Thümler anlässlich eines Festaktes. Die Arbeit, die in Hildesheim geleistet werde sei „grandios“, so der Minister. Das Forschungszentrum gebe eine Antwort auf Ausgrenzung und arbeite mit der verbindenden Kraft der Musik.

„We believe in unity through cooperation“

„Das Center ist ein großer Schatz für Forschung und Lehre und ein wichtiger Ort der internationalen Zusammenarbeit. Hildesheim besitzt ein weiteres Juwel“, sagt Universitätspräsident Professor Wolfgang-Uwe Friedrich. „A very warm welcome to all of our foreign partners and guests. You make us proud and together we tell everybody and especially to the new generation of students: we believe in unity through cooperation. Our message is: come and work together, come together and listen to music, we are united in our passion for Music.“ 

Friedrich dankt insbesondere Rolf Irle, dem Stifter der Instrumentensammlung und Ehrenbürger der Universität Rolf Irle. „Musik spaltet nicht, sie vereint, das haben sie Generationen von Schülerinnen und Schülern vorgelebt.“ 

„Das Forschungszentrum gibt Raum für Musiken der ganzen Welt und öffnet diese in die Gesellschaft, um einen offenen Umgang miteinander zu pflegen“, so Lavinia Francke, Generalsekretärin der Stiftung Niedersachsen. Die Transferleistungen in die Gesellschaft hinein seien einzigartig. Die Stiftung Niedersachsen unterstützt die Arbeit seit der Gründung des Forschungszentrums.

Dr. Ingo Meyer, Oberbürgermeister der Stadt Hildesheim, unterstreicht die Bedeutung des Forschungszentrums für die Region Hildesheim. Die Stadt sei durch die kulturwissenschaftlichen Studiengänge von jungen, progressiven und internationalen Kulturformen beeinflusst. „Das Center for World Music ist ein Botschafter für Toleranz in einer pluralen Gesellschaft.“ Die vielfältige Musikkultur werde nicht nur bewahrt und erforscht, sondern auch vermittelt. Meyer äußerte seinen Dank für die Lebensfreude, die von diesem Zentrum ausgehe.

„Music unites, but music can also divide. Music can tackle social difference. Lower Saxony is blessed by these two Institutions, the Center for World Music in Hildesheim and the European Centre for Jewish Music in Hanover“, so Professor Edwin Seroussi von der Hebräischen Universität Jerusalem, der den Festvortrag hielt.

„Das Center for World Music ist ein großer Schatz für Forschung und Lehre und ein wichtiger Ort der internationalen Zusammenarbeit. Musik verfügt über eine einzigartige Kraft, Menschen jeden Alters und jeder Nationalität zu verbinden. Musik schafft Gemeinschaft. Musik bietet besondere Chancen, international und interkulturell zusammenzuarbeiten. Musik schafft grenzüberschreitend Partnerschaften“, sagt Universitätspräsident Professor Wolfgang-Uwe Friedrich.

Kooperation mit Universität Maiduguri in Nigeria: „Dieses Miteinander zeigt, dass internationale Zusammenarbeit funktioniert“

Die internationale Zusammenarbeit wird ausgebaut. Am (heutigen) Freitag haben die Universität Maiduguri in Nigeria und die Universität Hildesheim eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet. Die Universitäten arbeiten seit mehreren Jahren in einer vom Deutschen Akademischen Austauschdienst geförderten Graduiertenschule zusammen und befassen sich mit Friedens- und Konfliktforschung.

„Wir pflegen viele Kooperationen auf der ganzen Welt, aber diese scheint die beste zu sein, die wir jemals hatten. Wir sind stolz auf diesen Austausch mit Hildesheim“, sagt Professor Aliyu Shugaba, Präsident der Universität Maiduguri anlässlich der Unterzeichnung in Hildesheim. Seit 1975 bildet die Universität Maiduguri unter anderem den wissenschaftlichen Nachwuchs in den Fakultäten Landwirtschaft, Kulturwissenschaften, Bildung, Ingenieurwesen, Rechtswissenschaften, Sozialwissenschaften und Medizin aus. Die Universität Maiduguri befindet sich im Zentrum des Konflikts in Nordostnigeria, wo die Terrororganisation „Boko Haram“ in den letzten Jahren schreckliche Verwüstungen angerichtet hat. Die sechs nigerianischen Doktorandinnen und Doktoranden und sechs Masterstudierenden arbeiten in der Graduiertenschule an Fragen des gesellschaftlichen Wiederaufbaus. Die Masterstudierenden haben ihre Master Thesis gerade erfolgreich verteidigt.

„Wir sind dankbar und stolz auf die Zusammenarbeit mit der Universität Maiduguri. Dieses Miteinander zeigt, dass internationale Zusammenarbeit funktioniert“, so Professor Wolfgang-Uwe Friedrich.

Musik kann Verständigung fördern, aber auch trennend wirken. Musik ist zutiefst gesellschaftlich und politisch.

In Hildesheim lagert in Beispielen das musikalische kollektive Gedächtnis der Menschheit, zum Beispiel das „Music of Man Archiv“, eine Dauerleihgabe der Stiftung Niedersachsen. Die Schallplatten sind oft die einzigen akustischen Zeugnisse. In den Regalen liegen algerischer Rai und Streitlieder der Inuit neben Bach-Partiten, hinduistische Tempelgesänge und syrisch-chaldäische Gesänge neben Roland Kaiser, Jazz aus Bangladesch neben Gesängen aus Albanien und Afghanistan.

„Für uns zählt diese Sammlung zum Weltkulturerbe. Die Bestände haben viel mit uns zu tun und das Wissen um die Vielfalt musikalischer Geschichte ist eine wichtige Quelle künstlerischer Inspritation. In unserem Archiv lagern Highlights wie die erste Tonaufnahme aus dem Iran von 1906. Wir haben Ton-aufnahmen, bei denen wir wissen, dass die Sammlung ein Kulturerbe dokumentiert, das verloren ist. Etwa die Tonträger aus Maiduguri in Nigeria“, sagt der Musikethnologe Professor Raimund Vogels, Direktor des Center for World Music.

Welche Rolle spielen Musik und Klänge in der Gesellschaft? Das Hildesheimer Musikarchiv zeigt: Musik ist nicht nur bloße Unterhaltung oder hohe Kunst. Musikalische Ausdrucksformen sind eine emotionale Kraft. Musik kann Verständigung fördern, aber auch trennend wirken. Musik ist zutiefst gesellschaftlich und politisch. „Im Zentrum bei uns stehen die musizierenden Menschen und nicht das Klangdokument alleine“, sagt Vogels.

Das Center for World Music der Universität Hildesheim arbeitet eng mit dem Europäischen Zentrum für Jüdische Musik der Hochschule für Musik, Theater und Medien zusammen. Ein internationaler Fachbeirat berät die Einrichtungen.

Digitalisierung von Weltkulturerbe in Kairo, Teheran und Maiduguri

Das Center for World Music sichert mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes und Partnern vor Ort Musikarchive im Ausland, derzeit in Iran und Nigeria. In Ägypten und Ghana konnten physisch in ihrem Fortbestand gefährdete Tondokumente gesichert werden, etwa liturgische Gesänge der koptischen Kirche aus Kairo.

Das Forschungszentrum macht das musikalische Wissen zugänglich. „Wichtiger als das Bewahren ist uns die Rückgabe. Unsere Hauptpflicht ist es, die Dokumente den Musikern vor Ort zur Verfügung zu stellen. Am koptisch-orthodoxen Patriarchat in Kairo und Alexandria werden die Tonaufnahmen in der Ausbildung von Kantoren eingesetzt, da hört man sich das jetzt an, was wir digitalisiert haben. In Teheran nutzen Musiker die Aufnahmen. In Maiduguri hat unser Archivprojekt zur Gründung des Universitätsinstituts zur ‚Promotion of Cultural Sustainability‘ geführt. Wir sammeln wenig, um es einfach im Archiv zu lagern – sondern unsere Überlegung ist immer: Was kann man damit machen?“, so Raimund Vogels.

Friedens- und Konfliktforschung über Musik und Kultur

Musik und Künste können beim Wiederaufbau von Gesellschaft helfen, etwa in Nigeria. In Nordostnigeria wurden im letzten Jahrzehnt Musikerinnen und Musiker durch „Boko Haram“ ermordet, verfolgt und vertrieben und jene, die am Leben sind, haben Angst, Musik zu machen.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Maiduguri/Nigeria und Cape Coast/Ghana befassen sich in einer vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) geförderten Graduiertenschule mit der Frage, wie in und nach Konflikten Gemeinschaften wieder aufgebaut werden können. Was wurde zerstört, welche Rolle spielen Kultur, Instrumente und musikalische Ausdrucksformen beim Wiederaufbau? Doktorandinnen und Doktoranden nutzen seltene Tonaufnahmen aus dem Musikarchiv für ihre Forschungsarbeiten. Über den Forschungsprozess fließen die Materialien, die die Vielfalt musikalischer Kultur in den Dörfern Nordostnigerias dokumentieren und seit den 1980er Jahren aufgenommen wurden, hinein in die Dörfer, Camps für Binnenflüchtlinge oder Familien. Die Tonaufnahmen sind Impulsgeber für Fragen der Reflexion: Wo wollen wir hin, wie wollen wir künftig leben?

Seit Anfang Mai bis Ende Juli 2019 sind Forscherinnen und Forscher aus Nigeria und Ghana zum Forschungsaufenthalt am Center for World Music in Hildesheim.

Integration durch Musik und Klang

Neben den internationalen Forschungsprojekten wirkt das Center for World Music in der Region, arbeitet mit Kitas, Schulen und dem Roemer- und Pelizeaus-Museum zusammen und bildet seit 2011 Berufstätige fort.

Am Center for World Music haben bisher 100 Personen aus 26 Herkunftsländern im Alter von 20 bis 60 Jahren studiert. Der Studiengang „musik.welt – Kulturelle Diversität in der musikalischen Bildung“ ist europaweit einzigartig. Hier treffen zum Beispiel Komponisten, Konzertpädagogen, Musikschullehrerinnen, geflüchtete Musiker, Erzieherinnen und Musikervermittler aufeinander. Viele Studentinnen und Studenten haben Abschlüsse im Ausland erworben. Sie haben vielfältige musikalische und berufliche Biografien kommen aus allen Regionen Deutschlands – von Frankfurt am Main über Bremen und Berlin bis Nürnberg – und aus dem Ausland, etwa aus Syrien, Türkei, Irak, China und Sudan. Der 5. Studienjahrgang beginnt im Oktober 2019 (mehr Informationen über die Bewerbung).

Programm des Festakts am 21. Juni 2019

Begrüßung und Grußworte

  • Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang-Uwe Friedrich, Präsident der Stiftung Universität Hildesheim
  • Prof. Dr. Susanne Rode-Breymann, Präsidentin der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover
  • Lavinia Francke, Generalsekretärin der Stiftung Niedersachsen
  • Björn Thümler, Niedersächsischer Minister für Wissenschaft und Kultur
  • Dr. Ingo Meyer, Oberbürgermeister der Stadt Hildesheim 

Festvortrag

Prof. Dr. Edwin Seroussi, Hebräische Universität Jerusalem

„10 Jahre in 10 Bildern – Das Center for World Music“

Prof. Dr. Raimund Vogels (Direktor des Center for World Music) und Dr. Michael Fuhr (Geschäftsführer des Center for World Music)

Der Festakt wird gestaltet mit musikalischen Beiträgen von Freunden und Studierenden des Center for World Music. Die Universität erwartet zum Festakt etwa 100 Gäste aus dem In- und Ausland, unter anderem aus Teheran, Paris, Chicago, Jerusalem, Maiduguri, Lissabon, Cape Coast und London.


Am Freitag haben Professor Aliyu Shugaba, Präsident der Universität Maiduguri, und Hildesheims Universitätspräsident Professor Wolfgang-Uwe Friedrich eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet. Auf dem Gruppenbild sind weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Maiduguri, Cape Coast und Hildesheim zu sehen. Die drei Hochschulen aus Nigeria, Ghana und Deutschland arbeiten eng in einer DAAD-Graduiertenschule zusammen. Professor Aliyu Shugaba hielt in Hildesheim einen Vortrag über Universität in Zeiten des Konflikts. Das Center for World Music um Professor Raimund Vogels und Dr. Michael Fuhr hat zum Festakt Redner wie Professor Edwin Seroussi und Minister Björn Thümler eingeladen. Musikalisch begleiten Hildesheimer musik.welt-Studierende den Festakt, unter anderem Sijia Li (Guzheng), Zlatko Baban (Akkordeon) und Shaharam Teymoury, ein Meister der Setar. Fotos: Daniel Kunzfeld