Mit dem Urheber auf der Bühne

Thursday, 22. January 2015 um 20:30 Uhr

Dichten und denken, reimen und rappen: Die modernen Dichter unterliegen den Regeln der Bühne, Poetry Slam ist Bühnenhandwerk – dazu gehört, mit Stimme, Gesten und Raum zu arbeiten. Was machen Klang und Rhythmus mit einem Text? Isa Lange traf die Studenten, die hinter dem Wortewettstreit an der Uni stecken. Künftig soll das Format auch in Hildesheim einen Platz haben.

„Wir holen die Literatur aus einem verstaubten Kontext“, sagt Tilman Döring, der an der Universität Hildesheim „Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus“ studiert und den ersten Poetry Slam an der Universität organisiert. Döring ist einer der jüngsten alten Hasen in der Szene, seit zehn Jahren als Slam-Poet unterwegs. Zwei Wochen vor der Wende 1989 geboren ist er „der letzte DDR-Lyriker“. Deutschland habe eine der weltweit größten Poetry Slam Szenen. „Statt einer Lesung mit Wasserglas entsteht ein offenes Format. Und: Wir integrieren das Publikum, das ist eine andere Art der Literaturvermittlung, Wir regen eine starke Diskussion an.“ Das Publikum sei in seiner „leiblichen Kopräsenz“ nicht berechenbar, der eine jubelt während sein Nachbar mit dem Beitrag nicht mitgeht. Der 25-Jährige ist nicht nur deutschlandweit auf den Poetry-Bühnen unterwegs – er bringt auch frischen Wind in traditionelle Kultureinrichtungen. Etwa im Staatstheater Darmstadt, wo er Goethes Faust in eine moderne Fassung brachte und als Bauersjunge rappte. Wie geht man im modernen Dichterwettstreit mit Sprache um?

Den Poetry Slam an der Hildesheimer Universität bereitet Tilman Döring gemeinsam mit Stefan Dörsing und Moritz Wigger vor. Wigger, 24, in Berlin geboren, studiert seit einem Jahr „Szenische Künste“ in Hildesheim. Sein Hauptfach Theater kombiniert er mit Medien und Literatur, die vielen Praxisanteile mit wissenschaftlichen Texten. Im Projektsemester war er für die Aufnahmeleitung einer Webserie zum Thema Verschwendung verantwortlich. „Die modernen Dichter unterliegen den Regeln der Bühne, es ist nicht nur Literatur. Poetry Slam ist Bühnenhandwerk – dazu gehört, einen Text zu sprechen, mit Stimme, Gesten und Raum zu arbeiten.“

Alles improvisiert? Nein, Tilman Dörings Texte entstehen am Schreibtisch. Tilman Döring nennt ein Beispiel, die Worte klingen wenn er spricht: „Spiele den Walzer und singe dazu, lass uns schunkeln und lachen und feiern Malou.“ Ob es Texte gebe, die zu viel oder zu wenig Mikrofon abbekommen? Wie muss ein Text sein, damit er seinen Platz auf einem Poetry Slam einnimmt? „Eine Kurzgeschichte vorzulesen funktioniert nicht. Es gibt keine Vorgabe, ob jemand eher leise oder laute Töne anschlagen sollte. Ich beobachte viele gute komische Text, und manche ernste Texte die einfach nur Schrott sind.“

Der Text steht dann nicht mehr nur schwarz auf weiß für sich, er ist mit seinem Urheber auf der Bühne und wird ausgesprochen. Was machen Klang, Tonhöhen, Geräusche und Rhythmus mit dem Text? Ein guter Slamtext sei wie ein Popsong, sagt Döring. „Ich kann in Lautstärke springen, ich kann mit Klangfarbe und Rhythmus ‚Ich liebe dich‘ interpretieren. Dalibor Markovic integriert zum Beispiel Beatbox in seine Lyrik und macht eine Soundatmosphäre auf.“

„Slam ist scheinbar solo, im Gegensatz zum Theater. Für Kinder und Jugendliche ist das Schreiben eine Chance, als Lehrender kann ich Raum schaffen, in dem sich Kinder mit sich selber auseinandersetzen“, sagt Tilman Döring, der Workshops an Schulen und in Jugendzentren gibt und auch mit Analphabeten in der JVA in Bayern gearbeitet hat. „Schreiben ist Auseinandersetzung mit dir und der Welt, aber da muss man erst einmal hinkommen und dazu gehört Training.“ Auf der professionellen Slam-Bühne finde man viele gesellschaftskritische und politische Texte, weniger selbstreferentielle Beiträge. Schreibanfänge gehen von einer Person aus. „Du hast Recht. Stell eine These auf, wenn du schreibst!“, motiviert Tilman Döring seine Schützlinge – von denen manche mittlerweile auch bundesweit als Slammer unterwegs sind, etwa Jule Weber aus Darmstadt, die mittlerweile die internationalen deutschsprachigen U20-Poetryslam-Meisterschaften gewann. Im Deutschförderkurs an einer Hauptschule haben sich die Schüler zunächst zugehört, dann mit Wörtern jongliert. Das sei beeindruckend, so Döring. „Die haben sehr experimentelle Themen bearbeitet.“ Eine Schülerin schrieb einen Text über Freisein: „Frei sein ohne high sein.“ Ein anderer sprach über Selbstidentität: „Ich kann nicht sein wie die anderen. Ich will nicht sein wie die anderen.“ Die Jugendlichen arbeiten an Texten aus ihrer Lebenswelt, schreiben über Freundschaft und produzieren sehr medienkritische Texte über „Überkommunikation“, die Nutzung von Facebook und Handys, erzählt Tilman Döring. „An Texten von Jugendlichen sieht eine Gesellschaft: Was beschäftigt eigentlich diese junge Generation?“

„Wenn ich mit Jugendlichen arbeite, bin ich immer wieder begeistert von dieser Power“, ergänzt Moritz Wiggers. Bei der letzten Probe sagte ein Jugendlicher: „Du bist Hamlet!“ und sein Gegenüber: „Okay, klar. Los.“ Der Theaterstudent arbeitet mit Jugendlichen, von der Hauptschule bis zum Gymnasium. Dabei fällt ihm auf: Gerade aus Krisen und schwierigen Lebenslagen entstehen starke und bewegende Arbeiten. Er hat vor dem kulturwissenschaftlichen Studium in Hildesheim ein Freiwilliges Soziales Jahr bei der Theaterpädagogik an der Schaubühne in Berlin absolviert. „Es geht nicht um schlecht und gut, sondern darum, Vertrauen aufzubauen, sich fallen lassen zu können. Denn die Künste offenbaren viel von der Person. Da gehört schon Mut zu, sich vor fremden Leuten auf die Bühne zu stellen.“

Mit dem Internet entstehen auch für den Poetry Slam neue Wege, um teilzuhaben. Ein Klick und ein Video geht um die Welt, etwa der Hype um eine Bielefelder Studentin, die in einem rhythmitisierenden Beitrag über das Alt werden sprach. Über die sozialen Netzwerke verbreitete sich der Clip über 7 Millionen Mal. „Slam ist live. Ein abgefilmtes Theaterstück ist auch nicht dasselbe“, sagt Moritz Wiggers. Eine Einladung, vor Ort zu sein. Etwa beim nächsten Slam. Beim ersten – an der Universität Hildesheim.

Moderator Stefan Dörsing im Einsatz. Foto: Alex Urban

Gerappt, gereimt, lustig erzählt: Poetry-Slam in Hildesheim

8 Poeten, 6 Minuten, 1 Mic und das Publikum bestimmt den Sieger. Ob gerappt, gereimt, lustig erzählt oder stammtischphilosophiert: Beim Poetry-Slam ist alles erlaubt, was mit Sprache und Stimme möglich ist. Erstmals ist der Hildesheimer Poetry-Slam am Freitag, 23. Januar 2015 ab 20:00 Uhr (Einlass 19:30 Uhr, 5 Euro) zu Gast im Audimax am Hauptcampus der Universität Hildesheim. Den Wortewettstreit moderieren Tilman Döring und Stefan Dörsing. Sie präsentieren eine bunte Mischung aus Slamstars und Neulingen. Auf der Bühne stehen an diesem Abend: Leah Diba (Gießen), Jason Bartsch (Bochum), Jule Weber (Darmstadt), Lennart Hamann (Hamburg), Thorben Schulte (Göttingen), Tom Schildhauer (Köln), Sebastian Standke (Hildesheim), Team derwerk (Hildesheim), Carsten Pölking (Hildesheim). Das Online-Portal Litradio nimmt den Slam auf.

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„An Texten von Jugendlichen sieht eine Gesellschaft: Was beschäftigt eigentlich diese junge Generation?“, sagt Tilman Döring, der an der Hildesheimer Uni Kreatives Schreiben studiert und mit Jugendlichen an Texten arbeitet. Auch Theaterstudent Moritz Wiggers (li) erkennt eine besondere Kraft in manchen jungen Schreibern. Audimax: noch leer, am Freitagabend startet der erste Poetry-Slam. Fotos: Isa Lange/Uni Hildesheim

„An Texten von Jugendlichen sieht eine Gesellschaft: Was beschäftigt eigentlich diese junge Generation?“, sagt Tilman Döring, der an der Hildesheimer Uni Kreatives Schreiben studiert und mit Jugendlichen an Texten arbeitet. Auch Theaterstudent Moritz Wiggers (li) erkennt eine besondere Kraft in manchen jungen Schreibern. Audimax: noch leer, am Freitagabend startet der erste Poetry-Slam. Fotos: Isa Lange/Uni Hildesheim

„An Texten von Jugendlichen sieht eine Gesellschaft: Was beschäftigt eigentlich diese junge Generation?“, sagt Tilman Döring, der an der Hildesheimer Uni Kreatives Schreiben studiert und mit Jugendlichen an Texten arbeitet. Auch Theaterstudent Moritz Wiggers (li) erkennt eine besondere Kraft in manchen jungen Schreibern. Audimax: noch leer, am Freitagabend startet der erste Poetry-Slam. Fotos: Isa Lange/Uni Hildesheim