„Das Archiv ist lebendig“ – Instrumente treffen auf Musikerinnen

Samstag, 12. August 2017 um 12:05 Uhr

Üblicherweise darf man Vitrinen in Museen nicht öffnen, anfassen verboten. Das Ensemble „Quartett PLUS 1“ holt Instrumente aus den Vitrinen des Center for World Music. Die Musikerinnen erwecken eine Universitätssammlung zum Leben. „Das Archiv ist nicht tot – es ist lebendig“, sagt die Kulturwissenschaftlerin Lisa Stepf.

Das Instrument „kalimba“, ein Lamellophon, erklingt, die Rahmentrommel meldet sich zu Wort und die Stabzither „Dan Bau“ produziert Töne.

Eigentlich lagern die Instrumente hinter Glas, in Vitrinen im Center for World Music, etwa 4500 Instrumente beherbergt das Forschungszentrum der Universität Hildesheim in einem ehemaligen Kirchenraum. Mittlerweile erklingen die Instrumente wieder: Wissenschaftler und Studentinnen und Studenten arbeiten mit Schulen und Kindergärten zusammen und geben Einblicke in die Vielfalt der musikalischen Ausdrucksformen.

Und es gibt Musikerinnen, die auf die Sammlung aufmerksam werden und mit den Objekten künstlerisch arbeiten. Zum Beispiel das Ensemble „Quartett PLUS 1“. Die Musikerinnen Lisa Stepf, Katharina Pfänder und Kathrina Hülsmann holen diese Instrumente aus den Glasvitrinen hervor und erwecken eine Universitätssammlung zum Leben. „Es ist wahnsinnig ungewöhnlich, dass Leute die Objekte aus den Vitrinen holen dürfen. Das Archiv ist nicht tot – es ist lebendig“, sagt Lisa Stepf. Im August kamen insgesamt 268 Besucher von 6 Monaten bis 90 Jahren in das Hildesheimer Forschungsinstitut, um Einblicke in das Archiv zu erhalten.

Seit 2006 arbeiten Lisa Stepf, Katharina Pfänder und Kathrina Hülsmann im Ensemble zusammen. Die Musikerinnen haben sich im kulturwissenschaftlichen Studium an der Universität in Hildesheim kennengelernt und das „Quartett PLUS 1“ gegründet. „Wir kommen alle aus dem Hildesheimer Uni-Stall und zogen zum Studium aus Augsburg, Mönchen-Gladbach und Kassel nach Hildesheim“, so Stepf.

Eine Frage, die die Musikerinnen umtreibt: Muss ein Streichquartett heute noch aus vier Streicherinnen bestehen? Kann in einer globalisierten Welt nicht auch ein anderes Instrument den gleichberechtigen, vierten Platz einnehmen, so Stepf.

Weiterhin beschäftigt sich das Team mit der Frage: Wie kann man den Zuschauer so mit in eine Aufführung einbeziehen, dass er zum Akteur wird? „Wir fordern die Besucher, ob acht Jahre oder 80 Jahre, dazu auf, die Instrumente, etwa eine Fussschelle, an sich zu nehmen und den einen freien Platz in unserem Quartett einzunehmen. Wir nehmen die Distanz und heben die Hierarchie von Bühne und Zuschauer auf“, beschreibt Stepf. Der Besucher hat die Chance, im Ensemble einen Part zu übernehmen und mitzuspielen.

Eine Universitätssammlung zum Klingen zu bringen ist Teamarbeit: Für die Gesamtregie ist Verena Ries verantwortlich. So kann man mit dem Quartett zusammenspielen und mit den Instrumenten aus aller Welt auf Tuchfühlung gehen. An acht Hörstationen können sich die Besucher auf ein Instrument und dessen Klänge und Geschichte konzentrieren. „Man ist erschlagen von der Masse“, kommentiert Verena Ries die Instrumentensammlung. Sie hat ebenfalls in Hildesheim Kulturwissenschaften studiert und sich auf das Theater spezialisiert. Die Instrumente „sprechen“ mit den Besuchern, sobald man sich zur Hörstation begibt und die Kopfhörer aufsetzt, erhält der Besucher Handlungsaufforderungen. Für diese interaktive Animation haben der Erfinder und Soundkünstler Georg Werner und der Video- und Lichtkünstler Jörg Finger in den letzten Tagen viele Kabel verlegt und Leuchten installiert. Zum Beispiel für die Station „On the way to Gelassenheit“ – die Aufforderung an den Besucher: „Such dir jemanden und mache einen Spaziergang. Nimm die Shruti-Box mit.“ Die Studentin Anne-Sophie Malessa und der wissenschaftliche Mitarbeiter Samuel Mund haben die Sounds aus dem Musikarchiv herausgesucht, allein die Laade-Sammlung umfasst etwa 45.000 Schallplatten.

Mit ihrer künstlerischen Arbeit zeigt dieses Team einen Weg auf, um in der Masse der Sammlungsbestände den Wert der einzelnen Objekte und Klänge zu erfahren. Denn eine Sammlung besteht aus einer Vielzahl individueller Objekte. Kein Instrument gleicht dem anderen, kein Ton ist der gleiche. Um dies Vielfalt zu erfahren, lohnt sich der Besuch im Center for World Music.

Kurz erklärt: Interaktive Ausstellung „Hinter Glas“ von „Quartett PLUS 1“

Das „Quartett PLUS 1“ ist zu Gast im Center for World Music der Universität Hildesheim. Die Instrumente der Sammlung Rolf Irle treffen auf die Musikerinnen von „Quartett PLUS 1“. An einem Wochenende, für insgesamt 16 Stunden, laden die Musikerinnen zur interaktiven Ausstellung ein. Besucher können ausgewählten Instrumenten „hinter Glas“ wieder eine Stimme geben, sie aus den Vitrinen befreien und gleichzeitig die Grenzen des Streichquartett-Klangs erkunden.

An acht Stationen werden ausgewählte Instrumente, ausgehend von ihrem ursprünglichen Kontext und ihrer kulturellen Praxis, mit zeitgenössischen Sounds und performativen Anweisungen versehen. Über Kopfhörer werden die Besucher zu Handelnden – sie können die Instrumente ausprobieren und einen freien Platz im Streichquartett einnehmen. Denn dort fehlt die zweite Geige. Außerdem erleben die Besucher die Neukomposition „Scherben“ von Stefan Wurz für Streichtrio, Rahmentrommel und Feldaufnahmen aus der Sammlung Wolfgang Laade. Der Eintritt ist frei.

Wann? 12. und 13. August 2017, geöffnet von 11:00 bis 19:00 Uhr

Wo? Center for World Music der Universität Hildesheim, Timotheusplatz/Schillstrasse, 31141 Hildesheim

Kurz erklärt: Wer steckt hinter „Quartett PLUS 1“?

In ihrer Studienzeit in Hildesheim haben Musikerinnen das „Quartett PLUS 1“ gegründet. Seit 2006 arbeiten Lisa Stepf, Katharina Pfänder, Kathrina Hülsmann und Kristina van de Sand im Ensemble zusammen. Die Musikerinnen entwickeln seitdem interdisziplinäre Projekte und holen dabei weitere Künstlerinnen und Künstler ins Team, unter anderem aus den Bereichen Tanz, Theater, Video und Elektronik.

Medienkontakt: Pressestelle der Universität Hildesheim (Isa Lange, 05121.883-90100, presse@uni-hildesheim.de)


Die Vorbereitungen im Center for World Music der Universität Hildesheim laufen. Sie holen die Instrumente aus den Glasvitrinen (von links nach rechts): Lisa Stepf, Kathrina Hülsmann, Georg Werner, Verena Ries, Katharina Pfänder und Jörg Finger. Fotos: Isa Lange/Uni Hildesheim

Die Vorbereitungen im Center for World Music der Universität Hildesheim laufen. Sie holen die Instrumente aus den Glasvitrinen (von links nach rechts): Lisa Stepf, Kathrina Hülsmann, Georg Werner, Verena Ries, Katharina Pfänder und Jörg Finger. Fotos: Isa Lange/Uni Hildesheim