Urlaub: Zeit für Kunst selbst bei Alltags-Kulturmuffeln

Monday, 25. August 2014 um 11:47 Uhr

Einen Regentag überbrücken? Eben noch das „must see" im Reiseführer entdecken? Mehr über die Besonderheiten von Land und Leuten wissen? Welche Rolle Kultur in Urlaubsreisen spielt – nachgefragt bei Birgit Mandel, Professorin für Kulturmanagement an der Universität Hildesheim.

Ein Besuch im Museum am Wegesrand, die Besichtigung der alten Burg, ein Open Air Konzert im historischen Landschaftsgarten – auf Urlaubsreisen werden fast von jedem Menschen kulturelle Sehenswürdigkeiten wahrgenommen. Doch eine Urlaubsreise ist flüchtig – kann eine kurzweilige Beschäftigung mit Kultur auch über die Urlaubszeit hinaus Interesse an Kunst und Kultur wecken? Birgit Mandel, Professorin für Kulturvermittlung und Kulturmanagement an der Universität Hildesheim, untersucht, welche Rolle Kultur für den Tourismus spielt und wer die Kulturnutzer und Nichtbesucher sind. Sie beobachtet zum Beispiel, wie sich Veranstalter, Städte und Reiseanbieter aufstellen und ob Events oder „Hochkultur" überwiegen.

Obwohl nur etwa 5% aller Touristen zu den spezifisch Kulturinteressierten gehören, besuchen etwa 80% aller Urlaubsreisenden gelegentlich kulturelle Sehenswürdigkeiten und Kulturveranstaltungen. Neben Architekturbesichtigungen gehört die Museumsschau dazu – und sei es nur, um einen Regentag zu überbrücken. Theater- und Musikaufführungen – etwa der Besuch der Semperoper – werden während eines Städteurlaubs in Dresden oft zum Bestandteil des Gesamt­Urlaubs­Settings, so Birgit Mandel.

Eine häufige, von fast allen Touristen genutzte Form der Kulturvermittlung sind schriftliche Reiseführer. Sie bieten neben praktischen Serviceinformationen auch Hintergründe über Land, Leute, Kunst und Kultur. Über die Urlaubsreise lassen sich Menschen für Kunst und Kultur interessieren, die in ihrem Alltag keinen Zugang dazu finden, sagt Birgit Mandel. So zeigte etwa eine Befragung von Touristen im Schloss Charlottenburg, dass ein Großteil der touristischen Besucher kaum Vorwissen über und keine Fragen an das dort zu Erfahrene hatte. Das Gesamtambiente und die Markierung „must see" im Reiseführer trieb sie dort hin. Bei jenen, die an einer Führung teilnahmen, konnte signifikant stärker eigenes Interesse an den Themen geweckt werden. Sie verließen den Ort mit dem Vorsatz, sich daheim weiter damit zu beschäftigen.

Ein Blick zurück zeigt: Schon die „Grand Tour“ der Adligen im 17. und 18. Jahrhundert diente der Persönlichkeitsbildung. Sie dauerte in der Regel ein Jahr und wurde von einem Mentor als Kulturvermittler begleitet. So sollten das Weltbild erweitert, Kontakte geknüpft und interkulturelle Kompetenzen gestärkt werden. So viel Zeit ist heute nicht mehr: Die durchschnittliche Reisedauer beträgt knapp zwei Wochen, statt sich schreibend und zeichnend mit dem Sehenswürdigen auseinanderzusetzen, wird nebenbei geknipst, eine SMS-Botschaft versendet. „Der Tourismus unterscheidet sich deutlich von der klassischen Bildungsreise durch die Kürze der Reisezeit und seine Massenhaftigkeit, die andere Formen der Aneignung von Kultur hervorbringen musste“, sagt Professorin Mandel. Durch die Tourismusindustrie und die Massenmedien sei „die Welt für Touristen im Angebot aufbereitet“. Und dennoch gibt es auch hier Spielräume für individuelle Aneignungsprozesse. Dabei beobachtet Brigit Mandel neue Trends. So entstanden in den letzten Jahren „interkulturelle Tourismusformen" wie das informelle Couch-Surfing, wo vor allem junge Reisende über private Kontakte und Wohnen in privatem Umfeld eine Stadt oder ein Land kennenlernen.

In ihre Forschung bindet die Wissenschaftlerin Studierende aus dem Master „Kulturvermittlung" ein. Sie erproben neue Wege der Vermittlung im  Kulturtourismus. Mit ihnen entdeckt man in Städtetouren neue Perspektiven auf das „Sehenswürdige“ etwa in einem leerstehenden Einkaufszentrum statt im Schloss gegenüber – eine Stadtführung, die die Studierenden zum Beispiel in Wolfenbüttel als Teil einer Konferenz „Kultur im Massentourismus" entwickelt haben. Im Wintersemester 2014/15 untersuchen die angehenden Kulturvermittler an der Hildesheimer Universität im Seminar von Birgit Mandel, was das Sehenswürdige einer Stadt ausmacht, durch welche Symbole ihre Identität markiert wird, wer diese bestimmt und wie sich neue Perspektiven und neue Aneignungsweisen einer Stadt entwickeln lassen. Dabei setzen die Studierenden vor Ort an. Sie entwickeln Routen für touristische Besucher und für Einheimische und erproben sie während des Stadtjubiläums im Frühjahr 2015 im offiziellen Programm von „1200 Jahre Hildesheim“.

Lesetipp – detaillierte Hintergrundinformationen in:

Birgit Mandel, „Tourismus und Kulturelle Bildung. Potentiale, Voraussetzungen, Praxisbeispiele und empirische Erkenntnisse", München 2012

„Kulturelle Bildung im Tourismus“, Beitrag von Brigit Mandel im Internetportal „Kulturelle Bildung Online“

Weltkongress der Kulturpolitikforschung

Die größte Konferenz für kulturpolitische Forschung macht nach Montreal, Istanbul und Barcelona im Herbst in Niedersachsen Station: Vom 9. bis 12. September 2014 richtet die Universität Hildesheim auf dem Kulturcampus, einer mittelalterlichen 650 Jahre alten Burganlage, den Weltkongress der Kulturpolitikforschung iccpr2014 aus. Am 12. und 13. September wird der Kongress in Berlin fortgeführt. 400 Experten aus rund 60 Ländern werden insgesamt erwartet. In 75 parallelen Foren diskutieren sie über Kulturpolitik und Transformationsprozesse, kulturelle Bildung und Partizipation.


Schloß Charlottenburg in Berlin: Eines der von ausländischen Touristen am stärksten besuchten Berliner Museen. Unter welchen Bedingungen Kulturvermittlung im Massentourismus gelingen kann, damit befassen sich Forscher an der Universität Hildesheim. Foto: Jana Mandel

Schloß Charlottenburg in Berlin: Eines der von ausländischen Touristen am stärksten besuchten Berliner Museen. Unter welchen Bedingungen Kulturvermittlung im Massentourismus gelingen kann, damit befassen sich Forscher an der Universität Hildesheim. Foto: Jana Mandel

Schloß Charlottenburg in Berlin: Eines der von ausländischen Touristen am stärksten besuchten Berliner Museen. Unter welchen Bedingungen Kulturvermittlung im Massentourismus gelingen kann, damit befassen sich Forscher an der Universität Hildesheim. Foto: Jana Mandel