Literaturfestivals organisieren: Energie, Ideenreichtum, Erfahrung

Monday, 29. September 2014 um 08:24 Uhr

Für das Gelingen von kulturellen Festivals sind Motivation und Erfahrung entscheidend und wie Unternehmer oder Studierende Entwicklungen in ihrer Lebenswelt „sensibel aufgreifen und vermitteln", sagt Hans Elbeshausen. Aus der neuen Serie „Wissenschaft im Dialog“ – Matthias Friedrich sprach mit dem Wissenschaftler, der in Kopenhagen über Kulturunternehmer forscht.

Herr Elbeshausen, im September 2014 haben Sie in Hildesheim anlässlich des Weltkongresses für Kulturpolitik ein Paper über Literaturfestivals und kulturelles Unternehmertum präsentiert. Ihre Untersuchungsergebnisse orientierten sich dabei an zwei Festivals in Berlin und Kopenhagen. Können Sie Ihren Ansatz noch einmal kurz darlegen?

Der Kern meiner Überlegungen ist das Konzept des Kulturentrepreneurs und der innovativen Praxis – was nicht zwangsläufig ein partizipativer Ansatz ist. In meinem Vortrag bin ich davon ausgegangen, dass nicht so sehr Rolle und Status für das Gelingen eines kulturellen Events entscheidend sind, sondern Faktoren wie Motivation, Energie, Ideenreichtum, Erfahrung oder Einbettung in kulturelle und soziale Netzwerke – mit anderen Worten ein lebensweltlicher Ansatz, bei dem Fertigkeiten und Wissen des „kundigen Praktikers“ sich in und mit den Denk- und Handlungsmustern sowie dem Stil des „In-der-Welt-Seins“ herausbilden. Ausschlaggebend ist nicht, ob Unternehmer, Studierende oder, wie im Fall der Berliner Woche der Sprache und des Lesens, Schulpsychologen ein Literaturfestival organisieren, sondern dass sie als Akteure erlebte soziale und kulturelle Disharmonien und Anomalien in ihrer Lebenswelt kompetent und sensibel aufzugreifen, zu vermitteln und mit anderen zu lösen vermögen.

Die Hildesheimer Kulturwissenschaften legen einen besonderen Wert auf Praxis. Dieses Jahr fand zum vierten Mal das Literaturfestival Prosanova statt, wo etwa 70 Studierende für mehrere Monate als Kulturunternehmer agierten. Ist es Ihrer Ansicht nach vorteilhaft, wenn die Organisatoren eines Literaturfestivals gerade keine ausgebildeten Unternehmer sind, sondern, wie im Falle Prosanovas, Studierende?

Ob Studierende einen Vorteil gegenüber Kulturmanagern oder Kulturunternehmern haben – diese Frage wäre empirisch zu beantworten. Was mir interessanter zu sein scheint, sind die Inhalte und vor allem Form und Organisation des Studiums beispielweise zum Kulturentrepreneur. Eine Forschergruppe an der Universität Kopenhagen hat in diesem Zusammenhang ein handlungsorientiertes Unterrichts- und Vermittlungskonzept entwickelt und ausgehend von den Denk- und Handlungsmustern des „kundigen Praktikers“ ein didaktisches und pädagogisches Konzept für Studiengänge im Kulturbereich entwickelt. Erste Resultate zeigen, dass die teilnehmenden Studierenden in der Tat innovative Inhalte und Organisationsmodelle für kulturelle Events entwickelt und diese auch teilweise in der Praxis erprobt haben.

Auch PROSANOVA wollte das Publikum stärker in die Organisation miteinbinden. Der Nachteilt daran war allerdings, dass dieses Festival sich gerade dadurch eher an die schreibende Zunft als an die Leser deutschsprachiger Gegenwartsliteratur wandte. Vor allem durch den Einsatz sozialer Medien offenbarte sich jedoch das Potenzial dieses Ansatzes. Schafft also gerade das Einbeziehen des Publikums in Planung und Durchführung eines Literaturfestivals neue Strukturen, die klassische Förderung usw. ablösen (Stichwort Crowdfunding)?

Ich würde Ihrer Frage mit einem Augenzwinkern gerne folgendes entgegnen: Auf welche Frage ist das Einbeziehen des Publikums eigentlich die richtige Antwort? Partizipation und Teilhabe stehen heute weit oben auf der kulturpolitischen Agenda. Und ich kann mir durchaus vorstellen, dass die Einbeziehung des Publikums neue Formen der Teilnahme und des Mit-Wirkens schafft. Genauso denkbar ist, dass sich bereits existierende Erwartungen, Strukturen und Aktivitäten verdoppeln. Soll durch das Einbeziehen des Publikums innovatives Potential freigesetzt werden, kommt es vor allem auf die Transparenz der Zielvorgaben und Erwartungen sowie auf die Qualität der Interaktionen an. Aber warum sollte man die Rolle des Publikums auf das Mitwirken bei der Planung, Durchführung und Finanzierung von kulturellen Events beschränken? Möglicherweise ist auch der Begriff des Publikums zu ungenau, und der des Interessenten oder Mit-Wirkers beschreibt die kulturpolitischen Herausforderungen genauer.

Einbeziehen ist zweifellos wichtig. Herauszufinden, ob Literaturfestivals den kulturellen Bedürfnissen und Erfahrungen jetziger und zukünftiger Interessenten und Teilnehmer entsprechen, scheint mir ebenso zentral zu sein. Vielleicht sollte Kultur und Literatur deshalb mehr praxisorientiert und weniger vermittlungsorientiert gedacht werden. Das Interessante an dem Neuköllner bzw. Berliner Experiment ist nicht das Literaturfestival, sondern der Versuch, die Entfremdung und den Abstand der Kulturen trotz räumlicher Nähe zu verringern: Wie können über 100 Kulturen in den multikulturellen Bezirken Berlins sich kennenlernen und eine Sprache der Anerkennung entwickeln. Das Literaturfestival war ein Weg; andere Wege wären sicher auch denkbar gewesen.

Haben diese Herangehensweisen an Literaturfestivals eventuell sogar Potenzial, althergebrachte Institutionen abzulösen, die für die Verbreitung von Kultur zuständig sind?

Mir geht es vor allem darum aufzuzeigen, wie Kulturentrepreneure das „In-der-Welt-Sein“ verändern und an der Entfaltung neuer kultureller Welten mitwirken. Sie tun dies, indem sie Defizite der bisherigen Praxis sichtbar machen, eine bislang marginale zur bestimmenden Praxis machen und interpretative Rahmen ihrer Lebenswelt ändern. Die Institutionalisierung einer neuen Praxis kommt erst später. Das heißt auch, dass nicht das Festival, die Organisation oder Strukturen, sondern das Engagement, Praxis und Prozess sowie innovative Handlungen vorrangig erforscht werden sollten. Hat sich eine neue Praxis erst einmal durchgesetzt und sind Konturen einer neuen kulturellen Welt sichtbar geworden, dann werden althergebrachte Institutionen implodieren – so meine Annahme.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Matthias Friedrich via E-Mail. Er studiert „Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus“ an der Universität Hildesheim.

Zur Person:

Hans Elbeshausen forscht und lehrt an der Informationswissenschaftlichen Akademie der Universität Kopenhagen und beschäftigt sich in seiner Forschung mit Fragen der interkulturellen Kommunikation, der zielgruppenorientierten Kulturarbeit und der Arbeit von Kulturentrepreneuren. Er sprach auf dem kulturpolitischen Weltkongress im September 2014 auf dem Kulturcampus Domäne Marienburg der Universität Hildesheim über „The greater sense of involvement - literary festivals and cultural entrepreneurship".


Sie schlagen Brücken, von der Uni, in die Stadt: Studierende des Kreativen Schreibens während des Literaturfestivals Prosanova 2014 in einer ehemaligen Hauptschule. 70 Studierende agieren für mehrere Monate als Kulturunternehmer. Fotos: Johanna Baschke/Prosanova

Sie schlagen Brücken, von der Uni, in die Stadt: Studierende des Kreativen Schreibens während des Literaturfestivals Prosanova 2014 in einer ehemaligen Hauptschule. 70 Studierende agieren für mehrere Monate als Kulturunternehmer. Fotos: Johanna Baschke/Prosanova

Sie schlagen Brücken, von der Uni, in die Stadt: Studierende des Kreativen Schreibens während des Literaturfestivals Prosanova 2014 in einer ehemaligen Hauptschule. 70 Studierende agieren für mehrere Monate als Kulturunternehmer. Fotos: Johanna Baschke/Prosanova