Post für die Universität

Friday, 24. October 2014 um 16:09 Uhr

Das Internet kann persönliche Begegnungen nicht ersetzen, sagen Yuki Akino aus Japan, Vivian Makowka aus der Türkei/Deutschland, Ofonime Inyang aus Nigeria/Südafrika und Hossam Fazalla aus Ägypten. An der Universität Hildesheim wachsen Beziehungen in andere Länder. Im Gespräch mit den vier Kulturpolitikforschern erfuhr Isa Lange, warum sie die Verbindungen zur Stadt halten wollen.

Vor zehn Jahren erhielt sie eine E-Mail aus der Universität, für die junge japanische Wissenschaftlerin war der 22. Januar der Anfang für ein Leben in Hildesheim. Doch die Geschichte beginnt früher. „Kulturpolitik war in Japan als Wissenschaft nicht etabliert, Bücher nur auf Deutsch vorhanden, etwa die 'Kultur für alle'. Als ich hörte, das an der Hildesheimer Universität der einzige deutsche Lehrstuhl für Kulturpolitik angesiedelt ist, wollte ich dort hin“, sagt Yuki Akino, die Ballett tanzt und die deutsche Sprache in ihrer Heimat studiert hat. Aber wie nimmt man Kontakt auf, wenn zuvor noch keinerlei Verbindungen bestehen? Statt elektronischer Post entscheidet sich Akino für Papier, das sei höflicher. „Ich habe einen Brief in deutscher Sprache an Professor Wolfgang Schneider geschrieben.“

Statt elektronischer Post: Yuki Akino schrieb einen Brief

Flux kam die Email zurück – und ein Jahr später forscht Akino als Doktorandin am Institut für Kulturpolitik und untersucht, wie in Frankfurt „Kultur für alle“ entsteht und wie Museen und Theater auf Stadtteile und Schulen zugehen. Während sie in ihrer Doktorarbeit die  Museumspolitik und Kulturvermittlung in einer Bankmetropole untersucht und Interviews mit Kulturakteuren führt, schätzt Akino die 100.000-Einwohner-Stadt in Niedersachsen und „die lebendigen und experimentellen Projekte von Studierenden“. „Ich konnte schnell die Stadt entdecken, weil ich mit einer Mitarbeiterin des Theaters und einem Studenten in einer WG gewohnt habe, und neben dem Roemer- und Pelizaeus-Museum auch soziokulturelle Initiativen wie die Kulturfabrik entdeckt habe.“

Heute sind es ihre Studierenden, die über das Internet auf Hildesheim aufmerksam werden. Seit einem Jahr lehrt Yuki Akino als Assistenzprofessorin nahe Tokyo Kultur- und Medienpolitik an der Dokkyo Universität. „Eine meiner Studentinnen hat im Internet nach einer Universität recherchiert und Hildesheim entdeckt, wegen der Einbeziehung der Künste im Studium. Neulich kam sie zu mir: Da will ich hin, kennen Sie die Uni? Da musste ich schmunzeln. Hier studiert sie nun seit dem Herbst Kulturwissenschaften und vergleicht, nach der Atomkatastrophe in Fukushima, Nachrichten in japanischen und deutschen Medien.“ Akinos Brief vor zehn Jahren war der Anfang für einen Austausch. So nahmen allein am kulturpolitischen Weltkongress in diesem Jahr 30 japanische  Professorinnnen und Professoren sowie Promovierende teil. Berlin sei hektisch; in Hannover gebe es bei der Frage nach dem Weg kaum Antwort. „In Hildesheim hilft mir eine freundliche ältere Dame“, sagt Akino.

„Wenn du an einem Ort ankommst, dann versuche ihn zu lieben"

Mehrere Monate bleibt der nigerianische Forscher Ofonime Inyang in der Stadt: Er schwingt sich auf sein Fahrrad und strampelt wie alle anderen entlang der Innerste und an Wiesen vorbei Richtung Domäne Marienburg. Am besten gefällt ihm, dass „alle mit dem Fahrrad fahren, ganz gleich ob Professor, Arzt, Student oder Kind.“ Der Doktorand der südafrikanischen Tshwane University of Technology bleibt für einen viermonatigen Forschungsaufenthalt an der Universität Hildesheim. Als ihn ein Hannoveraner vom Flughafen abholte, befürchtete dieser, ob sich der junge Forscher in einer kleinen Stadt wohlfühle.

„Ich kam in Hildesheim an, sah das Grün, die Wälder, die Burg, auf der Kulturwissenschaftler studieren: Wow. Manchmal gehe ich durch die Straßen, gehe verloren, frage Menschen, welche Pflanzen hier wachsen, wenige sind zurückhaltend. Wenn du an einem Ort ankommst, dann versuche ihn zu lieben“, meint der Kulturpolitikforscher.

Online vernetzt: Die persönlichen Begegnungen überdauern den Aufenthalt

Ofonime Inyang untersucht, wie Menschen in ländlichen Gebieten in Südafrika und Nigeria durch kulturelle Initiativen über Umweltprobleme nachdenken. Mit Bewohnern in drei nigerianischen Dörfern hat er Theaterstücke über Wasserverschmutzung, Rodung und Bodenabnutzung produziert. „Theater ist ein starkes Instrument und eine Plattform, um das Verhalten zu reflektieren. Es dient nicht nur der Unterhaltung, sondern kann zum Handeln auffordern“, sagt Inyang.

„Ich muss gestehen, dass ich noch nie in meinem Leben von einer Stadt namens Hildesheim gehört hatte. Aber ich habe Professor Wolfgang Schneider und Daniel Gad kennengelernt, die an meiner Universität in Südafrika einen Vortrag über Kulturpolitik hielten, und dann habe ich ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes erhalten.“ Mit Studierenden tauscht er sich aus, „wie Theater auf gesellschaftliche Entwicklungen antwortet“ und besucht Theateraufführungen in der Innenstadt. „Die Begegnungen reichen über meinen Aufenthalt in Hildesheim hinaus. Ich bin mit den Studierenden online vernetzt. Die digitale Revolution ist ein Segen, aber sie kann die persönlichen Begegnungen nicht ersetzen. Deshalb bin ich in Hildesheim.“ Studierende sollten die Möglichkeiten haben, sich in die Augen zu sehen, ein Seminarraum könne nicht durch Online-Kurse ersetzt werden, meint Inyang.

Verbindungen sollen nach dem Studium nicht abbrechen

„Durch Hildesheim habe ich meine Liebe zur Türkei aufgebaut“, sagt Vivian Makowka, die über das kulturpolitische Studium an der Universität Hildesheim zum Praktikum nach Istanbul kam und nun ihre Masterarbeit an der Bilgi-Universität Istanbul schreibt. Am dortigen Goethe-Institut hat sie das Kulturnutzungsverhalten der Deutschkurs-Teilnehmer untersucht, 220 Teilnehmer aus 24 Kursen befragt. Die Ergebnisse sind ernüchternd: Die zumeist jungen und höher gebildeten Teilnehmer der Deutschkurse haben zu einem Großteil entweder noch nichts von den kulturellen Angeboten des Hauses gehört oder zeigen kein Interesse an diesen. Eine Ursache könne in der mangelnden Vernetzung der Sprach- und der Programmarbeit des Institutes liegen, etwa im Marketing.

Nach dem Studium sollen die Verbindungen nicht abbrechen, sie wolle junge Leute in den Städten zusammenbringen: Derzeit entwickelt Vivian Makowka ein länderübergreifendes Kulturprojekt, um ein gegenseitiges Kennenlernen zwischen Gymnasialschülern aus Hildesheim und Istanbul zu unterstützen. Dabei sollen Studierende der Kulturvermittlung die Begegnungen begleiten.

Istanbul sei extrem groß; Hildesheim extrem klein – wie eine Familie, hier entstehen Gallerien in privaten Wohnzimmern. „In Istanbul findet viel Kunst selbstorganisiert und eher untergründig statt“, sagt die gebürtige Nürnbergerin. So hatte etwa der bekannte türkische Komponist und Pianist Fazil Say ein Gerichtsverfahren am Hals, da er über Twitter „die Religion beleidigende“ Kommentare geäußert habe. Kunst im öffentlichen Raum gewinnt an Bedeutung: Über soziale Online-Medien verbreitete sich etwa nach den Protesten im Gezi-Park der stille und freidliche Protest des Performance-Künstlers Erdem Gündüz als „Duran Adam“ (Stehender Mann). Seither finden viele Demokratie- und Mitbestimmungsforen in Istanbul statt, berichtet Vivian Makowka.

Super-aufgeregt: Freiräume, um sich auszutauschen

Er sei sehr begeistert, in Hildesheim sprechen zu können, aber auch „super-aufgeregt“. Hossam Fazalla sitzt inmitten von etwa 60 Kulturpolitikforschern und Kulturschaffenden, überwiegend aus dem arabischen Raum, aus Tunesien, Syrien, Libanon, Ägypten, Irak, Marokko, und fährt seinen Laptop hoch. Ein Bild ploppt auf: „Zensur der Kreativität“ steht über einer Hand, die mit einer Schere an einem farbigen Band  ansetzt – übrig bleibt ein reines weißes Band, ohne jeden Makel. In Hildesheim stellt Fazalla Ergebnisse aus seiner „Studie über die Zensur des künstlerischen Ausdrucks in Ägypten“ vor, die Universität Hildesheim biete ihm eine Plattform um offen über kulturpolitische Entwicklungen in seinem Land zu sprechen.

Es könne sein, das ihm „vor Aufregung die Stimme wegbricht“, sagt Fazalla. Der junge Ägypter forscht in der Organisation „Freedom of thought and expressions" (Freiheit von Gedanken und Ausdruck) über die Freiheit, sich auszudrücken, befasst sich mit dem legalen Rahmen für künstlerische Arbeit. Mit Künstlerinnen und Künstlern, die sich in einem Dutzend Ländern Nordafrikas zur „Arab Cultural Policy Group“ zusammengeschlossen haben, arbeitet das Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim zusammen. In Forschungsateliers tauschen sie sich darüber aus, wie Infrastruktur für die Künste aufgebaut, wie Künstler unterstützt und wie die Teilhabe an Künsten gemanagt werden kann.

Akademisch Abfahren: Wie man einen Auslandsaufenthalt plant

Wann und wie man einen Auslandsaufenthalt in das Studium integrieren kann – das Team des International Office berät Studierende, wo es hingehen kann und wie man den Aufenthalt plant und finanziert. Etwa 150 Erasmus-Partnerhochschulen gehören zum Netzwerk, weltweit arbeitet die Universität mit etwa 250 Partnerhochschulen zusammen. Türkisch, Schwedisch, Polnisch, Chinesisch: Das „Sprachenforum“ bietet Sprachkurse auf unterschiedlichen Niveaustufen. Hildesheimer Studierende betreuen wiederum als „Buddy“ ausländische Studierende aus Afghanistan, Frankreich, Madagaskar oder Tadschikistan, um ihnen das Ankommen in Deutschland zu erleichtern. Online kann man sich durch Partnerunis, Förderprogramme und Erfahrungsberichte klicken.


Viele Wege führen nach Hildesheim: Yuki Akino aus Japan, Vivian Makowka aus der Türkei, Ofonime Inyang aus Nigeria/Südafrika und Hossam Fazalla aus Ägypten im Herbst 2014 auf dem Kulturcampus Domäne Marienburg. Fotos: Isa Lange/Uni Hildesheim

Viele Wege führen nach Hildesheim: Yuki Akino aus Japan, Vivian Makowka aus der Türkei, Ofonime Inyang aus Nigeria/Südafrika und Hossam Fazalla aus Ägypten im Herbst 2014 auf dem Kulturcampus Domäne Marienburg. Fotos: Isa Lange/Uni Hildesheim

Viele Wege führen nach Hildesheim: Yuki Akino aus Japan, Vivian Makowka aus der Türkei, Ofonime Inyang aus Nigeria/Südafrika und Hossam Fazalla aus Ägypten im Herbst 2014 auf dem Kulturcampus Domäne Marienburg. Fotos: Isa Lange/Uni Hildesheim