Theater dient nicht nur der Unterhaltung

Friday, 05. September 2014 um 10:53 Uhr

Theater kann das Verhalten von Menschen verändern, nicht sofort, aber es ist eine Plattform, um das jetzige Verhalten zu reflektieren, sagt der nigerianische Forscher Ofonime Inyang. „Theater dient nicht nur der Unterhaltung.“ Welche Aufgaben haben die Künste und Künstler in der Gesellschaft? Antonia Schreiner traf zwei junge Kulturpolitikforscher während ihres Forschungsaufenthalts an der Universität Hildesheim.

Christiaan De Beukelaer versucht in seiner Forschung drei Arbeitsschwerpunkte zu verbinden: Kulturpolitik, Musik und „human development“. Wieso genau diese Kombination? „Es wird viel über die guten Dinge geredet, die Kultur für die Bevölkerung tut. Ich bin damit auch einverstanden, allerdings stehe ich diesem auch skeptisch gegenüber. Es wird oft verallgemeinert, dass Kultur für alles gut ist. Ich versuche, tiefer zu gehen und hinter die optimistischen Politikreden zu schauen, was wirklich in dieser Hinsicht getan werden kann. Wie viel von den Anforderungen überhaupt aufrechterhalten werden und wie viele einfach nur da sind“, sagt Christiaan De Beukelaer. Er ist Doktorand an der University of Leeds in England und seit Juni 2014 für vier Monate als „DAAD Visiting Researcher“ am Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim.

In Burkina Faso und Ghana untersucht der junge Forscher, unter welchen Bedingungen Künstlerinnen und Künstler arbeiten. Um das herauszufinden sucht er Künstler an ihren Arbeitsplätzen auf. Er will wissen, wie Künstler gefördert und unterstützt werden. „Ich gehe auf Konzerte, rede mit den Leuten und versuche zu verstehen, wie die Künstler in ihrer Arbeitsumgebung, zum Beispiel in Studios, arbeiten“, so der Nachwuchswissenschaftler.

Burkina Faso, Ghana, Großbritannien, Belgien – und nun Deutschland. In Hildesheim forscht Christiaan De Beukelaer vier Monate am Institut für Kulturpolitik. Hier ist der UNESCO-Lehrstuhl „Culture Policy for the Arts in Development“ (Kulturpolitik für die Künste innerhalb gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse) angesiedelt. Er erhält dafür ein DAAD Stipendium, hatte zuvor aus Leeds Kontakt zu den Kollegen aus Hildesheim aufgenommen und sich dann erfolgreich auf das Stipendium beworben. Wenn sich im September Kulturwissenschaftlerinnen und Kulturwissenschaftler aus aller Welt in Hildesheim zum 8. Weltkongress für Kulturpolitikforschung treffen, wird De Beukelaer auch dabei sein und einen Vortrag über die Nutzung und Umsetzung des Konzepts der Kultur- und Kreativindustrien in den Kulturpolitik- und Entwicklungsplänen halten. „Die Möglichkeit zu haben, mit Forschern zu reden, die wissen, was ich tue, gefällt mir sehr. Hier gibt es einige, die eine Menge davon verstehen und die meine Arbeit mit alle Aspekten betrachten“, so der junge Forscher.

Was ihn an Hildesheim begeistert ist das „viele Grüne“. Er kann einfach einen Spaziergang in dem nahe gelegenen Wald machen. Eine schöne Pause nach einem arbeitsreichen Tag an seiner Dissertation.

Während Christiaan De Beukelaer sich gerne mal zur Pause auf einen Spaziergang in den Wald begibt, schwingt sich der nigerianische Forscher Ofonime Inyang aus Südafrika auf das Fahrrad und strampelt wie alle anderen durch Hildesheim.

„Was ich mache? Ich forsche, inwiefern Kulturpolitik ein wichtiges Instrument für das Theater in Entwicklungsländern werden kann. Dabei spezialisiere ich mich auf das Gebiet in Afrika südlich der Sahara“, sagt Ofonime Inyang. Er ist Doktorand am Institut für Theater- und Filmwissenschaft an der Tshwane University of Technology in Pretoria, Südafrika.

Ofonime Inyang forscht über ländliche Gruppen in Südafrika und Nigeria, die massive Entwicklungsprobleme in der Umwelt haben. Dabei spezialisiert er sich auf drei Umweltprobleme: Wasserverschmutzung, Rodung und Bodenabnutzung. „Diese drei sind die Themen, die dringend behandelt werden müssen.“ Er möchte mit Theateraufführungen gegen diese Probleme angehen. „Ich denke, dass Theater das Verhalten der Menschen verändern kann, auch wenn es nicht sofort etwas verändert. Es ist eine Plattform, die es möglich macht, das jetzige Verhalten zu reflektieren und das zukünftige zu ändern. Wenn Menschen zu einer Aufführung kommen, gehen sie mit etwas Neuem nach Hause. Etwas ist in ihrem Gedächtnis geblieben, von dem, was sie gesehen haben. Manchmal wissen sie es nicht einmal, aber manchmal denkt man noch lange darüber nach“, so der Nachwuchswissenschaftler.

In Nigeria sind Diskussionsrunden nach der Theatervorstellung üblich. Die Besucher reden über die Vorführung. Sie diskutieren dann, wie es möglich ist, gegen die häufig sehr ähnlichen Probleme der afrikanischen Länder südlich der Sahara anzukämpfen; welche Handlungen richtig sind und welche falsch und welche Charaktere mit den Problemen am besten umgegangen sind.

Ofonime Inyang besuchte drei Orte, die in der Landwirtschaft und im Fischfang im südlichen Nigeria arbeiten: „Ich bin dahin gefahren und habe mit den Leuten vor Ort gesprochen.“ Inyang bezeichnet dieses Forschen vor Ort „active research“. „Sie waren glücklich, dass sich wenigstens einer für ihre Probleme und Entwicklungsschwierigkeiten interessiert und dagegen ankämpfen will. Also bin ich in die Orte und habe ihnen erzählt, was ich mache und wieso ich hier bin. Man muss sehr vorsichtig sein, wenn man in eine geschlossene Gemeinde geht. Das heißt, ich musste einen Weg finden, mit ihnen zu leben: essen, was sie essen; trinken, was sie trinken; die gleiche Sprache sprechen oder jemanden finden, der übersetzen kann. Du musst ein Vertrauen aufbauen, denn erst dann öffnen sie sich und fangen an zu erzählen. Ich habe es geschafft und wurde einer der ihren.“ Inyang erzählt, dass es am besten sei, wenn man genau dann mit den Menschen spricht, wenn sie bei ihrer alltäglichen Arbeit sind. Er hat bei der Arbeit mitgeholfen, auch wenn das einmal heißt, ein Fischernetz zu reparieren oder Löcher in den Acker zu hauen. „Ich war sechs Monate dort und habe mit ihnen gelebt und gearbeitet, aber der Prozess geht auch danach noch weiter. Es ist nicht genug, vor Ort  gewesen zu sein, ich muss zurückgehen und schauen, ob sich etwas verändert hat und was es bewirkt hat. Welche Effekte es hat und wie sich das Verhalten ändert“, so der Forscher.

Durch diesen Aufenthalt und das Leben in den Dörfern hat Ofonime Inyang es geschafft, eine Basis für seine Forschung aufzubauen. Er hat mit ihnen ein Theaterstück produziert, welches versucht, gegen die Umweltprobleme anzugehen. Er ist überzeugt davon, dass Theater vielen Dingen die richtige Perspektive geben kann und somit Menschen darauf aufmerksam machen kann, zu handeln: „Theater ist ein starkes Instrument, es dient nicht nur der Unterhaltung. Ich bin der Meinung, dass Theater die Umweltprobleme stoppen kann. Es wird schwer, aber ich denke, es wird funktionieren, da Theater die Menschen anlockt und jeder interessiert an einer guten Geschichte ist.“

Wieso er nach Hildesheim gekommen ist – Ofonime Inyang lacht. „Ich muss gestehen, dass ich noch nie in meinem Leben von einer Stadt namens Hildesheim gehört hatte. Aber ich habe zwei Forscher, Professor Wolfgang Schneider und Daniel Gad, kennengelernt, die an meiner Universität in Südafrika einen Vortrag in meinem Fachbereich über Kulturpolitik gehalten haben. Während der Diskussionsrunde habe ich mich mit ihnen ausgetauscht und sie haben mir von dem DAAD-Stipendium erzählt. Ich habe mich darauf beworben und bin jetzt für vier Monate in der kleinen Stadt Hildesheim.“ Er ist fasziniert, dass es so viele Kollegen gibt, die sich in seinem Gebiet auskennen und es möglich ist, sich auszutauschen. Außerdem besucht er gerne Theatervorstellungen und war sehr begeistert von dem Projektsemester „Verschwendung“. Am besten gefällt ihm, dass alle mit dem Fahrrad fahren, ganz gleich ob Professor, Arzt, Student oder Kind.

Auf dem kulturpolitischen Weltkongress wird Ofonime Inyang darüber sprechen, was notwendig ist, damit Theater eine gesellschaftliche Funktion einnehmen und somit etwas verändern kann.

Info: Abfahren

Wann und wie man einen Auslandsaufenthalt in das Studium integrieren kann – das Team des International Office berät Studierende, wo es hingehen kann und wie man den Aufenthalt plant und finanziert. Etwa 170 Partnerhochschulen gehören zum Netzwerk. Türkisch, Schwedisch, Polnisch, Chinesisch: Das „Sprachenforum" bietet Sprachkurse auf unterschiedlichen Niveaustufen. Hildesheimer Studierende betreuen wiederum als „Buddy" ausländische Studierende aus Afghanistan, Frankreich oder Tadschikistan, um
ihnen das Ankommen in Deutschland zu erleichtern. Erste Informationen zu Partnerunis, Förderprogrammen und Erfahrungsberichten finden Sie online.


Durch Theater über Umweltprobleme sprechen: Ofonime Inyang hat mit Menschen in drei nigerianischen Orten ein Theaterstück produziert, welches versucht, gegen die Umweltprobleme anzugehen. Christiaan De Beukelaer untersucht in Burkina Faso und Ghana, unter welchen Bedingungen Künstlerinnen und Künstler arbeiten. Beide kamen für einen mehrmonatigen Forschungsaufenthalt nach Hildesheim, um sich mit den Forschern am Institut für Kulturpolitik auszutauschen. Fotos: Antonia Schreiner/Uni Hildesheim

Durch Theater über Umweltprobleme sprechen: Ofonime Inyang hat mit Menschen in drei nigerianischen Orten ein Theaterstück produziert, welches versucht, gegen die Umweltprobleme anzugehen. Christiaan De Beukelaer untersucht in Burkina Faso und Ghana, unter welchen Bedingungen Künstlerinnen und Künstler arbeiten. Beide kamen für einen mehrmonatigen Forschungsaufenthalt nach Hildesheim, um sich mit den Forschern am Institut für Kulturpolitik auszutauschen. Fotos: Antonia Schreiner/Uni Hildesheim

Durch Theater über Umweltprobleme sprechen: Ofonime Inyang hat mit Menschen in drei nigerianischen Orten ein Theaterstück produziert, welches versucht, gegen die Umweltprobleme anzugehen. Christiaan De Beukelaer untersucht in Burkina Faso und Ghana, unter welchen Bedingungen Künstlerinnen und Künstler arbeiten. Beide kamen für einen mehrmonatigen Forschungsaufenthalt nach Hildesheim, um sich mit den Forschern am Institut für Kulturpolitik auszutauschen. Fotos: Antonia Schreiner/Uni Hildesheim